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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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möglichen Nebenbuhler heraus, sicher, daß keiner mit Aussicht auf Erfolg in
die Schranken reiten würde. Das Land hätte sie vom Ruder wegfegen könne",
aber wo wäre Ersatz für sie zu finden gewesen? Jetzt, wo der Ro^ von Frohs-
dorf von der Bühne abgetreten ist, scheint es, als ob nur noch eine realistische
Partei übrig wäre, die ein liberaler und unverbleudcter Prinz, der Graf von
Paris, zu führen berufen zu sein scheint. Er ist kein entschlossener und unter¬
nehmender Politiker, er wird niemals einen 18. Brumaire oder einen 2. De¬
zember in Szene setzen; aber sein Großvater verstand sich auf das politische
Puppenspiel und wußte im Straßenkoth einer organisirten Revolte eine Krone
aufzulesen. Sodann ist in Frankreich immer das Unglaubliche möglich. Niemand
schwört heutzutage beim Grafen von Paris oder begeistert sich für seine Rechte
und Ansprüche, aber wir müssen uns erinnern, daß 1870 Graf Chambord viel
ferner von der Krone zu sein schien, und daß er drei Jahre später schon in
Griffweite von ihr war. Alle diese Betrachtungen werden sich dem Geiste vieler
Franzosen jetzt aufdrängen, und der Tod des direkten Erben der Krone Karls X.
wird eine ernüchternde Wirkung auf die Republikaner üben. Statt eines unsicht¬
baren, im Auslande lebenden Grafen, der mit dem Schimmer einer donquixo-
tischen Ritterlichkeit umgeben ist und mitten in unserm Jahrhundert nach dem
Modergerüche des Mittelalters duftet, steht jetzt vor ihnen ein vornehmer Mann
mit gesundem Menschenverstand, ein praktischer Fürst der Neuzeit, ein geborner
konstitutioneller Souverän. Ein solcher Nebenbuhler muß -- so sollte man
meinen -- die Republik nach außen hin wie im Innern auf die Wege der
Mäßigung hindrängen. Es wird dann nicht länger angehen, das Eigentum
und die Religion mit rücksichtslosen Beschlagnahmen und Verbannuugsmaßrcgclu
anzugreifen und sich dadurch Tausende von Franzosen zu entfremden. Auch die
extravagante Unternehmungslust der jetzigen französischen Kolonialpolitik wird
sich mäßigen, wenn nunmehr ein militärischer Kritiker vorhanden ist, der König
sein könnte, und dessen Urteil über Katastrophen bei Expeditionen infolge seines
Rechtes auf den Thron doppelte Bedeutung hat. Nichts arbeitete dem 18. Bru-
maire so stark vor als die Mißerfolge des Direktoriums im Kriege, und eine
Republik, die Niederlagen ihrer Heere zu beklagen hat, wird sich nicht lange zu
halten vermögen. Namentlich in Frankreich machen solche Unfälle mißliebiger
als Verbrechen, und die Gegner des letzten Kaisers konnten ihn nicht schwerer
treffen als damit, daß sie ihn, der bis 1870 der Dezembermann geheißen hatte,
den Mann von Sedan nannten. Vielleicht lehren diese und ähnliche Vorgänge
die gegeuwürtigeu Beherrscher Frankreichs die Vorsicht und Enthaltsamkeit, die
sie bei ihrer jetzigen Politik vermissen lassen. Es sah nicht unklug aus, als
sie, um den französischen Ehrgeiz und Eroberungstrieb zu befriedigen, sich vor
der Unmöglichkeit, mit den Nachbarn im Osten anzubinden, ans entfernte Länder
warfen, die Revanche bischenweise dort zu nehmen suchten und sich bemühten,
den Verlust von Elsaß-Lothringen durch Gewinn auf Kosten der Tüncher,


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möglichen Nebenbuhler heraus, sicher, daß keiner mit Aussicht auf Erfolg in
die Schranken reiten würde. Das Land hätte sie vom Ruder wegfegen könne»,
aber wo wäre Ersatz für sie zu finden gewesen? Jetzt, wo der Ro^ von Frohs-
dorf von der Bühne abgetreten ist, scheint es, als ob nur noch eine realistische
Partei übrig wäre, die ein liberaler und unverbleudcter Prinz, der Graf von
Paris, zu führen berufen zu sein scheint. Er ist kein entschlossener und unter¬
nehmender Politiker, er wird niemals einen 18. Brumaire oder einen 2. De¬
zember in Szene setzen; aber sein Großvater verstand sich auf das politische
Puppenspiel und wußte im Straßenkoth einer organisirten Revolte eine Krone
aufzulesen. Sodann ist in Frankreich immer das Unglaubliche möglich. Niemand
schwört heutzutage beim Grafen von Paris oder begeistert sich für seine Rechte
und Ansprüche, aber wir müssen uns erinnern, daß 1870 Graf Chambord viel
ferner von der Krone zu sein schien, und daß er drei Jahre später schon in
Griffweite von ihr war. Alle diese Betrachtungen werden sich dem Geiste vieler
Franzosen jetzt aufdrängen, und der Tod des direkten Erben der Krone Karls X.
wird eine ernüchternde Wirkung auf die Republikaner üben. Statt eines unsicht¬
baren, im Auslande lebenden Grafen, der mit dem Schimmer einer donquixo-
tischen Ritterlichkeit umgeben ist und mitten in unserm Jahrhundert nach dem
Modergerüche des Mittelalters duftet, steht jetzt vor ihnen ein vornehmer Mann
mit gesundem Menschenverstand, ein praktischer Fürst der Neuzeit, ein geborner
konstitutioneller Souverän. Ein solcher Nebenbuhler muß — so sollte man
meinen — die Republik nach außen hin wie im Innern auf die Wege der
Mäßigung hindrängen. Es wird dann nicht länger angehen, das Eigentum
und die Religion mit rücksichtslosen Beschlagnahmen und Verbannuugsmaßrcgclu
anzugreifen und sich dadurch Tausende von Franzosen zu entfremden. Auch die
extravagante Unternehmungslust der jetzigen französischen Kolonialpolitik wird
sich mäßigen, wenn nunmehr ein militärischer Kritiker vorhanden ist, der König
sein könnte, und dessen Urteil über Katastrophen bei Expeditionen infolge seines
Rechtes auf den Thron doppelte Bedeutung hat. Nichts arbeitete dem 18. Bru-
maire so stark vor als die Mißerfolge des Direktoriums im Kriege, und eine
Republik, die Niederlagen ihrer Heere zu beklagen hat, wird sich nicht lange zu
halten vermögen. Namentlich in Frankreich machen solche Unfälle mißliebiger
als Verbrechen, und die Gegner des letzten Kaisers konnten ihn nicht schwerer
treffen als damit, daß sie ihn, der bis 1870 der Dezembermann geheißen hatte,
den Mann von Sedan nannten. Vielleicht lehren diese und ähnliche Vorgänge
die gegeuwürtigeu Beherrscher Frankreichs die Vorsicht und Enthaltsamkeit, die
sie bei ihrer jetzigen Politik vermissen lassen. Es sah nicht unklug aus, als
sie, um den französischen Ehrgeiz und Eroberungstrieb zu befriedigen, sich vor
der Unmöglichkeit, mit den Nachbarn im Osten anzubinden, ans entfernte Länder
warfen, die Revanche bischenweise dort zu nehmen suchten und sich bemühten,
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[0493] Graf Lhcnnbord möglichen Nebenbuhler heraus, sicher, daß keiner mit Aussicht auf Erfolg in die Schranken reiten würde. Das Land hätte sie vom Ruder wegfegen könne», aber wo wäre Ersatz für sie zu finden gewesen? Jetzt, wo der Ro^ von Frohs- dorf von der Bühne abgetreten ist, scheint es, als ob nur noch eine realistische Partei übrig wäre, die ein liberaler und unverbleudcter Prinz, der Graf von Paris, zu führen berufen zu sein scheint. Er ist kein entschlossener und unter¬ nehmender Politiker, er wird niemals einen 18. Brumaire oder einen 2. De¬ zember in Szene setzen; aber sein Großvater verstand sich auf das politische Puppenspiel und wußte im Straßenkoth einer organisirten Revolte eine Krone aufzulesen. Sodann ist in Frankreich immer das Unglaubliche möglich. Niemand schwört heutzutage beim Grafen von Paris oder begeistert sich für seine Rechte und Ansprüche, aber wir müssen uns erinnern, daß 1870 Graf Chambord viel ferner von der Krone zu sein schien, und daß er drei Jahre später schon in Griffweite von ihr war. Alle diese Betrachtungen werden sich dem Geiste vieler Franzosen jetzt aufdrängen, und der Tod des direkten Erben der Krone Karls X. wird eine ernüchternde Wirkung auf die Republikaner üben. Statt eines unsicht¬ baren, im Auslande lebenden Grafen, der mit dem Schimmer einer donquixo- tischen Ritterlichkeit umgeben ist und mitten in unserm Jahrhundert nach dem Modergerüche des Mittelalters duftet, steht jetzt vor ihnen ein vornehmer Mann mit gesundem Menschenverstand, ein praktischer Fürst der Neuzeit, ein geborner konstitutioneller Souverän. Ein solcher Nebenbuhler muß — so sollte man meinen — die Republik nach außen hin wie im Innern auf die Wege der Mäßigung hindrängen. Es wird dann nicht länger angehen, das Eigentum und die Religion mit rücksichtslosen Beschlagnahmen und Verbannuugsmaßrcgclu anzugreifen und sich dadurch Tausende von Franzosen zu entfremden. Auch die extravagante Unternehmungslust der jetzigen französischen Kolonialpolitik wird sich mäßigen, wenn nunmehr ein militärischer Kritiker vorhanden ist, der König sein könnte, und dessen Urteil über Katastrophen bei Expeditionen infolge seines Rechtes auf den Thron doppelte Bedeutung hat. Nichts arbeitete dem 18. Bru- maire so stark vor als die Mißerfolge des Direktoriums im Kriege, und eine Republik, die Niederlagen ihrer Heere zu beklagen hat, wird sich nicht lange zu halten vermögen. Namentlich in Frankreich machen solche Unfälle mißliebiger als Verbrechen, und die Gegner des letzten Kaisers konnten ihn nicht schwerer treffen als damit, daß sie ihn, der bis 1870 der Dezembermann geheißen hatte, den Mann von Sedan nannten. Vielleicht lehren diese und ähnliche Vorgänge die gegeuwürtigeu Beherrscher Frankreichs die Vorsicht und Enthaltsamkeit, die sie bei ihrer jetzigen Politik vermissen lassen. Es sah nicht unklug aus, als sie, um den französischen Ehrgeiz und Eroberungstrieb zu befriedigen, sich vor der Unmöglichkeit, mit den Nachbarn im Osten anzubinden, ans entfernte Länder warfen, die Revanche bischenweise dort zu nehmen suchten und sich bemühten, den Verlust von Elsaß-Lothringen durch Gewinn auf Kosten der Tüncher,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/493>, abgerufen am 08.09.2024.