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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Erinnerung an Friedrich List.

Folgen voraus, welche die Erfindung einer solchen wirtschaftlichen Macht her¬
vorrufen mußte, und konnte sie, in Wirklichkeit ein Scher, voraussagen. Wer
aber sollte ihm Glauben schenken? Mochte auch List die Gründe in seiner
meisterhaften Weise noch so einfach, noch so überzeugend vorführen, jeder Thor
dünkte sich weise genug, daran zu zweifeln, alles für Schwärmerei, Phantasterei
und Narrheit, ja auch wohl für amerikanische Schwindelei auszugeben und das
Gegenteil als das Vernünftige anzupreisen. So mag es denn anch verstündlich
erscheinen, daß damals, als List im Leipziger Eiseubahnkomitee für eine Bahn
Hamburg-Berlin eine künftige Dividende von 12--20 Prozent voraussagte, die
übrigen Mitglieder mit keinem Worte des Beifalls, wohl aber mit Achselzucken
und verächtlichem Lächeln und Flüstern seine Auseinandersetzungen begleiteten.
Hätte er eine Zwischenzeit von fünfzig Jahren wegzaubern können, die Zweifler
hätten sich dann wohl einer bekannten Erzählung aus dem Leben des Kolumbus
erinnert. Freilich konnten denen, welche für Lifts Einsichten in die Wirkung
der Eisenbahnen kein Verständnis zu gewinnen imstande waren, seine Aussprüche
darüber leicht schwärmerisch und übertrieben erscheinen. Aber trotzdem verstand
er es, durch jenen "Aufruf an unsre Mitbürger" und die sieben Berichte des
Leipziger Komitees selbst in der weitern Bürgerschaft, die aus Furcht vor Ar¬
beitsverlusten in den Gewerben vorhandenen Vorurteile zu vernichten und Ver¬
trauen zu den Schieneustraßen in solchem Maße zu erwecken, daß in unserm
damals gewiß nicht reichen Lande die ersten von ihm zunächst zum Bau em¬
pfohlenen Bahnen durch das Geld des mittlern Bürgertums zustande kamen, und
zwar fast ebenso frühzeitig wie in den andern reicheren Ländern, sodaß es
Deutschland trotz seiner sich erst allmählich bildenden wirtschaftlichen Einheit,
welche übrigens durch die Eisenbahnen wesentlich gefördert wurde, möglich
ward, sich mit diesen nach und nach gleichmäßig zu entwickeln, sich von
den großen Schäden der Kriege zu erholen und bereits nach einem halben Jahr¬
hundert wirtschaftlich und in allem, was damit zusammenhängt, jenen gleichzu¬
stehen.

Was hat List, schon seit 1827, über die wirtschaftliche Entwicklung alles
vorausgesehen! Er sah, wie der Landmann seine Erzeugnisse leichter und besser
verwertete, wie er an Arbeit und Transportkosten durch den erleichterten Absatz
sparte, wie er seinen Boden verbesserte, Jndustrieprodukte, die er früher ent¬
behrte, jetzt ankaufte. Er sah durch den verbesserten Absatz das Gewerbe auf¬
blühen, denn es waren mehr Käufer entstanden, neue Industrien aufkeimen, tue
vorher gar nicht entstehen konnten, weil ihnen die Rohprodukte fehlten, wie die
Baumwollenindustrie u. s. w. Indem das Eisenbahnsystem Produzenten und
Konsumenten besser miteinander verband, sie gewissermaßen einander näher brachte,
sah er die Bevölkerung zunehmen und die doppelte Zahl sich des Lebens er¬
freuen, als früher beim bloßen Ackerbau möglich gewesen war, er sah das Leben
des Einzelnen bequemer und angenehmer werden, die Städte blühen, sich ans-


Grenzboten III. 1886, 49
Zur Erinnerung an Friedrich List.

Folgen voraus, welche die Erfindung einer solchen wirtschaftlichen Macht her¬
vorrufen mußte, und konnte sie, in Wirklichkeit ein Scher, voraussagen. Wer
aber sollte ihm Glauben schenken? Mochte auch List die Gründe in seiner
meisterhaften Weise noch so einfach, noch so überzeugend vorführen, jeder Thor
dünkte sich weise genug, daran zu zweifeln, alles für Schwärmerei, Phantasterei
und Narrheit, ja auch wohl für amerikanische Schwindelei auszugeben und das
Gegenteil als das Vernünftige anzupreisen. So mag es denn anch verstündlich
erscheinen, daß damals, als List im Leipziger Eiseubahnkomitee für eine Bahn
Hamburg-Berlin eine künftige Dividende von 12—20 Prozent voraussagte, die
übrigen Mitglieder mit keinem Worte des Beifalls, wohl aber mit Achselzucken
und verächtlichem Lächeln und Flüstern seine Auseinandersetzungen begleiteten.
Hätte er eine Zwischenzeit von fünfzig Jahren wegzaubern können, die Zweifler
hätten sich dann wohl einer bekannten Erzählung aus dem Leben des Kolumbus
erinnert. Freilich konnten denen, welche für Lifts Einsichten in die Wirkung
der Eisenbahnen kein Verständnis zu gewinnen imstande waren, seine Aussprüche
darüber leicht schwärmerisch und übertrieben erscheinen. Aber trotzdem verstand
er es, durch jenen „Aufruf an unsre Mitbürger" und die sieben Berichte des
Leipziger Komitees selbst in der weitern Bürgerschaft, die aus Furcht vor Ar¬
beitsverlusten in den Gewerben vorhandenen Vorurteile zu vernichten und Ver¬
trauen zu den Schieneustraßen in solchem Maße zu erwecken, daß in unserm
damals gewiß nicht reichen Lande die ersten von ihm zunächst zum Bau em¬
pfohlenen Bahnen durch das Geld des mittlern Bürgertums zustande kamen, und
zwar fast ebenso frühzeitig wie in den andern reicheren Ländern, sodaß es
Deutschland trotz seiner sich erst allmählich bildenden wirtschaftlichen Einheit,
welche übrigens durch die Eisenbahnen wesentlich gefördert wurde, möglich
ward, sich mit diesen nach und nach gleichmäßig zu entwickeln, sich von
den großen Schäden der Kriege zu erholen und bereits nach einem halben Jahr¬
hundert wirtschaftlich und in allem, was damit zusammenhängt, jenen gleichzu¬
stehen.

Was hat List, schon seit 1827, über die wirtschaftliche Entwicklung alles
vorausgesehen! Er sah, wie der Landmann seine Erzeugnisse leichter und besser
verwertete, wie er an Arbeit und Transportkosten durch den erleichterten Absatz
sparte, wie er seinen Boden verbesserte, Jndustrieprodukte, die er früher ent¬
behrte, jetzt ankaufte. Er sah durch den verbesserten Absatz das Gewerbe auf¬
blühen, denn es waren mehr Käufer entstanden, neue Industrien aufkeimen, tue
vorher gar nicht entstehen konnten, weil ihnen die Rohprodukte fehlten, wie die
Baumwollenindustrie u. s. w. Indem das Eisenbahnsystem Produzenten und
Konsumenten besser miteinander verband, sie gewissermaßen einander näher brachte,
sah er die Bevölkerung zunehmen und die doppelte Zahl sich des Lebens er¬
freuen, als früher beim bloßen Ackerbau möglich gewesen war, er sah das Leben
des Einzelnen bequemer und angenehmer werden, die Städte blühen, sich ans-


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[0393] Zur Erinnerung an Friedrich List. Folgen voraus, welche die Erfindung einer solchen wirtschaftlichen Macht her¬ vorrufen mußte, und konnte sie, in Wirklichkeit ein Scher, voraussagen. Wer aber sollte ihm Glauben schenken? Mochte auch List die Gründe in seiner meisterhaften Weise noch so einfach, noch so überzeugend vorführen, jeder Thor dünkte sich weise genug, daran zu zweifeln, alles für Schwärmerei, Phantasterei und Narrheit, ja auch wohl für amerikanische Schwindelei auszugeben und das Gegenteil als das Vernünftige anzupreisen. So mag es denn anch verstündlich erscheinen, daß damals, als List im Leipziger Eiseubahnkomitee für eine Bahn Hamburg-Berlin eine künftige Dividende von 12—20 Prozent voraussagte, die übrigen Mitglieder mit keinem Worte des Beifalls, wohl aber mit Achselzucken und verächtlichem Lächeln und Flüstern seine Auseinandersetzungen begleiteten. Hätte er eine Zwischenzeit von fünfzig Jahren wegzaubern können, die Zweifler hätten sich dann wohl einer bekannten Erzählung aus dem Leben des Kolumbus erinnert. Freilich konnten denen, welche für Lifts Einsichten in die Wirkung der Eisenbahnen kein Verständnis zu gewinnen imstande waren, seine Aussprüche darüber leicht schwärmerisch und übertrieben erscheinen. Aber trotzdem verstand er es, durch jenen „Aufruf an unsre Mitbürger" und die sieben Berichte des Leipziger Komitees selbst in der weitern Bürgerschaft, die aus Furcht vor Ar¬ beitsverlusten in den Gewerben vorhandenen Vorurteile zu vernichten und Ver¬ trauen zu den Schieneustraßen in solchem Maße zu erwecken, daß in unserm damals gewiß nicht reichen Lande die ersten von ihm zunächst zum Bau em¬ pfohlenen Bahnen durch das Geld des mittlern Bürgertums zustande kamen, und zwar fast ebenso frühzeitig wie in den andern reicheren Ländern, sodaß es Deutschland trotz seiner sich erst allmählich bildenden wirtschaftlichen Einheit, welche übrigens durch die Eisenbahnen wesentlich gefördert wurde, möglich ward, sich mit diesen nach und nach gleichmäßig zu entwickeln, sich von den großen Schäden der Kriege zu erholen und bereits nach einem halben Jahr¬ hundert wirtschaftlich und in allem, was damit zusammenhängt, jenen gleichzu¬ stehen. Was hat List, schon seit 1827, über die wirtschaftliche Entwicklung alles vorausgesehen! Er sah, wie der Landmann seine Erzeugnisse leichter und besser verwertete, wie er an Arbeit und Transportkosten durch den erleichterten Absatz sparte, wie er seinen Boden verbesserte, Jndustrieprodukte, die er früher ent¬ behrte, jetzt ankaufte. Er sah durch den verbesserten Absatz das Gewerbe auf¬ blühen, denn es waren mehr Käufer entstanden, neue Industrien aufkeimen, tue vorher gar nicht entstehen konnten, weil ihnen die Rohprodukte fehlten, wie die Baumwollenindustrie u. s. w. Indem das Eisenbahnsystem Produzenten und Konsumenten besser miteinander verband, sie gewissermaßen einander näher brachte, sah er die Bevölkerung zunehmen und die doppelte Zahl sich des Lebens er¬ freuen, als früher beim bloßen Ackerbau möglich gewesen war, er sah das Leben des Einzelnen bequemer und angenehmer werden, die Städte blühen, sich ans- Grenzboten III. 1886, 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/393>, abgerufen am 08.09.2024.