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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

ein Meisterstück feiner Mvdellirung innerhalb einer grauen Tonskala auf schwarzem
Grunde; das zweite stellt eine Szene am Kamin, ein Interieur von echt hollän¬
dischem Gepräge, dar: vor der Feuerstelle sitzen drei kleine holländische Mädchen,
unter der Haube recht altklug hervorblickend, ans hölzernen Stühlen mit stroh-
bcflochtenem Sitz um eine Alte herum, welche ihnen Märchen zu erzählen scheint.
Die drei andern Bilder sind ebenfalls Interieurs: das Innere einer holländischen
Fischerhütte, ganz im Charakter Ostadcs, nur statt des bei diesem üblichen
bräunlichen Gesamttones in dem grauen Tone der Schule gehalten, dann die
"Beschaulichkeit," ein alter Mann in einer Bauernstube, welcher Kaninchen füttert,
und das dritte, "Sonntag" betitelt, ein Thorweg mit einem Wagen und einer
bockender Katze, auf welche durch die Öffnung nach der Straße zu ein Sonnen-
blick fällt. Die Motive sind so einfach wie möglich, das stoffliche Interesse
tritt ganz in den Hintergrund, um das rein malerische vorwalten zu lassen, wie
es die alten Holländer gethan haben- Und wie bei diesen, genügt der malerische
Wert auch bei Höcker, um den Beschauer zu fesseln. Da ist nicht ein Quadrat¬
zentimeter, der nicht koloristisch interessant wäre, und diese erstaunliche Feinheit
des Kolorits, diese köstliche" Reize des Helldunkels, die schlichte, rührende Ein¬
fachheit der Darstellung, ihre unverbrüchliche Wahrheit bringen in diese Bildchen
die Poesie hinein, welche ihren Motiven schlechthin nicht innewohnt. Dieselben
Vorzüge schlagender Naturwahrheit, feinster Pinselführung und poetischer Stim¬
mung lassen sich die Bilder Edmund Harburgers nachrühmen, welcher durch
seine trefflichen Zeichnungen den Münchener "Fliegenden Blättern" wiederum
ein künstlerisches Gepräge gegeben hat- Er ist ein ebenso tüchtiger Maler wie
Zeichner; aber der Umstand, daß er für ein Witzblatt zeichnet, mag ihn in den
Angen der tonangebenden Münchener Künstler nicht zünftig erscheinen lassen,
obwohl er vielen Leuten wegen seiner derben Natürlichkeit und seiner jovialen
Anspruchslosigkeit lieber ist als der sentimentale, stets auf Stelzen einher¬
schreitende Beyschlag, als der geschraubte Rudolf Seitz, der mit schwind¬
süchtiger Figuren parndirende Claudius Schraudolph, der melancholische Grieche
Gysis und der bald mit Holbein, bald mit Tizian und van Dyck kokettircnde
Fr- Aug. Kaulbach- Mit Kauffmann ist Harburger einer der Hauptvertreter
des Bierstubenhumors. Aber darin allein sind seine Fähigkeiten nicht beschlossen.
Wie sein "Wirtshaus in Tirol" und seine "Rübenschälerinnen" beweisen, ist
er ein tüchtiger Jnterieurmaler, welcher selbst weißgetünchte Wände interessant
zu machen versteht, und daß er auch einen starken Fonds an poetischer Erfindung
besitzt, hat er mit jener köstlichen Idylle "Am stillen Herd," einer jugendlichen,
von der Sonne hell beleuchteten Näherin, gezeigt, die wir schon in Berlin
gesehen haben, die sich aber in München unter der bessern Beleuchtung noch
günstiger präsentirte.

Von den Münchener Genremalern hat sich noch Gabriel Hackl besonders
hervorgethan, der zwar ein Schüler Pilotys ist, sich aber immer mehr in die


Die internationale Kunstausstellung in München.

ein Meisterstück feiner Mvdellirung innerhalb einer grauen Tonskala auf schwarzem
Grunde; das zweite stellt eine Szene am Kamin, ein Interieur von echt hollän¬
dischem Gepräge, dar: vor der Feuerstelle sitzen drei kleine holländische Mädchen,
unter der Haube recht altklug hervorblickend, ans hölzernen Stühlen mit stroh-
bcflochtenem Sitz um eine Alte herum, welche ihnen Märchen zu erzählen scheint.
Die drei andern Bilder sind ebenfalls Interieurs: das Innere einer holländischen
Fischerhütte, ganz im Charakter Ostadcs, nur statt des bei diesem üblichen
bräunlichen Gesamttones in dem grauen Tone der Schule gehalten, dann die
„Beschaulichkeit," ein alter Mann in einer Bauernstube, welcher Kaninchen füttert,
und das dritte, „Sonntag" betitelt, ein Thorweg mit einem Wagen und einer
bockender Katze, auf welche durch die Öffnung nach der Straße zu ein Sonnen-
blick fällt. Die Motive sind so einfach wie möglich, das stoffliche Interesse
tritt ganz in den Hintergrund, um das rein malerische vorwalten zu lassen, wie
es die alten Holländer gethan haben- Und wie bei diesen, genügt der malerische
Wert auch bei Höcker, um den Beschauer zu fesseln. Da ist nicht ein Quadrat¬
zentimeter, der nicht koloristisch interessant wäre, und diese erstaunliche Feinheit
des Kolorits, diese köstliche» Reize des Helldunkels, die schlichte, rührende Ein¬
fachheit der Darstellung, ihre unverbrüchliche Wahrheit bringen in diese Bildchen
die Poesie hinein, welche ihren Motiven schlechthin nicht innewohnt. Dieselben
Vorzüge schlagender Naturwahrheit, feinster Pinselführung und poetischer Stim¬
mung lassen sich die Bilder Edmund Harburgers nachrühmen, welcher durch
seine trefflichen Zeichnungen den Münchener „Fliegenden Blättern" wiederum
ein künstlerisches Gepräge gegeben hat- Er ist ein ebenso tüchtiger Maler wie
Zeichner; aber der Umstand, daß er für ein Witzblatt zeichnet, mag ihn in den
Angen der tonangebenden Münchener Künstler nicht zünftig erscheinen lassen,
obwohl er vielen Leuten wegen seiner derben Natürlichkeit und seiner jovialen
Anspruchslosigkeit lieber ist als der sentimentale, stets auf Stelzen einher¬
schreitende Beyschlag, als der geschraubte Rudolf Seitz, der mit schwind¬
süchtiger Figuren parndirende Claudius Schraudolph, der melancholische Grieche
Gysis und der bald mit Holbein, bald mit Tizian und van Dyck kokettircnde
Fr- Aug. Kaulbach- Mit Kauffmann ist Harburger einer der Hauptvertreter
des Bierstubenhumors. Aber darin allein sind seine Fähigkeiten nicht beschlossen.
Wie sein „Wirtshaus in Tirol" und seine „Rübenschälerinnen" beweisen, ist
er ein tüchtiger Jnterieurmaler, welcher selbst weißgetünchte Wände interessant
zu machen versteht, und daß er auch einen starken Fonds an poetischer Erfindung
besitzt, hat er mit jener köstlichen Idylle „Am stillen Herd," einer jugendlichen,
von der Sonne hell beleuchteten Näherin, gezeigt, die wir schon in Berlin
gesehen haben, die sich aber in München unter der bessern Beleuchtung noch
günstiger präsentirte.

Von den Münchener Genremalern hat sich noch Gabriel Hackl besonders
hervorgethan, der zwar ein Schüler Pilotys ist, sich aber immer mehr in die


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[0698] Die internationale Kunstausstellung in München. ein Meisterstück feiner Mvdellirung innerhalb einer grauen Tonskala auf schwarzem Grunde; das zweite stellt eine Szene am Kamin, ein Interieur von echt hollän¬ dischem Gepräge, dar: vor der Feuerstelle sitzen drei kleine holländische Mädchen, unter der Haube recht altklug hervorblickend, ans hölzernen Stühlen mit stroh- bcflochtenem Sitz um eine Alte herum, welche ihnen Märchen zu erzählen scheint. Die drei andern Bilder sind ebenfalls Interieurs: das Innere einer holländischen Fischerhütte, ganz im Charakter Ostadcs, nur statt des bei diesem üblichen bräunlichen Gesamttones in dem grauen Tone der Schule gehalten, dann die „Beschaulichkeit," ein alter Mann in einer Bauernstube, welcher Kaninchen füttert, und das dritte, „Sonntag" betitelt, ein Thorweg mit einem Wagen und einer bockender Katze, auf welche durch die Öffnung nach der Straße zu ein Sonnen- blick fällt. Die Motive sind so einfach wie möglich, das stoffliche Interesse tritt ganz in den Hintergrund, um das rein malerische vorwalten zu lassen, wie es die alten Holländer gethan haben- Und wie bei diesen, genügt der malerische Wert auch bei Höcker, um den Beschauer zu fesseln. Da ist nicht ein Quadrat¬ zentimeter, der nicht koloristisch interessant wäre, und diese erstaunliche Feinheit des Kolorits, diese köstliche» Reize des Helldunkels, die schlichte, rührende Ein¬ fachheit der Darstellung, ihre unverbrüchliche Wahrheit bringen in diese Bildchen die Poesie hinein, welche ihren Motiven schlechthin nicht innewohnt. Dieselben Vorzüge schlagender Naturwahrheit, feinster Pinselführung und poetischer Stim¬ mung lassen sich die Bilder Edmund Harburgers nachrühmen, welcher durch seine trefflichen Zeichnungen den Münchener „Fliegenden Blättern" wiederum ein künstlerisches Gepräge gegeben hat- Er ist ein ebenso tüchtiger Maler wie Zeichner; aber der Umstand, daß er für ein Witzblatt zeichnet, mag ihn in den Angen der tonangebenden Münchener Künstler nicht zünftig erscheinen lassen, obwohl er vielen Leuten wegen seiner derben Natürlichkeit und seiner jovialen Anspruchslosigkeit lieber ist als der sentimentale, stets auf Stelzen einher¬ schreitende Beyschlag, als der geschraubte Rudolf Seitz, der mit schwind¬ süchtiger Figuren parndirende Claudius Schraudolph, der melancholische Grieche Gysis und der bald mit Holbein, bald mit Tizian und van Dyck kokettircnde Fr- Aug. Kaulbach- Mit Kauffmann ist Harburger einer der Hauptvertreter des Bierstubenhumors. Aber darin allein sind seine Fähigkeiten nicht beschlossen. Wie sein „Wirtshaus in Tirol" und seine „Rübenschälerinnen" beweisen, ist er ein tüchtiger Jnterieurmaler, welcher selbst weißgetünchte Wände interessant zu machen versteht, und daß er auch einen starken Fonds an poetischer Erfindung besitzt, hat er mit jener köstlichen Idylle „Am stillen Herd," einer jugendlichen, von der Sonne hell beleuchteten Näherin, gezeigt, die wir schon in Berlin gesehen haben, die sich aber in München unter der bessern Beleuchtung noch günstiger präsentirte. Von den Münchener Genremalern hat sich noch Gabriel Hackl besonders hervorgethan, der zwar ein Schüler Pilotys ist, sich aber immer mehr in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/698>, abgerufen am 08.09.2024.