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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

heraushebt, dem Beschauer mehr zum Bewußtsein kommen als der historische
Vorgang, der allerdings auch nicht von erheblichen Folgen gewesen ist. Nach
der Angabe der Katalogs ist die Übergabe "in den letzten Tagen des Juli 1656"
erfolgt, d. h. nach dem 30. Juli, da an diesem die dreitägige Schlacht vor
Warschau ihr Ende nahm. Ob es an dem Tage der Übergabe so neblig und
grau gewesen ist, wie wir es auf dem Räuberschen Bilde zu sehen bekommen,
wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß die Vorliebe für einen grauen, kühlen,
silberigen Gesamtton eine Eigentümlichkeit von Diez und seiner ganzen Schule
ist, welche sogar das untrügliche gemeinsame Kennzeichen derselben bildet. Sollte
diese koloristische Eigentümlichkeit nicht auf atmosphärische Erscheinungen in der
Umgebung Münchens zurückzuführen sein?

Beim Sonnenaufgang sowohl wie vor und nach dem Sonnenuntergang,
namentlich im Frühling, im Spätsommer und im beginnenden Herbst, pflegt
sich nämlich ein durchsichtiger, grauer, fast silberfarbener Duft über das Jsar-
thal zu breiten, welcher, weit entfernt, den Blick in die Weite einzuschränken,
nur die Lokalfarben abdämpft und die Umrisse fließender macht. Diese Beob¬
achtung ist in München eine so alltägliche, daß sich niemand mehr über eine
so selbstverständliche Erscheinung Rechenschaft ablegt. Aber dem auswärts
Lebenden, welcher München ab und zu besucht, fällt sie auf, und da liegt es
nahe, ein solches Phänomen mit verwandten Erscheinungen in der Kunst in ur¬
sächlichen Zusammenhang zu bringen. Es ist an und für sich nicht unwahr¬
scheinlich, daß die charakteristische Tonstimmung der Jsarlandschaft Wilhelm Diez
und durch ihn seiner Schule allmählich so sehr in Fleisch und Blut über¬
gegangen ist, daß er und die Seinigen alle Objekte von einem kühlen Silbertone
umgeben sehen.

Mag diese Schlußfolgerung nun eine richtige sein oder nicht, so viel steht
fest, daß die Landschaftsmaler, welche ihre Motive aus der bairischen Hoch¬
ebene schöpfen, sich mit Vorliebe in derselben Tonstimmung bewegen, und zwar
sind es wiederum Maler, die sich um einen Künstler von hervorragender, ton¬
angebender Bedeutung gruppiren. Schleich war eine viel zu subjektive, zu stark
lyrisch angelegte Natur, um eine festwurzelnde Schule begründen zu können.
Er sah die Landschaft nicht unbefangen genug an, sondern er griff einzelne
Töne heraus, welche seinem Auge, seiner seelischen Stimmung besonders be¬
hagten, um dieselben dann immer mehr die Oberhand gewinnen zu lassen.
Adolf Lier, der viel zu früh gestorbene, welcher kein geringerer oder minder
kräftiger Stimmungsmaler als Schleich war, sah dagegen die Landschaft mit
ungleich objektiveren und freieren Blicken an. Seine Begabung war eine uni¬
versellere, und deshalb haben seine Gemälde als Landschaftsporträts einen höhern
Wert als die Schlcichs. Liers Schule hat, gleich derjenigen von Diez, die
höchsten Ehren davongetragen. Neben Andreas Ueberhand, welcher mit einem
mit der alten Bravour, dem alten dramatischen Pathos gemalten "Seesturm"


Die internationale Kunstausstellung in München.

heraushebt, dem Beschauer mehr zum Bewußtsein kommen als der historische
Vorgang, der allerdings auch nicht von erheblichen Folgen gewesen ist. Nach
der Angabe der Katalogs ist die Übergabe „in den letzten Tagen des Juli 1656"
erfolgt, d. h. nach dem 30. Juli, da an diesem die dreitägige Schlacht vor
Warschau ihr Ende nahm. Ob es an dem Tage der Übergabe so neblig und
grau gewesen ist, wie wir es auf dem Räuberschen Bilde zu sehen bekommen,
wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß die Vorliebe für einen grauen, kühlen,
silberigen Gesamtton eine Eigentümlichkeit von Diez und seiner ganzen Schule
ist, welche sogar das untrügliche gemeinsame Kennzeichen derselben bildet. Sollte
diese koloristische Eigentümlichkeit nicht auf atmosphärische Erscheinungen in der
Umgebung Münchens zurückzuführen sein?

Beim Sonnenaufgang sowohl wie vor und nach dem Sonnenuntergang,
namentlich im Frühling, im Spätsommer und im beginnenden Herbst, pflegt
sich nämlich ein durchsichtiger, grauer, fast silberfarbener Duft über das Jsar-
thal zu breiten, welcher, weit entfernt, den Blick in die Weite einzuschränken,
nur die Lokalfarben abdämpft und die Umrisse fließender macht. Diese Beob¬
achtung ist in München eine so alltägliche, daß sich niemand mehr über eine
so selbstverständliche Erscheinung Rechenschaft ablegt. Aber dem auswärts
Lebenden, welcher München ab und zu besucht, fällt sie auf, und da liegt es
nahe, ein solches Phänomen mit verwandten Erscheinungen in der Kunst in ur¬
sächlichen Zusammenhang zu bringen. Es ist an und für sich nicht unwahr¬
scheinlich, daß die charakteristische Tonstimmung der Jsarlandschaft Wilhelm Diez
und durch ihn seiner Schule allmählich so sehr in Fleisch und Blut über¬
gegangen ist, daß er und die Seinigen alle Objekte von einem kühlen Silbertone
umgeben sehen.

Mag diese Schlußfolgerung nun eine richtige sein oder nicht, so viel steht
fest, daß die Landschaftsmaler, welche ihre Motive aus der bairischen Hoch¬
ebene schöpfen, sich mit Vorliebe in derselben Tonstimmung bewegen, und zwar
sind es wiederum Maler, die sich um einen Künstler von hervorragender, ton¬
angebender Bedeutung gruppiren. Schleich war eine viel zu subjektive, zu stark
lyrisch angelegte Natur, um eine festwurzelnde Schule begründen zu können.
Er sah die Landschaft nicht unbefangen genug an, sondern er griff einzelne
Töne heraus, welche seinem Auge, seiner seelischen Stimmung besonders be¬
hagten, um dieselben dann immer mehr die Oberhand gewinnen zu lassen.
Adolf Lier, der viel zu früh gestorbene, welcher kein geringerer oder minder
kräftiger Stimmungsmaler als Schleich war, sah dagegen die Landschaft mit
ungleich objektiveren und freieren Blicken an. Seine Begabung war eine uni¬
versellere, und deshalb haben seine Gemälde als Landschaftsporträts einen höhern
Wert als die Schlcichs. Liers Schule hat, gleich derjenigen von Diez, die
höchsten Ehren davongetragen. Neben Andreas Ueberhand, welcher mit einem
mit der alten Bravour, dem alten dramatischen Pathos gemalten „Seesturm"


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[0696] Die internationale Kunstausstellung in München. heraushebt, dem Beschauer mehr zum Bewußtsein kommen als der historische Vorgang, der allerdings auch nicht von erheblichen Folgen gewesen ist. Nach der Angabe der Katalogs ist die Übergabe „in den letzten Tagen des Juli 1656" erfolgt, d. h. nach dem 30. Juli, da an diesem die dreitägige Schlacht vor Warschau ihr Ende nahm. Ob es an dem Tage der Übergabe so neblig und grau gewesen ist, wie wir es auf dem Räuberschen Bilde zu sehen bekommen, wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß die Vorliebe für einen grauen, kühlen, silberigen Gesamtton eine Eigentümlichkeit von Diez und seiner ganzen Schule ist, welche sogar das untrügliche gemeinsame Kennzeichen derselben bildet. Sollte diese koloristische Eigentümlichkeit nicht auf atmosphärische Erscheinungen in der Umgebung Münchens zurückzuführen sein? Beim Sonnenaufgang sowohl wie vor und nach dem Sonnenuntergang, namentlich im Frühling, im Spätsommer und im beginnenden Herbst, pflegt sich nämlich ein durchsichtiger, grauer, fast silberfarbener Duft über das Jsar- thal zu breiten, welcher, weit entfernt, den Blick in die Weite einzuschränken, nur die Lokalfarben abdämpft und die Umrisse fließender macht. Diese Beob¬ achtung ist in München eine so alltägliche, daß sich niemand mehr über eine so selbstverständliche Erscheinung Rechenschaft ablegt. Aber dem auswärts Lebenden, welcher München ab und zu besucht, fällt sie auf, und da liegt es nahe, ein solches Phänomen mit verwandten Erscheinungen in der Kunst in ur¬ sächlichen Zusammenhang zu bringen. Es ist an und für sich nicht unwahr¬ scheinlich, daß die charakteristische Tonstimmung der Jsarlandschaft Wilhelm Diez und durch ihn seiner Schule allmählich so sehr in Fleisch und Blut über¬ gegangen ist, daß er und die Seinigen alle Objekte von einem kühlen Silbertone umgeben sehen. Mag diese Schlußfolgerung nun eine richtige sein oder nicht, so viel steht fest, daß die Landschaftsmaler, welche ihre Motive aus der bairischen Hoch¬ ebene schöpfen, sich mit Vorliebe in derselben Tonstimmung bewegen, und zwar sind es wiederum Maler, die sich um einen Künstler von hervorragender, ton¬ angebender Bedeutung gruppiren. Schleich war eine viel zu subjektive, zu stark lyrisch angelegte Natur, um eine festwurzelnde Schule begründen zu können. Er sah die Landschaft nicht unbefangen genug an, sondern er griff einzelne Töne heraus, welche seinem Auge, seiner seelischen Stimmung besonders be¬ hagten, um dieselben dann immer mehr die Oberhand gewinnen zu lassen. Adolf Lier, der viel zu früh gestorbene, welcher kein geringerer oder minder kräftiger Stimmungsmaler als Schleich war, sah dagegen die Landschaft mit ungleich objektiveren und freieren Blicken an. Seine Begabung war eine uni¬ versellere, und deshalb haben seine Gemälde als Landschaftsporträts einen höhern Wert als die Schlcichs. Liers Schule hat, gleich derjenigen von Diez, die höchsten Ehren davongetragen. Neben Andreas Ueberhand, welcher mit einem mit der alten Bravour, dem alten dramatischen Pathos gemalten „Seesturm"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/696>, abgerufen am 08.09.2024.