Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Krieg zu führen. Dieselbe ist nicht einheitlich organisirt und geübt. Ein Teil
der Truppen des Mikado, und zwar der kleinere, ist von Offizieren aus Frankreich
einexerzirt worden und nach Art des französischen Heeres gekleidet und bewaffnet.
Die größere Hälfte aber trägt Uniformen, die eine fast genaue Kopie der deutschen
sind, von der flachen, schirmlose" Mütze bis hinunter zu den hohen Stiefeln.
Die früher hier beschäftigten französischen Offiziere sind schon seit Jahren ent¬
lassen und nach Hause gesandt worden, und an ihre Stelle sind deutsche Jnstrnktoren
getreten. Das wäre gewiß kein Nachteil, aber die Qualität der Armee läßt
viel zu wünschen übrig. Das Menschenmaterial ist meist nicht viel wert. Die
Leute sind nicht bloß klein, sondern großenteils mich von schwächlichem Bau,
und selbst die Infanterie, noch die beste Waffe, steht sowohl in ihren physischen
als in ihren andern Eigenschaften erheblich tiefer als die in andern zivilisirten
Ländern. Sie hielt sich vor kurzem allerdings sehr ant, als es eine Revolution
niederzuwerfen galt, aber sie focht dabei wie asiatische Barbaren: die Leute
zogen ihre Stiefel aus, warfen sie und die Schießgewehre beiseite und griffen
die Gegner barfuß und mit den Säbeln in der Faust an. Als disziplinirte
Truppen haben sie nicht viel zu bedeuten. Die Artillerie ist natürlich schwach,
und wieviel die Kavallerie wert sein kann, läßt sich sofort aus der Erinnerung
schließen, daß bis vor wenigen Jahren niemand in Japan, ausgenommen die
Samurai oder der Adel, ein Pferd besteigen durfte. Ein Volk, welches in seiner
großen Mehrzahl niemals zu Pferde gesessen und verhältnismäßig selten einen
Reiter gesehen hat, kann nicht wohl in fünf oder sechs Jahren dahin gebracht
werden, daß es eine tüchtige Kavallerie liefert. Abgesehen von diesen Mängeln
sind die Japanesen tapfre Soldaten, aber ihre Befehlshaber haben sehr wenig
Erfahrung und zeigen daher nur wenig Verständnis und Geschick in strategischen
Dingen. Zu alledem kommt aber noch ein andres, was Japan schwerlich an
Beteiligung an einem großen Kriege denken lassen wird. Das Land bedarf
weit mehr des Friedens als des Krieges, es ist finanziell nicht in der besten
Verfassung, es verwendet sein Geld viel besser ans weitere Fortschritte auf der
Bahn der Gesittung, die es vor zwei Jahrzehnten mit gutem Erfolge betreten
hat, als auf einen Krieg, der ihm im günstigsten Falle eine Vergrößerung
durch Korea eintragen würde. Ein Kampf mit China würde nach der Meinung
von Leuten, welche sich eine gute Kenntnis Japans zuschreiben dürfen, sehr
wahrscheinlich mit einer Katastrophe für das kleinere Land endigen, selbst wenn
dasselbe von den Franzosen einigermaßen unterstützt werden sollte.

Es scheint klar, daß die Energie, die in China in den politischen und mili¬
tärischen Mittelpunkten seit einigen Monaten sich kundgab, sich verstärkt haben
muß, als dem großen Rat in Peking die Nachricht zuging, daß Huc angegriffen
und die Frage des französische" Protektorats über Ammern nach dem Grund¬
sätze bsati xoWäöntsk entschieden werden solle. Das Ableben des Kaisers
Tu Duk hat den Franzosen eine gute Gelegenheit zur Ausübung ihrer Schutz-


Krieg zu führen. Dieselbe ist nicht einheitlich organisirt und geübt. Ein Teil
der Truppen des Mikado, und zwar der kleinere, ist von Offizieren aus Frankreich
einexerzirt worden und nach Art des französischen Heeres gekleidet und bewaffnet.
Die größere Hälfte aber trägt Uniformen, die eine fast genaue Kopie der deutschen
sind, von der flachen, schirmlose» Mütze bis hinunter zu den hohen Stiefeln.
Die früher hier beschäftigten französischen Offiziere sind schon seit Jahren ent¬
lassen und nach Hause gesandt worden, und an ihre Stelle sind deutsche Jnstrnktoren
getreten. Das wäre gewiß kein Nachteil, aber die Qualität der Armee läßt
viel zu wünschen übrig. Das Menschenmaterial ist meist nicht viel wert. Die
Leute sind nicht bloß klein, sondern großenteils mich von schwächlichem Bau,
und selbst die Infanterie, noch die beste Waffe, steht sowohl in ihren physischen
als in ihren andern Eigenschaften erheblich tiefer als die in andern zivilisirten
Ländern. Sie hielt sich vor kurzem allerdings sehr ant, als es eine Revolution
niederzuwerfen galt, aber sie focht dabei wie asiatische Barbaren: die Leute
zogen ihre Stiefel aus, warfen sie und die Schießgewehre beiseite und griffen
die Gegner barfuß und mit den Säbeln in der Faust an. Als disziplinirte
Truppen haben sie nicht viel zu bedeuten. Die Artillerie ist natürlich schwach,
und wieviel die Kavallerie wert sein kann, läßt sich sofort aus der Erinnerung
schließen, daß bis vor wenigen Jahren niemand in Japan, ausgenommen die
Samurai oder der Adel, ein Pferd besteigen durfte. Ein Volk, welches in seiner
großen Mehrzahl niemals zu Pferde gesessen und verhältnismäßig selten einen
Reiter gesehen hat, kann nicht wohl in fünf oder sechs Jahren dahin gebracht
werden, daß es eine tüchtige Kavallerie liefert. Abgesehen von diesen Mängeln
sind die Japanesen tapfre Soldaten, aber ihre Befehlshaber haben sehr wenig
Erfahrung und zeigen daher nur wenig Verständnis und Geschick in strategischen
Dingen. Zu alledem kommt aber noch ein andres, was Japan schwerlich an
Beteiligung an einem großen Kriege denken lassen wird. Das Land bedarf
weit mehr des Friedens als des Krieges, es ist finanziell nicht in der besten
Verfassung, es verwendet sein Geld viel besser ans weitere Fortschritte auf der
Bahn der Gesittung, die es vor zwei Jahrzehnten mit gutem Erfolge betreten
hat, als auf einen Krieg, der ihm im günstigsten Falle eine Vergrößerung
durch Korea eintragen würde. Ein Kampf mit China würde nach der Meinung
von Leuten, welche sich eine gute Kenntnis Japans zuschreiben dürfen, sehr
wahrscheinlich mit einer Katastrophe für das kleinere Land endigen, selbst wenn
dasselbe von den Franzosen einigermaßen unterstützt werden sollte.

Es scheint klar, daß die Energie, die in China in den politischen und mili¬
tärischen Mittelpunkten seit einigen Monaten sich kundgab, sich verstärkt haben
muß, als dem großen Rat in Peking die Nachricht zuging, daß Huc angegriffen
und die Frage des französische» Protektorats über Ammern nach dem Grund¬
sätze bsati xoWäöntsk entschieden werden solle. Das Ableben des Kaisers
Tu Duk hat den Franzosen eine gute Gelegenheit zur Ausübung ihrer Schutz-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153948"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2220" prev="#ID_2219"> Krieg zu führen. Dieselbe ist nicht einheitlich organisirt und geübt. Ein Teil<lb/>
der Truppen des Mikado, und zwar der kleinere, ist von Offizieren aus Frankreich<lb/>
einexerzirt worden und nach Art des französischen Heeres gekleidet und bewaffnet.<lb/>
Die größere Hälfte aber trägt Uniformen, die eine fast genaue Kopie der deutschen<lb/>
sind, von der flachen, schirmlose» Mütze bis hinunter zu den hohen Stiefeln.<lb/>
Die früher hier beschäftigten französischen Offiziere sind schon seit Jahren ent¬<lb/>
lassen und nach Hause gesandt worden, und an ihre Stelle sind deutsche Jnstrnktoren<lb/>
getreten. Das wäre gewiß kein Nachteil, aber die Qualität der Armee läßt<lb/>
viel zu wünschen übrig. Das Menschenmaterial ist meist nicht viel wert. Die<lb/>
Leute sind nicht bloß klein, sondern großenteils mich von schwächlichem Bau,<lb/>
und selbst die Infanterie, noch die beste Waffe, steht sowohl in ihren physischen<lb/>
als in ihren andern Eigenschaften erheblich tiefer als die in andern zivilisirten<lb/>
Ländern. Sie hielt sich vor kurzem allerdings sehr ant, als es eine Revolution<lb/>
niederzuwerfen galt, aber sie focht dabei wie asiatische Barbaren: die Leute<lb/>
zogen ihre Stiefel aus, warfen sie und die Schießgewehre beiseite und griffen<lb/>
die Gegner barfuß und mit den Säbeln in der Faust an. Als disziplinirte<lb/>
Truppen haben sie nicht viel zu bedeuten. Die Artillerie ist natürlich schwach,<lb/>
und wieviel die Kavallerie wert sein kann, läßt sich sofort aus der Erinnerung<lb/>
schließen, daß bis vor wenigen Jahren niemand in Japan, ausgenommen die<lb/>
Samurai oder der Adel, ein Pferd besteigen durfte. Ein Volk, welches in seiner<lb/>
großen Mehrzahl niemals zu Pferde gesessen und verhältnismäßig selten einen<lb/>
Reiter gesehen hat, kann nicht wohl in fünf oder sechs Jahren dahin gebracht<lb/>
werden, daß es eine tüchtige Kavallerie liefert. Abgesehen von diesen Mängeln<lb/>
sind die Japanesen tapfre Soldaten, aber ihre Befehlshaber haben sehr wenig<lb/>
Erfahrung und zeigen daher nur wenig Verständnis und Geschick in strategischen<lb/>
Dingen. Zu alledem kommt aber noch ein andres, was Japan schwerlich an<lb/>
Beteiligung an einem großen Kriege denken lassen wird. Das Land bedarf<lb/>
weit mehr des Friedens als des Krieges, es ist finanziell nicht in der besten<lb/>
Verfassung, es verwendet sein Geld viel besser ans weitere Fortschritte auf der<lb/>
Bahn der Gesittung, die es vor zwei Jahrzehnten mit gutem Erfolge betreten<lb/>
hat, als auf einen Krieg, der ihm im günstigsten Falle eine Vergrößerung<lb/>
durch Korea eintragen würde. Ein Kampf mit China würde nach der Meinung<lb/>
von Leuten, welche sich eine gute Kenntnis Japans zuschreiben dürfen, sehr<lb/>
wahrscheinlich mit einer Katastrophe für das kleinere Land endigen, selbst wenn<lb/>
dasselbe von den Franzosen einigermaßen unterstützt werden sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2221" next="#ID_2222"> Es scheint klar, daß die Energie, die in China in den politischen und mili¬<lb/>
tärischen Mittelpunkten seit einigen Monaten sich kundgab, sich verstärkt haben<lb/>
muß, als dem großen Rat in Peking die Nachricht zuging, daß Huc angegriffen<lb/>
und die Frage des französische» Protektorats über Ammern nach dem Grund¬<lb/>
sätze bsati xoWäöntsk entschieden werden solle. Das Ableben des Kaisers<lb/>
Tu Duk hat den Franzosen eine gute Gelegenheit zur Ausübung ihrer Schutz-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Krieg zu führen. Dieselbe ist nicht einheitlich organisirt und geübt. Ein Teil der Truppen des Mikado, und zwar der kleinere, ist von Offizieren aus Frankreich einexerzirt worden und nach Art des französischen Heeres gekleidet und bewaffnet. Die größere Hälfte aber trägt Uniformen, die eine fast genaue Kopie der deutschen sind, von der flachen, schirmlose» Mütze bis hinunter zu den hohen Stiefeln. Die früher hier beschäftigten französischen Offiziere sind schon seit Jahren ent¬ lassen und nach Hause gesandt worden, und an ihre Stelle sind deutsche Jnstrnktoren getreten. Das wäre gewiß kein Nachteil, aber die Qualität der Armee läßt viel zu wünschen übrig. Das Menschenmaterial ist meist nicht viel wert. Die Leute sind nicht bloß klein, sondern großenteils mich von schwächlichem Bau, und selbst die Infanterie, noch die beste Waffe, steht sowohl in ihren physischen als in ihren andern Eigenschaften erheblich tiefer als die in andern zivilisirten Ländern. Sie hielt sich vor kurzem allerdings sehr ant, als es eine Revolution niederzuwerfen galt, aber sie focht dabei wie asiatische Barbaren: die Leute zogen ihre Stiefel aus, warfen sie und die Schießgewehre beiseite und griffen die Gegner barfuß und mit den Säbeln in der Faust an. Als disziplinirte Truppen haben sie nicht viel zu bedeuten. Die Artillerie ist natürlich schwach, und wieviel die Kavallerie wert sein kann, läßt sich sofort aus der Erinnerung schließen, daß bis vor wenigen Jahren niemand in Japan, ausgenommen die Samurai oder der Adel, ein Pferd besteigen durfte. Ein Volk, welches in seiner großen Mehrzahl niemals zu Pferde gesessen und verhältnismäßig selten einen Reiter gesehen hat, kann nicht wohl in fünf oder sechs Jahren dahin gebracht werden, daß es eine tüchtige Kavallerie liefert. Abgesehen von diesen Mängeln sind die Japanesen tapfre Soldaten, aber ihre Befehlshaber haben sehr wenig Erfahrung und zeigen daher nur wenig Verständnis und Geschick in strategischen Dingen. Zu alledem kommt aber noch ein andres, was Japan schwerlich an Beteiligung an einem großen Kriege denken lassen wird. Das Land bedarf weit mehr des Friedens als des Krieges, es ist finanziell nicht in der besten Verfassung, es verwendet sein Geld viel besser ans weitere Fortschritte auf der Bahn der Gesittung, die es vor zwei Jahrzehnten mit gutem Erfolge betreten hat, als auf einen Krieg, der ihm im günstigsten Falle eine Vergrößerung durch Korea eintragen würde. Ein Kampf mit China würde nach der Meinung von Leuten, welche sich eine gute Kenntnis Japans zuschreiben dürfen, sehr wahrscheinlich mit einer Katastrophe für das kleinere Land endigen, selbst wenn dasselbe von den Franzosen einigermaßen unterstützt werden sollte. Es scheint klar, daß die Energie, die in China in den politischen und mili¬ tärischen Mittelpunkten seit einigen Monaten sich kundgab, sich verstärkt haben muß, als dem großen Rat in Peking die Nachricht zuging, daß Huc angegriffen und die Frage des französische» Protektorats über Ammern nach dem Grund¬ sätze bsati xoWäöntsk entschieden werden solle. Das Ableben des Kaisers Tu Duk hat den Franzosen eine gute Gelegenheit zur Ausübung ihrer Schutz-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/501>, abgerufen am 08.09.2024.