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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Lonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen.

schwermütigen Maultiertreiber, daß derselbe einer Jungfrau Gertrud in Liebe
zugethan sei, welche leider, ihrer Liebe entsagend, die Absicht habe, demnächst
den Schleier zu nehmen und ihre Hüfte mit dem Strick zu umgürten. Bei der
natürlichen Feindseligkeit des Humanisten gegen Klosterleben und Klostergelübde
darf es nicht Wunder nehmen, daß Poggio alsbald die Partei seines Hänschens
ergreift und, im Nonnenkloster angelangt, fast ebenso eifrig nach der Bekannt¬
schaft mit der blonden Germanin, die wegen eines von ihr beklagten Gelübdes
einer andern, dem Kloster verfallen soll, als nach der Handschrift des lateinischen
Komödiendichters strebt. Das Glück ist ihm günstig, und sein scharfes Auge
entdeckt bald, daß im Kloster seit langer Zeit ein Scheinwunder produzirt wird.
Die groteske Äbtissin, das Brigittchcn von Troger, hat von ihren Vorgängerinnen
ein großes, schweres hölzernes Kreuz ererbt, viel zu schwer, um aus gewöhn¬
lichen Menschenschultern, auf Frauenschultern zumal, getragen zu werden. Die
Gottesmutter und Himmelskönigin aber steht denen bei, die das Kreuz tragen,
wenn sie dieselben in ihren Dienst will, die Thatsache, daß eine Novize das
Kreuz vor allem Volke daher trägt, weiht sie zur Klostcrschwester. Natürlich
ist im Kloster ein leichtes Gaukelkreuz dem echten täuschend ähnlich vorhanden,
das im rechten Augenblick den Novizen aufgelegt wird. Poggio weiß durch die
Entdeckung dieses frommen Betruges seinen Plautus zu gewinnen, er weiß auch
die arme Gertrud geschickt zu warnen. Sie bezeichnet sich das echte Kreuz, sie
wirft verächtlich das trügerische Holz beiseite, nimmt das zentnerschwere auf die
Schultern, schreitet kühnlich vor und bricht mit der Überlast zusammen. Von
den entsetzten Nonnen wird Gertrud unter dem Kreuze hervorgezogen und auf¬
gerichtet. Sie hat im Falle das Bewußtsein verloren, aber bald kehrte dem
kräftigen Mädchen die Besinnung wieder. Sie streicht mit der Hand über die
Stirn. Ihr Blick fällt auf das Kreuz, welches sie erdrückt hat. Über ihr
Antlitz verbreitet sich ein Lächeln des Dankes für die ausgebliebene Hilfe
Marias. Dann spricht sie mit einer himmlischen Heiterkeit die schalkhaften Worte:
"Du willst mich nicht, reine Magd: so will mich ein andrer!" Sie schreitet
auf die aus dem Chor in das Schiff der Kirche führenden Stufen. "Zu¬
gleich wanderten ihre Augen suchend im Volke und fanden, wen sie suchten.
Es ward eine große Stille, Hans von Splügen, begann Gertrud laut und
vernehmlich, nimmst dn mich zu deinem Eheweibe? Ja freilich! Mit tausend
Freuden! Steig nur herunter! antwortete fröhlich aus der Tiefe des Schiffes
eine überzeugende Männerstimme." Dem Aufruhr, welcher dem verunglückten
Wunder und der Rückkehr Gertruds zu ihrem Liebsten folgt, kann Poggio als
Kleriker ein Ende macheu. Eben hat er von Kosemitz die Nachricht vou der
erfolgten Wahl des Kardinals Otto von Colonnci zum Papste erhalten und
stimmt ein schallendes Tedeum an.

Den Preis vor dieser unedirten Facetie des Poggio, so hübsch sie auch
erzählt ist, verdient jedenfalls die neueste Novelle C. F. Meyers "Gustav Adolfs


Grenzboten III. 1833.
Lonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen.

schwermütigen Maultiertreiber, daß derselbe einer Jungfrau Gertrud in Liebe
zugethan sei, welche leider, ihrer Liebe entsagend, die Absicht habe, demnächst
den Schleier zu nehmen und ihre Hüfte mit dem Strick zu umgürten. Bei der
natürlichen Feindseligkeit des Humanisten gegen Klosterleben und Klostergelübde
darf es nicht Wunder nehmen, daß Poggio alsbald die Partei seines Hänschens
ergreift und, im Nonnenkloster angelangt, fast ebenso eifrig nach der Bekannt¬
schaft mit der blonden Germanin, die wegen eines von ihr beklagten Gelübdes
einer andern, dem Kloster verfallen soll, als nach der Handschrift des lateinischen
Komödiendichters strebt. Das Glück ist ihm günstig, und sein scharfes Auge
entdeckt bald, daß im Kloster seit langer Zeit ein Scheinwunder produzirt wird.
Die groteske Äbtissin, das Brigittchcn von Troger, hat von ihren Vorgängerinnen
ein großes, schweres hölzernes Kreuz ererbt, viel zu schwer, um aus gewöhn¬
lichen Menschenschultern, auf Frauenschultern zumal, getragen zu werden. Die
Gottesmutter und Himmelskönigin aber steht denen bei, die das Kreuz tragen,
wenn sie dieselben in ihren Dienst will, die Thatsache, daß eine Novize das
Kreuz vor allem Volke daher trägt, weiht sie zur Klostcrschwester. Natürlich
ist im Kloster ein leichtes Gaukelkreuz dem echten täuschend ähnlich vorhanden,
das im rechten Augenblick den Novizen aufgelegt wird. Poggio weiß durch die
Entdeckung dieses frommen Betruges seinen Plautus zu gewinnen, er weiß auch
die arme Gertrud geschickt zu warnen. Sie bezeichnet sich das echte Kreuz, sie
wirft verächtlich das trügerische Holz beiseite, nimmt das zentnerschwere auf die
Schultern, schreitet kühnlich vor und bricht mit der Überlast zusammen. Von
den entsetzten Nonnen wird Gertrud unter dem Kreuze hervorgezogen und auf¬
gerichtet. Sie hat im Falle das Bewußtsein verloren, aber bald kehrte dem
kräftigen Mädchen die Besinnung wieder. Sie streicht mit der Hand über die
Stirn. Ihr Blick fällt auf das Kreuz, welches sie erdrückt hat. Über ihr
Antlitz verbreitet sich ein Lächeln des Dankes für die ausgebliebene Hilfe
Marias. Dann spricht sie mit einer himmlischen Heiterkeit die schalkhaften Worte:
„Du willst mich nicht, reine Magd: so will mich ein andrer!" Sie schreitet
auf die aus dem Chor in das Schiff der Kirche führenden Stufen. „Zu¬
gleich wanderten ihre Augen suchend im Volke und fanden, wen sie suchten.
Es ward eine große Stille, Hans von Splügen, begann Gertrud laut und
vernehmlich, nimmst dn mich zu deinem Eheweibe? Ja freilich! Mit tausend
Freuden! Steig nur herunter! antwortete fröhlich aus der Tiefe des Schiffes
eine überzeugende Männerstimme." Dem Aufruhr, welcher dem verunglückten
Wunder und der Rückkehr Gertruds zu ihrem Liebsten folgt, kann Poggio als
Kleriker ein Ende macheu. Eben hat er von Kosemitz die Nachricht vou der
erfolgten Wahl des Kardinals Otto von Colonnci zum Papste erhalten und
stimmt ein schallendes Tedeum an.

Den Preis vor dieser unedirten Facetie des Poggio, so hübsch sie auch
erzählt ist, verdient jedenfalls die neueste Novelle C. F. Meyers „Gustav Adolfs


Grenzboten III. 1833.
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[0625] Lonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen. schwermütigen Maultiertreiber, daß derselbe einer Jungfrau Gertrud in Liebe zugethan sei, welche leider, ihrer Liebe entsagend, die Absicht habe, demnächst den Schleier zu nehmen und ihre Hüfte mit dem Strick zu umgürten. Bei der natürlichen Feindseligkeit des Humanisten gegen Klosterleben und Klostergelübde darf es nicht Wunder nehmen, daß Poggio alsbald die Partei seines Hänschens ergreift und, im Nonnenkloster angelangt, fast ebenso eifrig nach der Bekannt¬ schaft mit der blonden Germanin, die wegen eines von ihr beklagten Gelübdes einer andern, dem Kloster verfallen soll, als nach der Handschrift des lateinischen Komödiendichters strebt. Das Glück ist ihm günstig, und sein scharfes Auge entdeckt bald, daß im Kloster seit langer Zeit ein Scheinwunder produzirt wird. Die groteske Äbtissin, das Brigittchcn von Troger, hat von ihren Vorgängerinnen ein großes, schweres hölzernes Kreuz ererbt, viel zu schwer, um aus gewöhn¬ lichen Menschenschultern, auf Frauenschultern zumal, getragen zu werden. Die Gottesmutter und Himmelskönigin aber steht denen bei, die das Kreuz tragen, wenn sie dieselben in ihren Dienst will, die Thatsache, daß eine Novize das Kreuz vor allem Volke daher trägt, weiht sie zur Klostcrschwester. Natürlich ist im Kloster ein leichtes Gaukelkreuz dem echten täuschend ähnlich vorhanden, das im rechten Augenblick den Novizen aufgelegt wird. Poggio weiß durch die Entdeckung dieses frommen Betruges seinen Plautus zu gewinnen, er weiß auch die arme Gertrud geschickt zu warnen. Sie bezeichnet sich das echte Kreuz, sie wirft verächtlich das trügerische Holz beiseite, nimmt das zentnerschwere auf die Schultern, schreitet kühnlich vor und bricht mit der Überlast zusammen. Von den entsetzten Nonnen wird Gertrud unter dem Kreuze hervorgezogen und auf¬ gerichtet. Sie hat im Falle das Bewußtsein verloren, aber bald kehrte dem kräftigen Mädchen die Besinnung wieder. Sie streicht mit der Hand über die Stirn. Ihr Blick fällt auf das Kreuz, welches sie erdrückt hat. Über ihr Antlitz verbreitet sich ein Lächeln des Dankes für die ausgebliebene Hilfe Marias. Dann spricht sie mit einer himmlischen Heiterkeit die schalkhaften Worte: „Du willst mich nicht, reine Magd: so will mich ein andrer!" Sie schreitet auf die aus dem Chor in das Schiff der Kirche führenden Stufen. „Zu¬ gleich wanderten ihre Augen suchend im Volke und fanden, wen sie suchten. Es ward eine große Stille, Hans von Splügen, begann Gertrud laut und vernehmlich, nimmst dn mich zu deinem Eheweibe? Ja freilich! Mit tausend Freuden! Steig nur herunter! antwortete fröhlich aus der Tiefe des Schiffes eine überzeugende Männerstimme." Dem Aufruhr, welcher dem verunglückten Wunder und der Rückkehr Gertruds zu ihrem Liebsten folgt, kann Poggio als Kleriker ein Ende macheu. Eben hat er von Kosemitz die Nachricht vou der erfolgten Wahl des Kardinals Otto von Colonnci zum Papste erhalten und stimmt ein schallendes Tedeum an. Den Preis vor dieser unedirten Facetie des Poggio, so hübsch sie auch erzählt ist, verdient jedenfalls die neueste Novelle C. F. Meyers „Gustav Adolfs Grenzboten III. 1833.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/625>, abgerufen am 08.09.2024.