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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Davidsbündler.

können. Wir mißbilligen im höchsten Grade die thörichte Geringschätzung,
mit welcher vielfach heutzutage auf Mendelssohn zurückgeblickt wird. Die
Thatsache aber kann niemand leugnen, daß die hohe und ohne Zweifel auf¬
richtige Begeisterung, die Mendelssohn bei Lebzeiten und in der ersten Zeit nach
seinem Tode hervorrief, sich heute merklich abgekühlt hat, ebensowenig wie die
andre Thatsache, daß die Freunde und Kenner Schumanns, die vor zwanzig
Jahren beinahe noch wie eine Art stiller Gemeinde dastanden, einen von Jahr zu
Jahr mit immer größerer Schnelligkeit sich ausdehnenden Kreis bilden, und
dies völlig durch sich selbst und ohne alles und jedes Zuthun irgend welcher
Reklame als der, die von Mund zu Munde geht. Selbst in den Leipziger
Gewandhauskonzerten, wo die Mendelssohnschen Traditionen hoch und heilig
gehalten werden wie nirgends sonst auf der Welt, erscheint Mendelssohn auf
den Konzertprogrammen jetzt seltener als früher, wogegen die Schumannschen
Symphonien, die früher immer nur vereinzelt und halb widerwillig geboten
wurden, seit einigen Jahren jeden Winter vollzählig anrücken, und während eine
Aufführung der Musik zur "Athalia" jetzt gelegentlich bei lückenhaft besuchten
Saale stattfindet, zeigt ein Konzert mit einer Schumannschen Symphonie stets
ein besonders glänzendes und festlich animirtes Gesicht. Diese Thatsachen geben
zu denken. Die Musittegcnde Leipzigs will wissen, daß das, was sich in diesen
Erscheinungen vollzieht, von Mendelssohn sehr wohl geahnt worden sei und
daß diese Ahnung anch in seinem Betragen gegen Schumann zum Ausdruck ge¬
kommen sei. Während Schumann mit der innigsten und neidlosesten Verehrung
an Mendelssohn gehangen habe, sei dieser und seine Partei von der namentlich
seit 1840 immer mächtiger hervortretenden Bedeutung Schumanns nicht son¬
derlich erbaut gewesen. Hoffentlich wird die bald zu erwartende "Geschichte
des Leipziger Gewandhauskonzerts" ans der Feder A. Dörffels, der die Men¬
delssohn-Schumannzeit ii? Leipzig mit durchlebt hat, das nötige Licht über diese
Dinge verbreiten. Auffällig ist es, daß die Briefe Mendelssohns, so viele
ihrer auch veröffentlicht sind, absolut nichts über Schumann enthalten. Fast
scheint es, als ob die auf Schumann bezüglichen Stellen von den Heraus¬
gebern stets gestrichen worden seien, um, wenn sie wohlwollend waren, Schu¬
mann nicht zu nützen, wenn sie übelwollend waren, Mendelssohn nicht zu schaden.
Dagegen bringt Jansens Buch wieder einige köstliche Bestätigungen für Schu¬
manns aufrichtige Gesinnung gegen Mendelssohn. Am 4. November 1848
schreibt er an Verhulst nach Holland: "Kommst du uicht bald nach Deutschland
wieder? -- Alle findest du wieder -- und nur den einen nicht, der der aller¬
beste war. Heute ist's gerade ein Jahr her, daß er von uns schied." Aus
mündlicher Mitteilung erzählt Jansen einen Vorfall aus demselben Jahre. Ein
noch heute lebender berühmter Künstler war bei Schumann zu Gaste und witzelte
in etwas geringschätziger Weise über Mendelssohn. Eine Zeit lang hörte ihn
Schumann schweigend an, dann aber faßte er die elegante Gestalt seines Gastes


Die Davidsbündler.

können. Wir mißbilligen im höchsten Grade die thörichte Geringschätzung,
mit welcher vielfach heutzutage auf Mendelssohn zurückgeblickt wird. Die
Thatsache aber kann niemand leugnen, daß die hohe und ohne Zweifel auf¬
richtige Begeisterung, die Mendelssohn bei Lebzeiten und in der ersten Zeit nach
seinem Tode hervorrief, sich heute merklich abgekühlt hat, ebensowenig wie die
andre Thatsache, daß die Freunde und Kenner Schumanns, die vor zwanzig
Jahren beinahe noch wie eine Art stiller Gemeinde dastanden, einen von Jahr zu
Jahr mit immer größerer Schnelligkeit sich ausdehnenden Kreis bilden, und
dies völlig durch sich selbst und ohne alles und jedes Zuthun irgend welcher
Reklame als der, die von Mund zu Munde geht. Selbst in den Leipziger
Gewandhauskonzerten, wo die Mendelssohnschen Traditionen hoch und heilig
gehalten werden wie nirgends sonst auf der Welt, erscheint Mendelssohn auf
den Konzertprogrammen jetzt seltener als früher, wogegen die Schumannschen
Symphonien, die früher immer nur vereinzelt und halb widerwillig geboten
wurden, seit einigen Jahren jeden Winter vollzählig anrücken, und während eine
Aufführung der Musik zur „Athalia" jetzt gelegentlich bei lückenhaft besuchten
Saale stattfindet, zeigt ein Konzert mit einer Schumannschen Symphonie stets
ein besonders glänzendes und festlich animirtes Gesicht. Diese Thatsachen geben
zu denken. Die Musittegcnde Leipzigs will wissen, daß das, was sich in diesen
Erscheinungen vollzieht, von Mendelssohn sehr wohl geahnt worden sei und
daß diese Ahnung anch in seinem Betragen gegen Schumann zum Ausdruck ge¬
kommen sei. Während Schumann mit der innigsten und neidlosesten Verehrung
an Mendelssohn gehangen habe, sei dieser und seine Partei von der namentlich
seit 1840 immer mächtiger hervortretenden Bedeutung Schumanns nicht son¬
derlich erbaut gewesen. Hoffentlich wird die bald zu erwartende „Geschichte
des Leipziger Gewandhauskonzerts" ans der Feder A. Dörffels, der die Men¬
delssohn-Schumannzeit ii? Leipzig mit durchlebt hat, das nötige Licht über diese
Dinge verbreiten. Auffällig ist es, daß die Briefe Mendelssohns, so viele
ihrer auch veröffentlicht sind, absolut nichts über Schumann enthalten. Fast
scheint es, als ob die auf Schumann bezüglichen Stellen von den Heraus¬
gebern stets gestrichen worden seien, um, wenn sie wohlwollend waren, Schu¬
mann nicht zu nützen, wenn sie übelwollend waren, Mendelssohn nicht zu schaden.
Dagegen bringt Jansens Buch wieder einige köstliche Bestätigungen für Schu¬
manns aufrichtige Gesinnung gegen Mendelssohn. Am 4. November 1848
schreibt er an Verhulst nach Holland: „Kommst du uicht bald nach Deutschland
wieder? — Alle findest du wieder — und nur den einen nicht, der der aller¬
beste war. Heute ist's gerade ein Jahr her, daß er von uns schied." Aus
mündlicher Mitteilung erzählt Jansen einen Vorfall aus demselben Jahre. Ein
noch heute lebender berühmter Künstler war bei Schumann zu Gaste und witzelte
in etwas geringschätziger Weise über Mendelssohn. Eine Zeit lang hörte ihn
Schumann schweigend an, dann aber faßte er die elegante Gestalt seines Gastes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/690>, abgerufen am 08.09.2024.