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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.
Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen,
R. Keßler. von(Schluß.)

cum man von der anscheinend selbstverständlichen Voraussetzung
ausgeht, daß es sich bei Erörterung dessen, was für und wider die
Schwurgerichte spricht, mir darum handeln könne, ob von ihnen rich¬
tige Urteile, insbesondre bessere als von den Beamtenrichter", zu
erwarten seien, so möchte man mit dein im vorigen Hefte Ge¬
sagten die allgemeinen Gesichtspunkte für erschöpft halten. Aber es ist noch
ein Argument zu Gunsten der Schwurgerichte in xetto, welches die Frage auf
ein ganz andres Gebiet, von dem der Rechtspflege auf das der Pädagogik,
hinüberleitet; und dies Argument darf umso weniger unbeachtet bleiben, als
es sogar in den Motiven des Gerichtsverfassnngsgcsetzes Aufnahme gefunden
hat. Es soll den Schwurgerichten, wie den Laiengerichten überhaupt, der
Vorzug eigen sein, "Kenntnis des Rechts im Volke zu verbreiten und den
Rechtssinn zu fördern." Wohlgemerkt: es ist hier nicht von dem Einflüsse
die Rede, welchen die von wem auch immer, wenn nur gut, gehandhabte Justiz
dadurch, daß sie das Recht zeigt und zur Geltung bringt, auf Rechtssinn und
Nechtskenntnis des Volkes ausübt. Der Vorzug soll vielmehr in der Be¬
teiligung der Laien am Rechtsprecher liegen; von dem Thätigwerden der Ge¬
schwornen als Urteiler erwartet man zunächst für sie selbst, vielleicht auch
mittelbar für andere, jene segensreiche Wirkung.

Aber ist denn unser ganzes öffentliches Wesen zu einem großen "Bildungs¬
verein" geworden? Sind die Gerichtshöfe zum Nechtsprecheu da oder zur
Unterweisung und Erziehung ihrer Mitglieder? Vereinigen lassen sich diese
Zwecke nicht. Der erstere verlangt kundige und erprobte Männer zu Richtern;
dem andern entspricht es, wenn man diejenigen beruft, die in Rechtskenntnis
und Rechtssinn am weitesten zurück sind. So einigermaßen hat man das
letztere Prinzip bei Einrichtung der Schwurgerichte schou befolgt; konsequenter-
weise müßte man noch andre Gesellschaftsklassen zum Gcschworneudieuste heran¬
ziehen. Die Verirrung der Schulmeistere: ins Gebiet der Justiz ist hier noch
viel deutlicher und viel gefährlicher als bei der Vermischung von Strafe und
Besserung. Die Justizorganisation -- es ist wunderbar, daß man das erst
sagen muß -- darf nur auf den einen Zweck gerichtet sein: möglichst sichere
Erzielung gerechter Urteile. Leben, Freiheit, Ehre des Angeklagten auf der


Das Schwurgericht.
Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen,
R. Keßler. von(Schluß.)

cum man von der anscheinend selbstverständlichen Voraussetzung
ausgeht, daß es sich bei Erörterung dessen, was für und wider die
Schwurgerichte spricht, mir darum handeln könne, ob von ihnen rich¬
tige Urteile, insbesondre bessere als von den Beamtenrichter», zu
erwarten seien, so möchte man mit dein im vorigen Hefte Ge¬
sagten die allgemeinen Gesichtspunkte für erschöpft halten. Aber es ist noch
ein Argument zu Gunsten der Schwurgerichte in xetto, welches die Frage auf
ein ganz andres Gebiet, von dem der Rechtspflege auf das der Pädagogik,
hinüberleitet; und dies Argument darf umso weniger unbeachtet bleiben, als
es sogar in den Motiven des Gerichtsverfassnngsgcsetzes Aufnahme gefunden
hat. Es soll den Schwurgerichten, wie den Laiengerichten überhaupt, der
Vorzug eigen sein, „Kenntnis des Rechts im Volke zu verbreiten und den
Rechtssinn zu fördern." Wohlgemerkt: es ist hier nicht von dem Einflüsse
die Rede, welchen die von wem auch immer, wenn nur gut, gehandhabte Justiz
dadurch, daß sie das Recht zeigt und zur Geltung bringt, auf Rechtssinn und
Nechtskenntnis des Volkes ausübt. Der Vorzug soll vielmehr in der Be¬
teiligung der Laien am Rechtsprecher liegen; von dem Thätigwerden der Ge¬
schwornen als Urteiler erwartet man zunächst für sie selbst, vielleicht auch
mittelbar für andere, jene segensreiche Wirkung.

Aber ist denn unser ganzes öffentliches Wesen zu einem großen „Bildungs¬
verein" geworden? Sind die Gerichtshöfe zum Nechtsprecheu da oder zur
Unterweisung und Erziehung ihrer Mitglieder? Vereinigen lassen sich diese
Zwecke nicht. Der erstere verlangt kundige und erprobte Männer zu Richtern;
dem andern entspricht es, wenn man diejenigen beruft, die in Rechtskenntnis
und Rechtssinn am weitesten zurück sind. So einigermaßen hat man das
letztere Prinzip bei Einrichtung der Schwurgerichte schou befolgt; konsequenter-
weise müßte man noch andre Gesellschaftsklassen zum Gcschworneudieuste heran¬
ziehen. Die Verirrung der Schulmeistere: ins Gebiet der Justiz ist hier noch
viel deutlicher und viel gefährlicher als bei der Vermischung von Strafe und
Besserung. Die Justizorganisation — es ist wunderbar, daß man das erst
sagen muß — darf nur auf den einen Zweck gerichtet sein: möglichst sichere
Erzielung gerechter Urteile. Leben, Freiheit, Ehre des Angeklagten auf der


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[0074] Das Schwurgericht. Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen, R. Keßler. von(Schluß.) cum man von der anscheinend selbstverständlichen Voraussetzung ausgeht, daß es sich bei Erörterung dessen, was für und wider die Schwurgerichte spricht, mir darum handeln könne, ob von ihnen rich¬ tige Urteile, insbesondre bessere als von den Beamtenrichter», zu erwarten seien, so möchte man mit dein im vorigen Hefte Ge¬ sagten die allgemeinen Gesichtspunkte für erschöpft halten. Aber es ist noch ein Argument zu Gunsten der Schwurgerichte in xetto, welches die Frage auf ein ganz andres Gebiet, von dem der Rechtspflege auf das der Pädagogik, hinüberleitet; und dies Argument darf umso weniger unbeachtet bleiben, als es sogar in den Motiven des Gerichtsverfassnngsgcsetzes Aufnahme gefunden hat. Es soll den Schwurgerichten, wie den Laiengerichten überhaupt, der Vorzug eigen sein, „Kenntnis des Rechts im Volke zu verbreiten und den Rechtssinn zu fördern." Wohlgemerkt: es ist hier nicht von dem Einflüsse die Rede, welchen die von wem auch immer, wenn nur gut, gehandhabte Justiz dadurch, daß sie das Recht zeigt und zur Geltung bringt, auf Rechtssinn und Nechtskenntnis des Volkes ausübt. Der Vorzug soll vielmehr in der Be¬ teiligung der Laien am Rechtsprecher liegen; von dem Thätigwerden der Ge¬ schwornen als Urteiler erwartet man zunächst für sie selbst, vielleicht auch mittelbar für andere, jene segensreiche Wirkung. Aber ist denn unser ganzes öffentliches Wesen zu einem großen „Bildungs¬ verein" geworden? Sind die Gerichtshöfe zum Nechtsprecheu da oder zur Unterweisung und Erziehung ihrer Mitglieder? Vereinigen lassen sich diese Zwecke nicht. Der erstere verlangt kundige und erprobte Männer zu Richtern; dem andern entspricht es, wenn man diejenigen beruft, die in Rechtskenntnis und Rechtssinn am weitesten zurück sind. So einigermaßen hat man das letztere Prinzip bei Einrichtung der Schwurgerichte schou befolgt; konsequenter- weise müßte man noch andre Gesellschaftsklassen zum Gcschworneudieuste heran¬ ziehen. Die Verirrung der Schulmeistere: ins Gebiet der Justiz ist hier noch viel deutlicher und viel gefährlicher als bei der Vermischung von Strafe und Besserung. Die Justizorganisation — es ist wunderbar, daß man das erst sagen muß — darf nur auf den einen Zweck gerichtet sein: möglichst sichere Erzielung gerechter Urteile. Leben, Freiheit, Ehre des Angeklagten auf der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/74>, abgerufen am 08.09.2024.