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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die romantische Schule in Frankreich.

Schriftstellern einer Epoche als die zu ziehenden Resultate empfunden
werden."

Niemand dürfte sagen, daß diese von Brandes ausgesprochenen Anschauungen
neue und daß sie lediglich anwendbar auf die französischen Romantiker seien.
Das Glaubensbekenntnis unsrer Klassiker gegenüber dem Publikum war kein
andres. Aber es bleibt ein Verdienst, an diese einfache Wahrheit bei einem
Anlaß zu mahnen, wo die Versuchung naheliegt, die Mißgriffe und ästhetischen
Irrtümer hochbegabter Dichter auf ihre Verachtung des Publikums zu schieben,
und in einer Zeit, wo der Schriftsteller statt in der Furcht des Herrn in der
Furcht der sogenannten öffentlichen Meinung erzogen werden soll. Der Prüf¬
stein, den Brandes mit gutem Recht an die Einzelerscheinungen legt, ist der
ihrer innern Wahrheit, ihrer ehrliche" und ganzen Hingabe an das einmal vou
ihnen erfaßte Ideal. Immerhin ist es unausbleiblich, daß auch bei dieser Art
der Prüfung Irrtümer unterlaufen. Die größere oder geringere Sympathie des
Literarhistorikers mit gewissen Gedankengängen, gewissen Anschauungen der
Dichter gegenüber der Gesellschaft und den herrschenden moralischen und tradi¬
tionellen Regeln werden unwillkürlich mit einwirken. Aber im großen und ganzen
nimmt der Kritiker den ernstlichsten Anlauf, allen, auch den entgegengesetztesten
Naturen gerecht zu werden. Die spröden, verschlossenen oder die genialen und
nicht völlig gereiften Naturen finden an Brandes einen Beurteiler von der
seltensten Feinfühligkeit. Charakteristiken wie diejenigen von Beyle, von Prosper
Merimee, von Balzac zeigen die glänzende Fähigkeit des Literarhistorikers, in
den Kern eines menschlichen Wesens und einer Begabung einzudringen, aus diesem
Kern heraus auch die uuglcichartigstcn und scheinbar zufälligsten Ausstrahlungen
zu erklären. Schade, daß eine gewisse Neigung des Verfassers zu äußerlichen,
feuilletonistischen Bildern, welche wie ein letzter Trumph ausgespielt werden,
die Wirkung seiner feinen Darlegungen zu Zeiten beeinträchtigt. Wenn es von
Prosper Merimee heißt: "Seine Gestalt hebt sich, auch ohne daß man ihm eine
künstliche Originalität zuerteilt, aus der genialen Generation von 1830 hinläng¬
lich hervor. Die andern sprengten in bunten Waffenröcken, mit vergoldeten
Helmen und wehenden Fahnen in die Arena. Er ist der schwarze Ritter in
dem großen romantischen Turnier," so macht dies den Eindruck, als ob etwas
von der koloristischen Rhetorik der "genialen Generation von 1830" in den
Stil ihres Darstellers und Beurteilers übergegangen wäre.

Vortrefflich ist bei Brandes die Darstellung der Elemente, fremder und
nationaler, die sich in den jungen Dichtern vereinigten, um die spezifisch französische
Romantik hervorzubringen. Die Einwirkungen des Auslandes und jener fran¬
zösischen Dichter vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, welche von der breiten
Heerstraße abwichen, von Eherner und Chateaubriand bis zu Robler und La¬
martine, die allmählichen Umbildungen der ursprünglichen Anschauungen bei den
Führern der jugendlichen Literatur werden feinsinnig nachgewiesen. Und schon


Die romantische Schule in Frankreich.

Schriftstellern einer Epoche als die zu ziehenden Resultate empfunden
werden."

Niemand dürfte sagen, daß diese von Brandes ausgesprochenen Anschauungen
neue und daß sie lediglich anwendbar auf die französischen Romantiker seien.
Das Glaubensbekenntnis unsrer Klassiker gegenüber dem Publikum war kein
andres. Aber es bleibt ein Verdienst, an diese einfache Wahrheit bei einem
Anlaß zu mahnen, wo die Versuchung naheliegt, die Mißgriffe und ästhetischen
Irrtümer hochbegabter Dichter auf ihre Verachtung des Publikums zu schieben,
und in einer Zeit, wo der Schriftsteller statt in der Furcht des Herrn in der
Furcht der sogenannten öffentlichen Meinung erzogen werden soll. Der Prüf¬
stein, den Brandes mit gutem Recht an die Einzelerscheinungen legt, ist der
ihrer innern Wahrheit, ihrer ehrliche» und ganzen Hingabe an das einmal vou
ihnen erfaßte Ideal. Immerhin ist es unausbleiblich, daß auch bei dieser Art
der Prüfung Irrtümer unterlaufen. Die größere oder geringere Sympathie des
Literarhistorikers mit gewissen Gedankengängen, gewissen Anschauungen der
Dichter gegenüber der Gesellschaft und den herrschenden moralischen und tradi¬
tionellen Regeln werden unwillkürlich mit einwirken. Aber im großen und ganzen
nimmt der Kritiker den ernstlichsten Anlauf, allen, auch den entgegengesetztesten
Naturen gerecht zu werden. Die spröden, verschlossenen oder die genialen und
nicht völlig gereiften Naturen finden an Brandes einen Beurteiler von der
seltensten Feinfühligkeit. Charakteristiken wie diejenigen von Beyle, von Prosper
Merimee, von Balzac zeigen die glänzende Fähigkeit des Literarhistorikers, in
den Kern eines menschlichen Wesens und einer Begabung einzudringen, aus diesem
Kern heraus auch die uuglcichartigstcn und scheinbar zufälligsten Ausstrahlungen
zu erklären. Schade, daß eine gewisse Neigung des Verfassers zu äußerlichen,
feuilletonistischen Bildern, welche wie ein letzter Trumph ausgespielt werden,
die Wirkung seiner feinen Darlegungen zu Zeiten beeinträchtigt. Wenn es von
Prosper Merimee heißt: „Seine Gestalt hebt sich, auch ohne daß man ihm eine
künstliche Originalität zuerteilt, aus der genialen Generation von 1830 hinläng¬
lich hervor. Die andern sprengten in bunten Waffenröcken, mit vergoldeten
Helmen und wehenden Fahnen in die Arena. Er ist der schwarze Ritter in
dem großen romantischen Turnier," so macht dies den Eindruck, als ob etwas
von der koloristischen Rhetorik der „genialen Generation von 1830" in den
Stil ihres Darstellers und Beurteilers übergegangen wäre.

Vortrefflich ist bei Brandes die Darstellung der Elemente, fremder und
nationaler, die sich in den jungen Dichtern vereinigten, um die spezifisch französische
Romantik hervorzubringen. Die Einwirkungen des Auslandes und jener fran¬
zösischen Dichter vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, welche von der breiten
Heerstraße abwichen, von Eherner und Chateaubriand bis zu Robler und La¬
martine, die allmählichen Umbildungen der ursprünglichen Anschauungen bei den
Führern der jugendlichen Literatur werden feinsinnig nachgewiesen. Und schon


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[0095] Die romantische Schule in Frankreich. Schriftstellern einer Epoche als die zu ziehenden Resultate empfunden werden." Niemand dürfte sagen, daß diese von Brandes ausgesprochenen Anschauungen neue und daß sie lediglich anwendbar auf die französischen Romantiker seien. Das Glaubensbekenntnis unsrer Klassiker gegenüber dem Publikum war kein andres. Aber es bleibt ein Verdienst, an diese einfache Wahrheit bei einem Anlaß zu mahnen, wo die Versuchung naheliegt, die Mißgriffe und ästhetischen Irrtümer hochbegabter Dichter auf ihre Verachtung des Publikums zu schieben, und in einer Zeit, wo der Schriftsteller statt in der Furcht des Herrn in der Furcht der sogenannten öffentlichen Meinung erzogen werden soll. Der Prüf¬ stein, den Brandes mit gutem Recht an die Einzelerscheinungen legt, ist der ihrer innern Wahrheit, ihrer ehrliche» und ganzen Hingabe an das einmal vou ihnen erfaßte Ideal. Immerhin ist es unausbleiblich, daß auch bei dieser Art der Prüfung Irrtümer unterlaufen. Die größere oder geringere Sympathie des Literarhistorikers mit gewissen Gedankengängen, gewissen Anschauungen der Dichter gegenüber der Gesellschaft und den herrschenden moralischen und tradi¬ tionellen Regeln werden unwillkürlich mit einwirken. Aber im großen und ganzen nimmt der Kritiker den ernstlichsten Anlauf, allen, auch den entgegengesetztesten Naturen gerecht zu werden. Die spröden, verschlossenen oder die genialen und nicht völlig gereiften Naturen finden an Brandes einen Beurteiler von der seltensten Feinfühligkeit. Charakteristiken wie diejenigen von Beyle, von Prosper Merimee, von Balzac zeigen die glänzende Fähigkeit des Literarhistorikers, in den Kern eines menschlichen Wesens und einer Begabung einzudringen, aus diesem Kern heraus auch die uuglcichartigstcn und scheinbar zufälligsten Ausstrahlungen zu erklären. Schade, daß eine gewisse Neigung des Verfassers zu äußerlichen, feuilletonistischen Bildern, welche wie ein letzter Trumph ausgespielt werden, die Wirkung seiner feinen Darlegungen zu Zeiten beeinträchtigt. Wenn es von Prosper Merimee heißt: „Seine Gestalt hebt sich, auch ohne daß man ihm eine künstliche Originalität zuerteilt, aus der genialen Generation von 1830 hinläng¬ lich hervor. Die andern sprengten in bunten Waffenröcken, mit vergoldeten Helmen und wehenden Fahnen in die Arena. Er ist der schwarze Ritter in dem großen romantischen Turnier," so macht dies den Eindruck, als ob etwas von der koloristischen Rhetorik der „genialen Generation von 1830" in den Stil ihres Darstellers und Beurteilers übergegangen wäre. Vortrefflich ist bei Brandes die Darstellung der Elemente, fremder und nationaler, die sich in den jungen Dichtern vereinigten, um die spezifisch französische Romantik hervorzubringen. Die Einwirkungen des Auslandes und jener fran¬ zösischen Dichter vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, welche von der breiten Heerstraße abwichen, von Eherner und Chateaubriand bis zu Robler und La¬ martine, die allmählichen Umbildungen der ursprünglichen Anschauungen bei den Führern der jugendlichen Literatur werden feinsinnig nachgewiesen. Und schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/95>, abgerufen am 08.09.2024.