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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Vavidsbündler.

Februar 1838: "Was in den Tänzen steht, das wird mir meine Clara heraus¬
finden, der sie mehr wie irgend etwas von mir gewidmet sind. Ein ganzer
Polterabend nämlich ist die Geschichte, und du kannst dir nun Anfang und
Schluß ausmalen. War ich je glücklich am Klavier, so war es, als ich sie
komponirte!

Ende der dreißiger Jahre trat Schumanns Thätigkeit an seiner Zeitschrift
in den Hintergrund, und es folgt nun die Periode, in der er, gefördert und
geläutert durch seine kritische Thätigkeit, in rascher Folge und zum höchsten
Erstaunen seiner Freunde wie seiner Gegner, jene lange Reihe reifster und
schönster Werke schuf, in denen mit einem Schlage seine Sturm- und Drangzeit
als abgethan und überwunden erscheint. Auch über diese weitere Entwicklung
und ihre Ergebnisse, die ja weit über die Zeit des Davidsbundes hinausführen,
bringt Jcinsens Buch gelegentlich und zerstreut eine Fülle neuer Aufschlüsse; so
über Schumanns unbezwinglichen Schaffensdrang und die Raschheit und Leichtig¬
keit seiner Produktion, die heute für jeden Urteilsfähigen aus seinen Werken selbst
herausleuchtet, damals aber von vielen, die da meinten, Schumann müsst sich
alles "mühsam abquälen," nicht entfernt erkannt wurde; über seine veränderte
Stellung zum Liede, das anfangs von ihm vernachlässigt und geringgeschätzt,
Plötzlich ihn mit aller Gewalt ergriff und nun eifrig von ihm angebaut, eine
wichtige Dnrchgangsstnfe von seinen Klavierkompositionen zu seinen Instrumental-
Werken wurde; über diese Jnstrumentalwerke selbst und ihre Entstehung; über
sein Verhältnis zu den hervorragenderen seiner musikalischen Zeitgenossen, zu
Mendelssohn, Meyerbeer, Berlioz, Wagner -- ganz abgesehen von den zahlreichen
Beiträgen zu Schumanns üußerm Leben, namentlich während der Leipziger Zeit,
und zu seinem rein menschlichen Charakterbilde, Beiträgen, die, neben manchem
weniger Bedeutenden, für das man indeß, wo die Quellen so spärlich fließen,
auch von Herzen dankbar ist, doch unsre bisherige Kenntnis oft wesentlich er¬
weitern. Wie werden die Schumannfreunde staunen, z. B. zu hören, daß das
zuerst von den Trompeten und Hörnern gebrachte Thema des ersten Satzes der
L-aur-Symphonie ursprünglich eine Terz tiefer stand als jetzt, also genau so
lautete wie im Allegro und nur, weil es auf den damals noch allgemein ge-
bräuchlichen Naturinstrumenten nicht die erwartetete Wirkung that (die Töne
s' und ä kamen fast garnicht zu Gehör) von Schumann eine Terz höher gelegt
wurde! Wäre es, fragt man sich da, heute, wo die Bläser mit ihren Ventil-
iustrumenten die ursprüngliche Fassung, die Schumann nur ungern beseitigte,
zur vollen Wirkung bringen können, nicht an der Zeit, sie wieder in ihre Rolle
einzusetzen und so der Einleitung der Symphonie die wundervolle Steigerung
zurückzugeben, die sie durch die notgedrungene Änderung eingebüßt hat?

Mit besondrer Aufmerksamkeit -- und diesen einen Punkt wenigstens möchten
wir noch streifen -- sind wir in Jcmsens Buche den Stellen nachgegangen, die
über das gegenseitige Verhältnis Schumanns und Mendelssohns Licht verbreiten


Grenzboten III. 1883. 86
Die Vavidsbündler.

Februar 1838: „Was in den Tänzen steht, das wird mir meine Clara heraus¬
finden, der sie mehr wie irgend etwas von mir gewidmet sind. Ein ganzer
Polterabend nämlich ist die Geschichte, und du kannst dir nun Anfang und
Schluß ausmalen. War ich je glücklich am Klavier, so war es, als ich sie
komponirte!

Ende der dreißiger Jahre trat Schumanns Thätigkeit an seiner Zeitschrift
in den Hintergrund, und es folgt nun die Periode, in der er, gefördert und
geläutert durch seine kritische Thätigkeit, in rascher Folge und zum höchsten
Erstaunen seiner Freunde wie seiner Gegner, jene lange Reihe reifster und
schönster Werke schuf, in denen mit einem Schlage seine Sturm- und Drangzeit
als abgethan und überwunden erscheint. Auch über diese weitere Entwicklung
und ihre Ergebnisse, die ja weit über die Zeit des Davidsbundes hinausführen,
bringt Jcinsens Buch gelegentlich und zerstreut eine Fülle neuer Aufschlüsse; so
über Schumanns unbezwinglichen Schaffensdrang und die Raschheit und Leichtig¬
keit seiner Produktion, die heute für jeden Urteilsfähigen aus seinen Werken selbst
herausleuchtet, damals aber von vielen, die da meinten, Schumann müsst sich
alles „mühsam abquälen," nicht entfernt erkannt wurde; über seine veränderte
Stellung zum Liede, das anfangs von ihm vernachlässigt und geringgeschätzt,
Plötzlich ihn mit aller Gewalt ergriff und nun eifrig von ihm angebaut, eine
wichtige Dnrchgangsstnfe von seinen Klavierkompositionen zu seinen Instrumental-
Werken wurde; über diese Jnstrumentalwerke selbst und ihre Entstehung; über
sein Verhältnis zu den hervorragenderen seiner musikalischen Zeitgenossen, zu
Mendelssohn, Meyerbeer, Berlioz, Wagner — ganz abgesehen von den zahlreichen
Beiträgen zu Schumanns üußerm Leben, namentlich während der Leipziger Zeit,
und zu seinem rein menschlichen Charakterbilde, Beiträgen, die, neben manchem
weniger Bedeutenden, für das man indeß, wo die Quellen so spärlich fließen,
auch von Herzen dankbar ist, doch unsre bisherige Kenntnis oft wesentlich er¬
weitern. Wie werden die Schumannfreunde staunen, z. B. zu hören, daß das
zuerst von den Trompeten und Hörnern gebrachte Thema des ersten Satzes der
L-aur-Symphonie ursprünglich eine Terz tiefer stand als jetzt, also genau so
lautete wie im Allegro und nur, weil es auf den damals noch allgemein ge-
bräuchlichen Naturinstrumenten nicht die erwartetete Wirkung that (die Töne
s' und ä kamen fast garnicht zu Gehör) von Schumann eine Terz höher gelegt
wurde! Wäre es, fragt man sich da, heute, wo die Bläser mit ihren Ventil-
iustrumenten die ursprüngliche Fassung, die Schumann nur ungern beseitigte,
zur vollen Wirkung bringen können, nicht an der Zeit, sie wieder in ihre Rolle
einzusetzen und so der Einleitung der Symphonie die wundervolle Steigerung
zurückzugeben, die sie durch die notgedrungene Änderung eingebüßt hat?

Mit besondrer Aufmerksamkeit — und diesen einen Punkt wenigstens möchten
wir noch streifen — sind wir in Jcmsens Buche den Stellen nachgegangen, die
über das gegenseitige Verhältnis Schumanns und Mendelssohns Licht verbreiten


Grenzboten III. 1883. 86
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[0689] Die Vavidsbündler. Februar 1838: „Was in den Tänzen steht, das wird mir meine Clara heraus¬ finden, der sie mehr wie irgend etwas von mir gewidmet sind. Ein ganzer Polterabend nämlich ist die Geschichte, und du kannst dir nun Anfang und Schluß ausmalen. War ich je glücklich am Klavier, so war es, als ich sie komponirte! Ende der dreißiger Jahre trat Schumanns Thätigkeit an seiner Zeitschrift in den Hintergrund, und es folgt nun die Periode, in der er, gefördert und geläutert durch seine kritische Thätigkeit, in rascher Folge und zum höchsten Erstaunen seiner Freunde wie seiner Gegner, jene lange Reihe reifster und schönster Werke schuf, in denen mit einem Schlage seine Sturm- und Drangzeit als abgethan und überwunden erscheint. Auch über diese weitere Entwicklung und ihre Ergebnisse, die ja weit über die Zeit des Davidsbundes hinausführen, bringt Jcinsens Buch gelegentlich und zerstreut eine Fülle neuer Aufschlüsse; so über Schumanns unbezwinglichen Schaffensdrang und die Raschheit und Leichtig¬ keit seiner Produktion, die heute für jeden Urteilsfähigen aus seinen Werken selbst herausleuchtet, damals aber von vielen, die da meinten, Schumann müsst sich alles „mühsam abquälen," nicht entfernt erkannt wurde; über seine veränderte Stellung zum Liede, das anfangs von ihm vernachlässigt und geringgeschätzt, Plötzlich ihn mit aller Gewalt ergriff und nun eifrig von ihm angebaut, eine wichtige Dnrchgangsstnfe von seinen Klavierkompositionen zu seinen Instrumental- Werken wurde; über diese Jnstrumentalwerke selbst und ihre Entstehung; über sein Verhältnis zu den hervorragenderen seiner musikalischen Zeitgenossen, zu Mendelssohn, Meyerbeer, Berlioz, Wagner — ganz abgesehen von den zahlreichen Beiträgen zu Schumanns üußerm Leben, namentlich während der Leipziger Zeit, und zu seinem rein menschlichen Charakterbilde, Beiträgen, die, neben manchem weniger Bedeutenden, für das man indeß, wo die Quellen so spärlich fließen, auch von Herzen dankbar ist, doch unsre bisherige Kenntnis oft wesentlich er¬ weitern. Wie werden die Schumannfreunde staunen, z. B. zu hören, daß das zuerst von den Trompeten und Hörnern gebrachte Thema des ersten Satzes der L-aur-Symphonie ursprünglich eine Terz tiefer stand als jetzt, also genau so lautete wie im Allegro und nur, weil es auf den damals noch allgemein ge- bräuchlichen Naturinstrumenten nicht die erwartetete Wirkung that (die Töne s' und ä kamen fast garnicht zu Gehör) von Schumann eine Terz höher gelegt wurde! Wäre es, fragt man sich da, heute, wo die Bläser mit ihren Ventil- iustrumenten die ursprüngliche Fassung, die Schumann nur ungern beseitigte, zur vollen Wirkung bringen können, nicht an der Zeit, sie wieder in ihre Rolle einzusetzen und so der Einleitung der Symphonie die wundervolle Steigerung zurückzugeben, die sie durch die notgedrungene Änderung eingebüßt hat? Mit besondrer Aufmerksamkeit — und diesen einen Punkt wenigstens möchten wir noch streifen — sind wir in Jcmsens Buche den Stellen nachgegangen, die über das gegenseitige Verhältnis Schumanns und Mendelssohns Licht verbreiten Grenzboten III. 1883. 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/689>, abgerufen am 08.09.2024.