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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Graf Lhcnnbord -j-.

Nonos Vertreten, der ein weiterer Beleg für den Einfluß von Persönlichkeiten
auf die Ereignisse und die Bildung von Zuständen und Verhältnissen war.
Dadurch daß der letzte der französischen Bourbonen sich weigerte, die dreifarbige
Fahne anzuerkennen und die weiße vorzog, die, wie er sagte, "über seiner Wiege
geflattert hatte und sich über seinem Grabe senken sollte," machte er die Monarchie
wenigstens für ein Menschenalter in Frankreich unmöglich.

Seit 1789 hatte das Königtum keine so guten Aussichten in diesem
Lande gehabt wie damals, im Jahre 1873. Ludwig XVI. hatte mit einem
Frankreich zu thun, das unter dem alten Joche und der Wirkung der Ideen
Lockes, Rousseaus und der Encyclopädisten unruhig geworden war und sich
durch die Erfahrungen der Revolution noch nicht belehrt sah. Ludwig XVIIl.
war unter dem Schutze fremder Bajonette auf den Thron seiner Väter
zurückgekehrt. Ludwig Philipp hatte mit der Überlieferung gebrochen, die
Krone aus den Händen einer liberalen Clique angenommen und wie ein
Börsenspekulant regiert. Ludwig Napoleon war durch einen Staatsstreich zur
Gewalt gelangt. 1873 dagegen war die Mehrheit einer frei gewählten Ver¬
sammlung der Vertreter des französischen Volkes im Begriff, den königlichen
Thron wieder aufzurichten, und Frankreich, voll Abscheu und Zorn über das
Treiben der Kommune, war wütend über Gambetta und mißtrauisch selbst gegen
Thiers. Da verdarb der Starrsinn und Aberglaube des Grase" Chambord das
Spiel der Monarchisten, und die Republik wurde geboren, um fortan Jahr für
Jahr an Haltbarkeit zu wachsen -- sehr zum Vorteile Deutschlands, da eine
französische Republik uicht bünduisfähig war.

Das Dasein und die Meinungen des Prätendenten von Frohsdorf haben
mehr für die Interessen, die Gambetta am Herzen lagen, gethan, als der Ex-
dittcitor selbst zu vollbringen imstande gewesen wäre. Häufig geschieht es, daß
einer Sache mehr als durch alles andre durch die Irrtümer und Mißgriffe ihrer
Gegner gedient wird. Während es fast so gut wie gewiß ist, daß, wenn Graf
Chambord 1870 gestorben wäre, der Graf von Paris 1873 die konstitutionelle
Monarchie in Frankreich wiederhergestellt haben würde, ist es jetzt keineswegs eine
ausgemachte Sache, daß der Tod des erstern nun ohne weiteres dem monarchische"
Interesse nutzen wird, ja er könnte für einige Zeit nach der entgegengesetzten
Seite hin wirken. Ein guter Teil des Selbstgefühls und der Rücksichtslosigkeit
der Republikaner Frankreichs schreibt sich ohne Zweifel von dem Umstände
her, daß sie fiir jetzt praktisch keine Nebenbuhler haben. Die Bonapartisten
sind, so lauge der Prinz Napoleon lebt, hilflos und ungefährlich. Die Legiti-
misten waren, so lange Graf Chambord ihr Chef war, zur Unthätigkeit ver¬
urteilt, und die Orleanisten teilten deren Lähmung. Daher die Gleichgiltigkeit
der Radikalen gegen Warnungen und Drohungen. Sie führten große Reden
mit sich in der Tasche, nahmen den Mund davon voll und prahlten auf der
Tribüne und in der Presse, nannten sich selber Frankreich und forderten alle


Graf Lhcnnbord -j-.

Nonos Vertreten, der ein weiterer Beleg für den Einfluß von Persönlichkeiten
auf die Ereignisse und die Bildung von Zuständen und Verhältnissen war.
Dadurch daß der letzte der französischen Bourbonen sich weigerte, die dreifarbige
Fahne anzuerkennen und die weiße vorzog, die, wie er sagte, „über seiner Wiege
geflattert hatte und sich über seinem Grabe senken sollte," machte er die Monarchie
wenigstens für ein Menschenalter in Frankreich unmöglich.

Seit 1789 hatte das Königtum keine so guten Aussichten in diesem
Lande gehabt wie damals, im Jahre 1873. Ludwig XVI. hatte mit einem
Frankreich zu thun, das unter dem alten Joche und der Wirkung der Ideen
Lockes, Rousseaus und der Encyclopädisten unruhig geworden war und sich
durch die Erfahrungen der Revolution noch nicht belehrt sah. Ludwig XVIIl.
war unter dem Schutze fremder Bajonette auf den Thron seiner Väter
zurückgekehrt. Ludwig Philipp hatte mit der Überlieferung gebrochen, die
Krone aus den Händen einer liberalen Clique angenommen und wie ein
Börsenspekulant regiert. Ludwig Napoleon war durch einen Staatsstreich zur
Gewalt gelangt. 1873 dagegen war die Mehrheit einer frei gewählten Ver¬
sammlung der Vertreter des französischen Volkes im Begriff, den königlichen
Thron wieder aufzurichten, und Frankreich, voll Abscheu und Zorn über das
Treiben der Kommune, war wütend über Gambetta und mißtrauisch selbst gegen
Thiers. Da verdarb der Starrsinn und Aberglaube des Grase» Chambord das
Spiel der Monarchisten, und die Republik wurde geboren, um fortan Jahr für
Jahr an Haltbarkeit zu wachsen — sehr zum Vorteile Deutschlands, da eine
französische Republik uicht bünduisfähig war.

Das Dasein und die Meinungen des Prätendenten von Frohsdorf haben
mehr für die Interessen, die Gambetta am Herzen lagen, gethan, als der Ex-
dittcitor selbst zu vollbringen imstande gewesen wäre. Häufig geschieht es, daß
einer Sache mehr als durch alles andre durch die Irrtümer und Mißgriffe ihrer
Gegner gedient wird. Während es fast so gut wie gewiß ist, daß, wenn Graf
Chambord 1870 gestorben wäre, der Graf von Paris 1873 die konstitutionelle
Monarchie in Frankreich wiederhergestellt haben würde, ist es jetzt keineswegs eine
ausgemachte Sache, daß der Tod des erstern nun ohne weiteres dem monarchische»
Interesse nutzen wird, ja er könnte für einige Zeit nach der entgegengesetzten
Seite hin wirken. Ein guter Teil des Selbstgefühls und der Rücksichtslosigkeit
der Republikaner Frankreichs schreibt sich ohne Zweifel von dem Umstände
her, daß sie fiir jetzt praktisch keine Nebenbuhler haben. Die Bonapartisten
sind, so lauge der Prinz Napoleon lebt, hilflos und ungefährlich. Die Legiti-
misten waren, so lange Graf Chambord ihr Chef war, zur Unthätigkeit ver¬
urteilt, und die Orleanisten teilten deren Lähmung. Daher die Gleichgiltigkeit
der Radikalen gegen Warnungen und Drohungen. Sie führten große Reden
mit sich in der Tasche, nahmen den Mund davon voll und prahlten auf der
Tribüne und in der Presse, nannten sich selber Frankreich und forderten alle


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[0492] Graf Lhcnnbord -j-. Nonos Vertreten, der ein weiterer Beleg für den Einfluß von Persönlichkeiten auf die Ereignisse und die Bildung von Zuständen und Verhältnissen war. Dadurch daß der letzte der französischen Bourbonen sich weigerte, die dreifarbige Fahne anzuerkennen und die weiße vorzog, die, wie er sagte, „über seiner Wiege geflattert hatte und sich über seinem Grabe senken sollte," machte er die Monarchie wenigstens für ein Menschenalter in Frankreich unmöglich. Seit 1789 hatte das Königtum keine so guten Aussichten in diesem Lande gehabt wie damals, im Jahre 1873. Ludwig XVI. hatte mit einem Frankreich zu thun, das unter dem alten Joche und der Wirkung der Ideen Lockes, Rousseaus und der Encyclopädisten unruhig geworden war und sich durch die Erfahrungen der Revolution noch nicht belehrt sah. Ludwig XVIIl. war unter dem Schutze fremder Bajonette auf den Thron seiner Väter zurückgekehrt. Ludwig Philipp hatte mit der Überlieferung gebrochen, die Krone aus den Händen einer liberalen Clique angenommen und wie ein Börsenspekulant regiert. Ludwig Napoleon war durch einen Staatsstreich zur Gewalt gelangt. 1873 dagegen war die Mehrheit einer frei gewählten Ver¬ sammlung der Vertreter des französischen Volkes im Begriff, den königlichen Thron wieder aufzurichten, und Frankreich, voll Abscheu und Zorn über das Treiben der Kommune, war wütend über Gambetta und mißtrauisch selbst gegen Thiers. Da verdarb der Starrsinn und Aberglaube des Grase» Chambord das Spiel der Monarchisten, und die Republik wurde geboren, um fortan Jahr für Jahr an Haltbarkeit zu wachsen — sehr zum Vorteile Deutschlands, da eine französische Republik uicht bünduisfähig war. Das Dasein und die Meinungen des Prätendenten von Frohsdorf haben mehr für die Interessen, die Gambetta am Herzen lagen, gethan, als der Ex- dittcitor selbst zu vollbringen imstande gewesen wäre. Häufig geschieht es, daß einer Sache mehr als durch alles andre durch die Irrtümer und Mißgriffe ihrer Gegner gedient wird. Während es fast so gut wie gewiß ist, daß, wenn Graf Chambord 1870 gestorben wäre, der Graf von Paris 1873 die konstitutionelle Monarchie in Frankreich wiederhergestellt haben würde, ist es jetzt keineswegs eine ausgemachte Sache, daß der Tod des erstern nun ohne weiteres dem monarchische» Interesse nutzen wird, ja er könnte für einige Zeit nach der entgegengesetzten Seite hin wirken. Ein guter Teil des Selbstgefühls und der Rücksichtslosigkeit der Republikaner Frankreichs schreibt sich ohne Zweifel von dem Umstände her, daß sie fiir jetzt praktisch keine Nebenbuhler haben. Die Bonapartisten sind, so lauge der Prinz Napoleon lebt, hilflos und ungefährlich. Die Legiti- misten waren, so lange Graf Chambord ihr Chef war, zur Unthätigkeit ver¬ urteilt, und die Orleanisten teilten deren Lähmung. Daher die Gleichgiltigkeit der Radikalen gegen Warnungen und Drohungen. Sie führten große Reden mit sich in der Tasche, nahmen den Mund davon voll und prahlten auf der Tribüne und in der Presse, nannten sich selber Frankreich und forderten alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/492>, abgerufen am 08.09.2024.