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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Runstausstellung in München.

unbekannte Maler für ein Genrebild "Geiz und Liebe," welches in der Art des
Quintin Massys durch eine realistische Szene eine alte Moral illustrirte, ein
Ehrendiplom, eine Auszeichnung dritter Klasse. In diesem Jahre hat er für
eine "Piers," die erste Medaille erhalten. Hat ihn dort ein Antwerpener aus
der ersten Periode der Blütezeit der Kunst in der Scheldestadt inspirirt, so war
es jetzt der besten einer aus der zweiten Periode, Anton van Dhck. Eine leere
Nachahmung, welche sich auf die Wiedergabe des koloristischen Gewandes, auf
gewisse Tongegensätze beschränkt, haben wir jedoch nicht vor uns. Löfftz muß
einen reichen Fonds starker, eigner Empfindung besitzen, um eine Kraft der
Stimmung, die nicht ausschließlich durch das Kolorit erreicht wird, in seine
Darstellung hineinlegen zu können. Von dem Antlitze der schmerzensreichem
Mutter, welche mit gefalteten Händen zu den Füßen des langausgestrecktem
Leichnams kniet, ist wenig mehr als die Augen, die Partie um die Nase und
die Oberlippe zu sehen. Aber dieser Raum hat dem Maler zum Ausdruck eines
unermeßlichen Schmerzes genügt. Wohl hat derselbe sich bereits zu stiller
Fassung gemäßigt; indessen wirkt gerade diese Resignation in ihrer Hoffnungs¬
losigkeit ergreifender, als es die pathetische Darstellung eines heftigen Schmerz¬
ausbruches vermocht hätte. In der Einfachheit der Schilderung liegt ein großer
Vorzug dieses Bildes, welcher es namentlich über neuere französische Behand¬
lungen desselben Gegenstandes, z. B. über die Grablegung von Carolus Duran
erhebt. Aber nicht nur über diese gespreizte, in der Farbe unausstehlich rohe
Nachahmung Paul Veroneses, sondern auch über den Leichnam Christi von
Hemmer, welcher den religiösen Vorwand nur benutzt hat, um seine bekannten
Kunststücke in den tiefen Schattirungen des Fleisches und den schummrigen Um¬
rissen auszukramen. Bei Löfftz hat der religiöse Moment seine volle Kraft be¬
halten, und der Kolorist hat von der Gründlichkeit seiner Quellenstudien ein
rühmliches Zeugnis abgelegt. Im Grunde läuft alles auf die Behandlung des
Helldunkels hinaus, worin freilich viele den Gipfel alles malerischen Strebens
erblicken. Alle Formen und Farben sind von einem grauen Nebel umwallt, der
bald so durchsichtig ist, daß man noch das blaue Gewand der Madonna erkennt,
bald so massig und dunkel wird, daß sich das Auge in nächtliches Chaos zu verliere"
glaubt. Trotz unbestreitbarer Vorzüge macht das Bild aber keinen erfreulichen Ein¬
druck. Der Leichnam Christi ist so naturalistisch, so ängstlich detaillirt behandelt,
daß man das Gefühl nicht los wird, eine gewöhnliche Leichenstndie vor sich zu
haben, welche mit dem feinsten koloristischen Effekte umgeben ist, um das Auge
der Künstler zu gewinnen. Aus Künstlern ist ausschließlich die Jury zusammen¬
gesetzt, und diese hat auch die malerischen und zeichnerischen Vorzüge des Bildes
anerkannt. Aber das große Publikum, welches diese Vorzüge, die immerhin
nach der rein technischen Seite gravitiren, nicht zu würdigen vermag, wendet
sich mit Mißbehagen von einer Darstellung ab, welche ebensoviele anziehende
wie abstoßende Seiten hat. Die religiöse Kunst wird, wenn sie den Empfin-


Die internationale Runstausstellung in München.

unbekannte Maler für ein Genrebild „Geiz und Liebe," welches in der Art des
Quintin Massys durch eine realistische Szene eine alte Moral illustrirte, ein
Ehrendiplom, eine Auszeichnung dritter Klasse. In diesem Jahre hat er für
eine „Piers," die erste Medaille erhalten. Hat ihn dort ein Antwerpener aus
der ersten Periode der Blütezeit der Kunst in der Scheldestadt inspirirt, so war
es jetzt der besten einer aus der zweiten Periode, Anton van Dhck. Eine leere
Nachahmung, welche sich auf die Wiedergabe des koloristischen Gewandes, auf
gewisse Tongegensätze beschränkt, haben wir jedoch nicht vor uns. Löfftz muß
einen reichen Fonds starker, eigner Empfindung besitzen, um eine Kraft der
Stimmung, die nicht ausschließlich durch das Kolorit erreicht wird, in seine
Darstellung hineinlegen zu können. Von dem Antlitze der schmerzensreichem
Mutter, welche mit gefalteten Händen zu den Füßen des langausgestrecktem
Leichnams kniet, ist wenig mehr als die Augen, die Partie um die Nase und
die Oberlippe zu sehen. Aber dieser Raum hat dem Maler zum Ausdruck eines
unermeßlichen Schmerzes genügt. Wohl hat derselbe sich bereits zu stiller
Fassung gemäßigt; indessen wirkt gerade diese Resignation in ihrer Hoffnungs¬
losigkeit ergreifender, als es die pathetische Darstellung eines heftigen Schmerz¬
ausbruches vermocht hätte. In der Einfachheit der Schilderung liegt ein großer
Vorzug dieses Bildes, welcher es namentlich über neuere französische Behand¬
lungen desselben Gegenstandes, z. B. über die Grablegung von Carolus Duran
erhebt. Aber nicht nur über diese gespreizte, in der Farbe unausstehlich rohe
Nachahmung Paul Veroneses, sondern auch über den Leichnam Christi von
Hemmer, welcher den religiösen Vorwand nur benutzt hat, um seine bekannten
Kunststücke in den tiefen Schattirungen des Fleisches und den schummrigen Um¬
rissen auszukramen. Bei Löfftz hat der religiöse Moment seine volle Kraft be¬
halten, und der Kolorist hat von der Gründlichkeit seiner Quellenstudien ein
rühmliches Zeugnis abgelegt. Im Grunde läuft alles auf die Behandlung des
Helldunkels hinaus, worin freilich viele den Gipfel alles malerischen Strebens
erblicken. Alle Formen und Farben sind von einem grauen Nebel umwallt, der
bald so durchsichtig ist, daß man noch das blaue Gewand der Madonna erkennt,
bald so massig und dunkel wird, daß sich das Auge in nächtliches Chaos zu verliere«
glaubt. Trotz unbestreitbarer Vorzüge macht das Bild aber keinen erfreulichen Ein¬
druck. Der Leichnam Christi ist so naturalistisch, so ängstlich detaillirt behandelt,
daß man das Gefühl nicht los wird, eine gewöhnliche Leichenstndie vor sich zu
haben, welche mit dem feinsten koloristischen Effekte umgeben ist, um das Auge
der Künstler zu gewinnen. Aus Künstlern ist ausschließlich die Jury zusammen¬
gesetzt, und diese hat auch die malerischen und zeichnerischen Vorzüge des Bildes
anerkannt. Aber das große Publikum, welches diese Vorzüge, die immerhin
nach der rein technischen Seite gravitiren, nicht zu würdigen vermag, wendet
sich mit Mißbehagen von einer Darstellung ab, welche ebensoviele anziehende
wie abstoßende Seiten hat. Die religiöse Kunst wird, wenn sie den Empfin-


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[0694] Die internationale Runstausstellung in München. unbekannte Maler für ein Genrebild „Geiz und Liebe," welches in der Art des Quintin Massys durch eine realistische Szene eine alte Moral illustrirte, ein Ehrendiplom, eine Auszeichnung dritter Klasse. In diesem Jahre hat er für eine „Piers," die erste Medaille erhalten. Hat ihn dort ein Antwerpener aus der ersten Periode der Blütezeit der Kunst in der Scheldestadt inspirirt, so war es jetzt der besten einer aus der zweiten Periode, Anton van Dhck. Eine leere Nachahmung, welche sich auf die Wiedergabe des koloristischen Gewandes, auf gewisse Tongegensätze beschränkt, haben wir jedoch nicht vor uns. Löfftz muß einen reichen Fonds starker, eigner Empfindung besitzen, um eine Kraft der Stimmung, die nicht ausschließlich durch das Kolorit erreicht wird, in seine Darstellung hineinlegen zu können. Von dem Antlitze der schmerzensreichem Mutter, welche mit gefalteten Händen zu den Füßen des langausgestrecktem Leichnams kniet, ist wenig mehr als die Augen, die Partie um die Nase und die Oberlippe zu sehen. Aber dieser Raum hat dem Maler zum Ausdruck eines unermeßlichen Schmerzes genügt. Wohl hat derselbe sich bereits zu stiller Fassung gemäßigt; indessen wirkt gerade diese Resignation in ihrer Hoffnungs¬ losigkeit ergreifender, als es die pathetische Darstellung eines heftigen Schmerz¬ ausbruches vermocht hätte. In der Einfachheit der Schilderung liegt ein großer Vorzug dieses Bildes, welcher es namentlich über neuere französische Behand¬ lungen desselben Gegenstandes, z. B. über die Grablegung von Carolus Duran erhebt. Aber nicht nur über diese gespreizte, in der Farbe unausstehlich rohe Nachahmung Paul Veroneses, sondern auch über den Leichnam Christi von Hemmer, welcher den religiösen Vorwand nur benutzt hat, um seine bekannten Kunststücke in den tiefen Schattirungen des Fleisches und den schummrigen Um¬ rissen auszukramen. Bei Löfftz hat der religiöse Moment seine volle Kraft be¬ halten, und der Kolorist hat von der Gründlichkeit seiner Quellenstudien ein rühmliches Zeugnis abgelegt. Im Grunde läuft alles auf die Behandlung des Helldunkels hinaus, worin freilich viele den Gipfel alles malerischen Strebens erblicken. Alle Formen und Farben sind von einem grauen Nebel umwallt, der bald so durchsichtig ist, daß man noch das blaue Gewand der Madonna erkennt, bald so massig und dunkel wird, daß sich das Auge in nächtliches Chaos zu verliere« glaubt. Trotz unbestreitbarer Vorzüge macht das Bild aber keinen erfreulichen Ein¬ druck. Der Leichnam Christi ist so naturalistisch, so ängstlich detaillirt behandelt, daß man das Gefühl nicht los wird, eine gewöhnliche Leichenstndie vor sich zu haben, welche mit dem feinsten koloristischen Effekte umgeben ist, um das Auge der Künstler zu gewinnen. Aus Künstlern ist ausschließlich die Jury zusammen¬ gesetzt, und diese hat auch die malerischen und zeichnerischen Vorzüge des Bildes anerkannt. Aber das große Publikum, welches diese Vorzüge, die immerhin nach der rein technischen Seite gravitiren, nicht zu würdigen vermag, wendet sich mit Mißbehagen von einer Darstellung ab, welche ebensoviele anziehende wie abstoßende Seiten hat. Die religiöse Kunst wird, wenn sie den Empfin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/694>, abgerufen am 08.09.2024.