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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Rnnstausstelliing in München.

düngen des gebildeten Publikums entgegenkommen will, sich immer zum
Idealismus halten müssen, wenn sie auch nicht dem modernen Gefühl so starke
Konzessionen zu machen braucht, wie es Ernst Zimmermann in seiner "An-
betung der Hirten" gethan hat, welche mit einer zweiten Medaille gekrönt worden
ist. Es ist unstreitig ^ ein anmutiges, liebenswürdiges Bild, auf welchem der
Blick mit Vergnügen ruht. War aber schon der "zwölfjährige Christus im
Tempel," welcher vor vier Jahren ein Ehrendiplom erhielt, ein dnrch und durch
von moderner Empfindung eingegebenes und getragenes Bild, so ist dies in
noch stärkerem Grade mit der "Anbetung der Hirten" der Fall. Jenes Bild
hatte großen Beifall gefunden, und dadurch sah sich Zimmermann ermuntert,
auf demselben Wege fortzuschreiten. Ein eigentlich religiöses Bild hat auch
er nicht geschaffen, sondern nur eine idyllische Familienszene, welche ganz will¬
kürlich auf einen historischen Vorgang in alter Zeit überschrieben worden ist.
Das Helldunkel, welches den malerischen HauptreizAdes Bildes ausmacht,
ist uach einer andern Formel zusammengestimmt als bei Löfftz. Hier hat der
heitere Correggio die Elemente hergegeben, aus welchen sich der Kampf zwischen
Licht und Finsternis entspinnt. Es ist schwer, sich vor dem Gemälde des
modernen Künstlers des Gedankens an Correggios "Heilige Nacht" zu erwehren,
aber noch schwerer, wenn sich dieser Gedanke einmal festgesetzt hat, zu dem
neueren Bilde zurückzukehren. Obwohl der Italiener schon ganz moderne Züge
hatte, welche uns seine Physiognomie vertrauter machen als die jedes andern
Künstlers seiner Zeit, so steckt doch noch in ihm ein starkes Gefühl für die
Größe des Stils, welche religiösen Stoffen zukommt, ein Gefühl, welches bei
uns fast ganz verschwunden ist oder, wenn es zum Ausdruck kommt, sich in
hohlen akademischen Phrasen äußert. Dafür hat auch die Münchener Aus¬
stellung ein Beispiel in der "Kreuztragung Christi" von Georg Papperitz in
München auszuweisen, einer lahmen Komposition, welche, ans lauter Reminis¬
cenzen mühsam znsammenbuchstabirt, in keinen: Zuge erkennen läßt, daß der
Künstler sich auf eigne Füße zu stellen vermag.

Trotz der äußern Erfolge von Löfftz und Zimmermann kann nicht ver¬
hehlt werden, daß sich die neue Münchener Schule in der großen Historie sehr
unbehaglich fühlt. Das eigentliche Gebiet der um Diez gruppirten Künstler ist
und bleibt das Genre, und kommt ihnen einmal eine historische Szene, eine
Schlacht oder eine aus einer solchen sich ergebende Haupt- und Staatsaktion
unter die Finger, so wird sie -- vernünftigerweise -- zum militärischen Genre
herabgedrückt, weil man in demselben am besten Bescheid weiß. Unter diesem
Gesichtspunkte betrachtet ist Wilhelm Räubers figurenreiche, aber in mäßigen
Dimensionen gehaltene "Übergabe von Warschau an den großen Kurfürsten und
den schwedischen Feldmarschall Wrangel" eine tüchtige, verdienstliche Arbeit, an
welcher freilich die Kostüme, die energisch charakterisirten Gestalten und der kühle,
klare Silberton, welcher die Landschaft durchdringt und die Umrisse der Figuren


Die internationale Rnnstausstelliing in München.

düngen des gebildeten Publikums entgegenkommen will, sich immer zum
Idealismus halten müssen, wenn sie auch nicht dem modernen Gefühl so starke
Konzessionen zu machen braucht, wie es Ernst Zimmermann in seiner „An-
betung der Hirten" gethan hat, welche mit einer zweiten Medaille gekrönt worden
ist. Es ist unstreitig ^ ein anmutiges, liebenswürdiges Bild, auf welchem der
Blick mit Vergnügen ruht. War aber schon der „zwölfjährige Christus im
Tempel," welcher vor vier Jahren ein Ehrendiplom erhielt, ein dnrch und durch
von moderner Empfindung eingegebenes und getragenes Bild, so ist dies in
noch stärkerem Grade mit der „Anbetung der Hirten" der Fall. Jenes Bild
hatte großen Beifall gefunden, und dadurch sah sich Zimmermann ermuntert,
auf demselben Wege fortzuschreiten. Ein eigentlich religiöses Bild hat auch
er nicht geschaffen, sondern nur eine idyllische Familienszene, welche ganz will¬
kürlich auf einen historischen Vorgang in alter Zeit überschrieben worden ist.
Das Helldunkel, welches den malerischen HauptreizAdes Bildes ausmacht,
ist uach einer andern Formel zusammengestimmt als bei Löfftz. Hier hat der
heitere Correggio die Elemente hergegeben, aus welchen sich der Kampf zwischen
Licht und Finsternis entspinnt. Es ist schwer, sich vor dem Gemälde des
modernen Künstlers des Gedankens an Correggios „Heilige Nacht" zu erwehren,
aber noch schwerer, wenn sich dieser Gedanke einmal festgesetzt hat, zu dem
neueren Bilde zurückzukehren. Obwohl der Italiener schon ganz moderne Züge
hatte, welche uns seine Physiognomie vertrauter machen als die jedes andern
Künstlers seiner Zeit, so steckt doch noch in ihm ein starkes Gefühl für die
Größe des Stils, welche religiösen Stoffen zukommt, ein Gefühl, welches bei
uns fast ganz verschwunden ist oder, wenn es zum Ausdruck kommt, sich in
hohlen akademischen Phrasen äußert. Dafür hat auch die Münchener Aus¬
stellung ein Beispiel in der „Kreuztragung Christi" von Georg Papperitz in
München auszuweisen, einer lahmen Komposition, welche, ans lauter Reminis¬
cenzen mühsam znsammenbuchstabirt, in keinen: Zuge erkennen läßt, daß der
Künstler sich auf eigne Füße zu stellen vermag.

Trotz der äußern Erfolge von Löfftz und Zimmermann kann nicht ver¬
hehlt werden, daß sich die neue Münchener Schule in der großen Historie sehr
unbehaglich fühlt. Das eigentliche Gebiet der um Diez gruppirten Künstler ist
und bleibt das Genre, und kommt ihnen einmal eine historische Szene, eine
Schlacht oder eine aus einer solchen sich ergebende Haupt- und Staatsaktion
unter die Finger, so wird sie — vernünftigerweise — zum militärischen Genre
herabgedrückt, weil man in demselben am besten Bescheid weiß. Unter diesem
Gesichtspunkte betrachtet ist Wilhelm Räubers figurenreiche, aber in mäßigen
Dimensionen gehaltene „Übergabe von Warschau an den großen Kurfürsten und
den schwedischen Feldmarschall Wrangel" eine tüchtige, verdienstliche Arbeit, an
welcher freilich die Kostüme, die energisch charakterisirten Gestalten und der kühle,
klare Silberton, welcher die Landschaft durchdringt und die Umrisse der Figuren


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[0695] Die internationale Rnnstausstelliing in München. düngen des gebildeten Publikums entgegenkommen will, sich immer zum Idealismus halten müssen, wenn sie auch nicht dem modernen Gefühl so starke Konzessionen zu machen braucht, wie es Ernst Zimmermann in seiner „An- betung der Hirten" gethan hat, welche mit einer zweiten Medaille gekrönt worden ist. Es ist unstreitig ^ ein anmutiges, liebenswürdiges Bild, auf welchem der Blick mit Vergnügen ruht. War aber schon der „zwölfjährige Christus im Tempel," welcher vor vier Jahren ein Ehrendiplom erhielt, ein dnrch und durch von moderner Empfindung eingegebenes und getragenes Bild, so ist dies in noch stärkerem Grade mit der „Anbetung der Hirten" der Fall. Jenes Bild hatte großen Beifall gefunden, und dadurch sah sich Zimmermann ermuntert, auf demselben Wege fortzuschreiten. Ein eigentlich religiöses Bild hat auch er nicht geschaffen, sondern nur eine idyllische Familienszene, welche ganz will¬ kürlich auf einen historischen Vorgang in alter Zeit überschrieben worden ist. Das Helldunkel, welches den malerischen HauptreizAdes Bildes ausmacht, ist uach einer andern Formel zusammengestimmt als bei Löfftz. Hier hat der heitere Correggio die Elemente hergegeben, aus welchen sich der Kampf zwischen Licht und Finsternis entspinnt. Es ist schwer, sich vor dem Gemälde des modernen Künstlers des Gedankens an Correggios „Heilige Nacht" zu erwehren, aber noch schwerer, wenn sich dieser Gedanke einmal festgesetzt hat, zu dem neueren Bilde zurückzukehren. Obwohl der Italiener schon ganz moderne Züge hatte, welche uns seine Physiognomie vertrauter machen als die jedes andern Künstlers seiner Zeit, so steckt doch noch in ihm ein starkes Gefühl für die Größe des Stils, welche religiösen Stoffen zukommt, ein Gefühl, welches bei uns fast ganz verschwunden ist oder, wenn es zum Ausdruck kommt, sich in hohlen akademischen Phrasen äußert. Dafür hat auch die Münchener Aus¬ stellung ein Beispiel in der „Kreuztragung Christi" von Georg Papperitz in München auszuweisen, einer lahmen Komposition, welche, ans lauter Reminis¬ cenzen mühsam znsammenbuchstabirt, in keinen: Zuge erkennen läßt, daß der Künstler sich auf eigne Füße zu stellen vermag. Trotz der äußern Erfolge von Löfftz und Zimmermann kann nicht ver¬ hehlt werden, daß sich die neue Münchener Schule in der großen Historie sehr unbehaglich fühlt. Das eigentliche Gebiet der um Diez gruppirten Künstler ist und bleibt das Genre, und kommt ihnen einmal eine historische Szene, eine Schlacht oder eine aus einer solchen sich ergebende Haupt- und Staatsaktion unter die Finger, so wird sie — vernünftigerweise — zum militärischen Genre herabgedrückt, weil man in demselben am besten Bescheid weiß. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist Wilhelm Räubers figurenreiche, aber in mäßigen Dimensionen gehaltene „Übergabe von Warschau an den großen Kurfürsten und den schwedischen Feldmarschall Wrangel" eine tüchtige, verdienstliche Arbeit, an welcher freilich die Kostüme, die energisch charakterisirten Gestalten und der kühle, klare Silberton, welcher die Landschaft durchdringt und die Umrisse der Figuren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/695>, abgerufen am 08.09.2024.