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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

Manier von Diez hineinmalt und für sein Bild auch ein Motiv gewählt hat,
welches in das Diezische Stoffgebiet einschlägt. Soldaten des dreißigjährigen
Krieges, Marodeure, ein paar wilde, ungeschlachte Gesellen, sind in eine Bauern¬
hütte während der Abwesenheit der Bewohner eingedrungen, haben unter dem
Geflügel eine Razzia abgehalten und sind gerade dabei, vor und auf dem Herde
sitzend, ihre Beute zu rupfen, als die Bäuerin mit ihrem Kinde eintritt und
starr vor Schreck über die "ungebetenen Gäste" in der Thüre stehen bleibt.
Die haarscharf zugespitzte Situation ist sehr drastisch und lebendig veranschau¬
licht, die beiden Kerle sind sehr energisch charakterisirt, und die Malerei ist so
interessant, das Helldunkel so schwebend und durchsichtig behandelt, daß niemand
vor diesem Bilde auf einen Pilotyschüler raten würde. Auch der treffliche Tier¬
maler Otto Gehler hat sich in der malerischen Technik und in der Lebendigkeit
der Charakteristik nicht nur weit über die Grenzen der Pilothschule hinaus ent¬
wickelt, sondern sich auch von der Einseitigkeit der Schafsmalerei losgemacht,
die am Ende für ihn selbst hätte gefährlich werden können. "Reinekes Ende,"
ein von Dachshunden gestellter Fuchs, ist ein Meisterstück in der Beobachtung
des Tierlebens und in der Lebendigkeit der Darstellung, welche sich bei den nach
dem Blute des Feindes lechzender, atemloser Hunden zu außerordentlicher Kraft
steigert.

Auch von der Münchener Plastik ist ausnahmsweise etwas zu sagen. Es
war zu befürchten, daß nach dem Tode Wagmüllers die akademische Langweilig¬
keit und Regelmäßigkeit Widnmanns wieder zur Alleinherrschaft gelangen
würde. Aber der malerische Zug in der Münchener Künstlerschaft ist doch zu
stark, als daß er nicht gegen diese trockene Pedanterie revoltiren sollte. In
Josef von Kramer haben wir ein ungemein liebenswürdiges Talent von origineller
Begabung kennen gelernt. In drei figurenreichen Reliefs, welche er ausgestellt
hat, ist freilich der malerische Stil so überwiegend, daß man eigentlich von
Gipsbildern sprechen müßte, wie denn auch die viereckigen Platten glatt ab¬
laufen, ohne durch architektonisch gegliederte Leisten abgeschlossen zu sein. Ein
Gesangsunterricht von vier Kindern durch zwei Musiklehrer, ein Sextett und
ein Familienkaffee im Freien unter Bäumen, überall die Figuren im Rococo-
kostüme, bilden den Inhalt der Reliefs. Die Figuren heben sich in sehr scharfen
^Umrissen, aber in flacher Modellirung vom Hintergründe ab. Die hintersten
Figuren sind ganz leicht angedeutet, die mittleren schon stärker betont, und erst
die vordersten runden sich zu vollerer Körperlichkeit ab. Diese Behandlung
wirkt sehr originell; aber noch bestechender ist die große Feinheit der Charakteristik,
die naive Grazie und der schalkhafte Humor, welcher einzelne Figuren, besonders
die der Kinder, erfüllt. Der ganze Zauber des echten, guten Rococo ruht auf
diesen allerliebsten Szenen, welche man am besten mit den Kupferstichen und
Zeichnungen eines Chodowiecki und mit dem berühmten Kinderfeste von Kraus
vergleichen kann.


Die internationale Kunstausstellung in München.

Manier von Diez hineinmalt und für sein Bild auch ein Motiv gewählt hat,
welches in das Diezische Stoffgebiet einschlägt. Soldaten des dreißigjährigen
Krieges, Marodeure, ein paar wilde, ungeschlachte Gesellen, sind in eine Bauern¬
hütte während der Abwesenheit der Bewohner eingedrungen, haben unter dem
Geflügel eine Razzia abgehalten und sind gerade dabei, vor und auf dem Herde
sitzend, ihre Beute zu rupfen, als die Bäuerin mit ihrem Kinde eintritt und
starr vor Schreck über die „ungebetenen Gäste" in der Thüre stehen bleibt.
Die haarscharf zugespitzte Situation ist sehr drastisch und lebendig veranschau¬
licht, die beiden Kerle sind sehr energisch charakterisirt, und die Malerei ist so
interessant, das Helldunkel so schwebend und durchsichtig behandelt, daß niemand
vor diesem Bilde auf einen Pilotyschüler raten würde. Auch der treffliche Tier¬
maler Otto Gehler hat sich in der malerischen Technik und in der Lebendigkeit
der Charakteristik nicht nur weit über die Grenzen der Pilothschule hinaus ent¬
wickelt, sondern sich auch von der Einseitigkeit der Schafsmalerei losgemacht,
die am Ende für ihn selbst hätte gefährlich werden können. „Reinekes Ende,"
ein von Dachshunden gestellter Fuchs, ist ein Meisterstück in der Beobachtung
des Tierlebens und in der Lebendigkeit der Darstellung, welche sich bei den nach
dem Blute des Feindes lechzender, atemloser Hunden zu außerordentlicher Kraft
steigert.

Auch von der Münchener Plastik ist ausnahmsweise etwas zu sagen. Es
war zu befürchten, daß nach dem Tode Wagmüllers die akademische Langweilig¬
keit und Regelmäßigkeit Widnmanns wieder zur Alleinherrschaft gelangen
würde. Aber der malerische Zug in der Münchener Künstlerschaft ist doch zu
stark, als daß er nicht gegen diese trockene Pedanterie revoltiren sollte. In
Josef von Kramer haben wir ein ungemein liebenswürdiges Talent von origineller
Begabung kennen gelernt. In drei figurenreichen Reliefs, welche er ausgestellt
hat, ist freilich der malerische Stil so überwiegend, daß man eigentlich von
Gipsbildern sprechen müßte, wie denn auch die viereckigen Platten glatt ab¬
laufen, ohne durch architektonisch gegliederte Leisten abgeschlossen zu sein. Ein
Gesangsunterricht von vier Kindern durch zwei Musiklehrer, ein Sextett und
ein Familienkaffee im Freien unter Bäumen, überall die Figuren im Rococo-
kostüme, bilden den Inhalt der Reliefs. Die Figuren heben sich in sehr scharfen
^Umrissen, aber in flacher Modellirung vom Hintergründe ab. Die hintersten
Figuren sind ganz leicht angedeutet, die mittleren schon stärker betont, und erst
die vordersten runden sich zu vollerer Körperlichkeit ab. Diese Behandlung
wirkt sehr originell; aber noch bestechender ist die große Feinheit der Charakteristik,
die naive Grazie und der schalkhafte Humor, welcher einzelne Figuren, besonders
die der Kinder, erfüllt. Der ganze Zauber des echten, guten Rococo ruht auf
diesen allerliebsten Szenen, welche man am besten mit den Kupferstichen und
Zeichnungen eines Chodowiecki und mit dem berühmten Kinderfeste von Kraus
vergleichen kann.


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[0699] Die internationale Kunstausstellung in München. Manier von Diez hineinmalt und für sein Bild auch ein Motiv gewählt hat, welches in das Diezische Stoffgebiet einschlägt. Soldaten des dreißigjährigen Krieges, Marodeure, ein paar wilde, ungeschlachte Gesellen, sind in eine Bauern¬ hütte während der Abwesenheit der Bewohner eingedrungen, haben unter dem Geflügel eine Razzia abgehalten und sind gerade dabei, vor und auf dem Herde sitzend, ihre Beute zu rupfen, als die Bäuerin mit ihrem Kinde eintritt und starr vor Schreck über die „ungebetenen Gäste" in der Thüre stehen bleibt. Die haarscharf zugespitzte Situation ist sehr drastisch und lebendig veranschau¬ licht, die beiden Kerle sind sehr energisch charakterisirt, und die Malerei ist so interessant, das Helldunkel so schwebend und durchsichtig behandelt, daß niemand vor diesem Bilde auf einen Pilotyschüler raten würde. Auch der treffliche Tier¬ maler Otto Gehler hat sich in der malerischen Technik und in der Lebendigkeit der Charakteristik nicht nur weit über die Grenzen der Pilothschule hinaus ent¬ wickelt, sondern sich auch von der Einseitigkeit der Schafsmalerei losgemacht, die am Ende für ihn selbst hätte gefährlich werden können. „Reinekes Ende," ein von Dachshunden gestellter Fuchs, ist ein Meisterstück in der Beobachtung des Tierlebens und in der Lebendigkeit der Darstellung, welche sich bei den nach dem Blute des Feindes lechzender, atemloser Hunden zu außerordentlicher Kraft steigert. Auch von der Münchener Plastik ist ausnahmsweise etwas zu sagen. Es war zu befürchten, daß nach dem Tode Wagmüllers die akademische Langweilig¬ keit und Regelmäßigkeit Widnmanns wieder zur Alleinherrschaft gelangen würde. Aber der malerische Zug in der Münchener Künstlerschaft ist doch zu stark, als daß er nicht gegen diese trockene Pedanterie revoltiren sollte. In Josef von Kramer haben wir ein ungemein liebenswürdiges Talent von origineller Begabung kennen gelernt. In drei figurenreichen Reliefs, welche er ausgestellt hat, ist freilich der malerische Stil so überwiegend, daß man eigentlich von Gipsbildern sprechen müßte, wie denn auch die viereckigen Platten glatt ab¬ laufen, ohne durch architektonisch gegliederte Leisten abgeschlossen zu sein. Ein Gesangsunterricht von vier Kindern durch zwei Musiklehrer, ein Sextett und ein Familienkaffee im Freien unter Bäumen, überall die Figuren im Rococo- kostüme, bilden den Inhalt der Reliefs. Die Figuren heben sich in sehr scharfen ^Umrissen, aber in flacher Modellirung vom Hintergründe ab. Die hintersten Figuren sind ganz leicht angedeutet, die mittleren schon stärker betont, und erst die vordersten runden sich zu vollerer Körperlichkeit ab. Diese Behandlung wirkt sehr originell; aber noch bestechender ist die große Feinheit der Charakteristik, die naive Grazie und der schalkhafte Humor, welcher einzelne Figuren, besonders die der Kinder, erfüllt. Der ganze Zauber des echten, guten Rococo ruht auf diesen allerliebsten Szenen, welche man am besten mit den Kupferstichen und Zeichnungen eines Chodowiecki und mit dem berühmten Kinderfeste von Kraus vergleichen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/699>, abgerufen am 08.09.2024.