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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Tonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen.

sich ausgehen zu lassen und sich in die bösesten Mäuler zu bringen, der andre
ein Pfarrer, welcher dabei ein gewaltiger Nimrod ist. An den als Heiden ver¬
rufenen General wendet sich der sehr christliche Kandidat rsv. Ninist. Pfannen-
stiel, welcher die anmutige Pfarrerstochter Rahel, die Base und Patin des
Generals liebt, und sucht Beistand für seine Liebe. Er hat Interesse erregt dnrch
eine Abhandlung über die Odyssee, in der er zu beweisen suchte, daß der in
Bettler- und Knechtsgcstalt heimkehrende Odysseus unsern Herrn und Heiland
bedeute, wenn er zu richten kommt Lebendige und Tote. Der als Literatur-
keuner gefeierte General nimmt in der That Anteil an dem Kandidaten und
noch mehr an seiner Nichte und verspricht dem schüchtern poetischen Pfannen¬
stiel zum Pfarramt von Mythikon und zur Hand Rahels zu verhelfen. Aber
seiner Natur getreu vermag er das nur durch einen Schabernack. Auf die
Waffenlcidenschaft seines Vetter Pfarrers bauend, schiebt er diesem im Augen¬
blick, da er die Kanzel besteigen will, statt eines schwer losgehenden Pistols ein
leichtes unter, und es geschieht, worauf er gerechnet hat, der Pfarrherr von
Mythikon kann sich nicht versagen, während der Predigt mit der Waffe nnter
den Falten seines Chorrockes zu spielen. "Der Pfarrer hatte im Jener der
Aktion, während seine Linke vor allem Volke gestikulirte, mir der durch die
Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder hervorgezogen.
Lobet Gott mit großem Schalle! rief er aus, und pass! knallte ein kräftiger
Schuß. Er stand im Neues. Als er wieder sichtbar wurde, quoll die blaue
Pulverwolke laugsam um ihn empor und schwebte wie ein Weihrauch über der
Gemeinde." Infolge des so gegebenen Ärgernisses legt Wilpert Wertmüller
seine geistliche Stelle nieder und zieht als Verwalter und präsumtiver Erbe in
das Schloß des Generals Rudolf Wertmüller, wo er seiner Jagd- und Waffen¬
leidenschaft ohne Hindernis fröhnen kann, der Kandidat Pfcinnensticl erhält die
Stelle und wird der Bräutigam Rahels, der General zieht wieder in den Krieg
nach Deutschland, wo ihn demnächst sein Ende ereilt. In dieser Novelle, welche
sich natürlich und leicht im Verlaufe weniger Stunden abspielt, fällt vor allem
das Gleichmaß der Ausführung angenehm auf, jeder einzelne Moment ist wohl
bedacht, tritt lebendig in sein Recht und doch keiner ungebührlich hervor. Und
die vier Hauptgestalten, die beiden Wcrtmüller, die schöne Rahel und ihr
Kandidat, sind sehr glücklich charakterisirt.

Die Novelle "Plautus im Nonnenkloster," die mindest umfangreiche von
allen, ist in den Mund des Poggio Braccialini, des geistreichen Humanisten
und Verfassers der vielberüchtigten Faeeticu gelegt. Sie erzählt, wie Poggio
als Sekretär eines Kardinals am Konzil von Kosemitz Anteil genommen habe
und während desselben durch die Kunde erregt worden sei, daß in einem benach¬
barten, auf Schweizer Boden gelegenen Nonnenkloster sich eine Handschrift des
Plautus erhalten habe. Poggio bricht nach dem Kloster auf, macht unterwegs
die Bekanntschaft mit dem jungen Anselino ti Spiuga und erfährt von diesem


Tonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen.

sich ausgehen zu lassen und sich in die bösesten Mäuler zu bringen, der andre
ein Pfarrer, welcher dabei ein gewaltiger Nimrod ist. An den als Heiden ver¬
rufenen General wendet sich der sehr christliche Kandidat rsv. Ninist. Pfannen-
stiel, welcher die anmutige Pfarrerstochter Rahel, die Base und Patin des
Generals liebt, und sucht Beistand für seine Liebe. Er hat Interesse erregt dnrch
eine Abhandlung über die Odyssee, in der er zu beweisen suchte, daß der in
Bettler- und Knechtsgcstalt heimkehrende Odysseus unsern Herrn und Heiland
bedeute, wenn er zu richten kommt Lebendige und Tote. Der als Literatur-
keuner gefeierte General nimmt in der That Anteil an dem Kandidaten und
noch mehr an seiner Nichte und verspricht dem schüchtern poetischen Pfannen¬
stiel zum Pfarramt von Mythikon und zur Hand Rahels zu verhelfen. Aber
seiner Natur getreu vermag er das nur durch einen Schabernack. Auf die
Waffenlcidenschaft seines Vetter Pfarrers bauend, schiebt er diesem im Augen¬
blick, da er die Kanzel besteigen will, statt eines schwer losgehenden Pistols ein
leichtes unter, und es geschieht, worauf er gerechnet hat, der Pfarrherr von
Mythikon kann sich nicht versagen, während der Predigt mit der Waffe nnter
den Falten seines Chorrockes zu spielen. „Der Pfarrer hatte im Jener der
Aktion, während seine Linke vor allem Volke gestikulirte, mir der durch die
Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder hervorgezogen.
Lobet Gott mit großem Schalle! rief er aus, und pass! knallte ein kräftiger
Schuß. Er stand im Neues. Als er wieder sichtbar wurde, quoll die blaue
Pulverwolke laugsam um ihn empor und schwebte wie ein Weihrauch über der
Gemeinde." Infolge des so gegebenen Ärgernisses legt Wilpert Wertmüller
seine geistliche Stelle nieder und zieht als Verwalter und präsumtiver Erbe in
das Schloß des Generals Rudolf Wertmüller, wo er seiner Jagd- und Waffen¬
leidenschaft ohne Hindernis fröhnen kann, der Kandidat Pfcinnensticl erhält die
Stelle und wird der Bräutigam Rahels, der General zieht wieder in den Krieg
nach Deutschland, wo ihn demnächst sein Ende ereilt. In dieser Novelle, welche
sich natürlich und leicht im Verlaufe weniger Stunden abspielt, fällt vor allem
das Gleichmaß der Ausführung angenehm auf, jeder einzelne Moment ist wohl
bedacht, tritt lebendig in sein Recht und doch keiner ungebührlich hervor. Und
die vier Hauptgestalten, die beiden Wcrtmüller, die schöne Rahel und ihr
Kandidat, sind sehr glücklich charakterisirt.

Die Novelle „Plautus im Nonnenkloster," die mindest umfangreiche von
allen, ist in den Mund des Poggio Braccialini, des geistreichen Humanisten
und Verfassers der vielberüchtigten Faeeticu gelegt. Sie erzählt, wie Poggio
als Sekretär eines Kardinals am Konzil von Kosemitz Anteil genommen habe
und während desselben durch die Kunde erregt worden sei, daß in einem benach¬
barten, auf Schweizer Boden gelegenen Nonnenkloster sich eine Handschrift des
Plautus erhalten habe. Poggio bricht nach dem Kloster auf, macht unterwegs
die Bekanntschaft mit dem jungen Anselino ti Spiuga und erfährt von diesem


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[0624] Tonrad Ferdinand Meyers kleine Novellen. sich ausgehen zu lassen und sich in die bösesten Mäuler zu bringen, der andre ein Pfarrer, welcher dabei ein gewaltiger Nimrod ist. An den als Heiden ver¬ rufenen General wendet sich der sehr christliche Kandidat rsv. Ninist. Pfannen- stiel, welcher die anmutige Pfarrerstochter Rahel, die Base und Patin des Generals liebt, und sucht Beistand für seine Liebe. Er hat Interesse erregt dnrch eine Abhandlung über die Odyssee, in der er zu beweisen suchte, daß der in Bettler- und Knechtsgcstalt heimkehrende Odysseus unsern Herrn und Heiland bedeute, wenn er zu richten kommt Lebendige und Tote. Der als Literatur- keuner gefeierte General nimmt in der That Anteil an dem Kandidaten und noch mehr an seiner Nichte und verspricht dem schüchtern poetischen Pfannen¬ stiel zum Pfarramt von Mythikon und zur Hand Rahels zu verhelfen. Aber seiner Natur getreu vermag er das nur durch einen Schabernack. Auf die Waffenlcidenschaft seines Vetter Pfarrers bauend, schiebt er diesem im Augen¬ blick, da er die Kanzel besteigen will, statt eines schwer losgehenden Pistols ein leichtes unter, und es geschieht, worauf er gerechnet hat, der Pfarrherr von Mythikon kann sich nicht versagen, während der Predigt mit der Waffe nnter den Falten seines Chorrockes zu spielen. „Der Pfarrer hatte im Jener der Aktion, während seine Linke vor allem Volke gestikulirte, mir der durch die Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder hervorgezogen. Lobet Gott mit großem Schalle! rief er aus, und pass! knallte ein kräftiger Schuß. Er stand im Neues. Als er wieder sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke laugsam um ihn empor und schwebte wie ein Weihrauch über der Gemeinde." Infolge des so gegebenen Ärgernisses legt Wilpert Wertmüller seine geistliche Stelle nieder und zieht als Verwalter und präsumtiver Erbe in das Schloß des Generals Rudolf Wertmüller, wo er seiner Jagd- und Waffen¬ leidenschaft ohne Hindernis fröhnen kann, der Kandidat Pfcinnensticl erhält die Stelle und wird der Bräutigam Rahels, der General zieht wieder in den Krieg nach Deutschland, wo ihn demnächst sein Ende ereilt. In dieser Novelle, welche sich natürlich und leicht im Verlaufe weniger Stunden abspielt, fällt vor allem das Gleichmaß der Ausführung angenehm auf, jeder einzelne Moment ist wohl bedacht, tritt lebendig in sein Recht und doch keiner ungebührlich hervor. Und die vier Hauptgestalten, die beiden Wcrtmüller, die schöne Rahel und ihr Kandidat, sind sehr glücklich charakterisirt. Die Novelle „Plautus im Nonnenkloster," die mindest umfangreiche von allen, ist in den Mund des Poggio Braccialini, des geistreichen Humanisten und Verfassers der vielberüchtigten Faeeticu gelegt. Sie erzählt, wie Poggio als Sekretär eines Kardinals am Konzil von Kosemitz Anteil genommen habe und während desselben durch die Kunde erregt worden sei, daß in einem benach¬ barten, auf Schweizer Boden gelegenen Nonnenkloster sich eine Handschrift des Plautus erhalten habe. Poggio bricht nach dem Kloster auf, macht unterwegs die Bekanntschaft mit dem jungen Anselino ti Spiuga und erfährt von diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/624>, abgerufen am 08.09.2024.