Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aur Lrinncrung an Friedrich List.

dehnen, reicher werden, Grund und Boden im Werte wachsen und die ganze
Macht des Landes sich heben.

Sollten freilich alle jene Wirkungen eintrete", dann mußten die Eisenbahnen
sich nach und nach zu einem völligen Verkehrsshstem innerhalb eines Wirtschafts¬
gebiets, wie es von einer Nation bewohnt wurde, entwickeln, sie mußten sich der
wirtschaftlichen und politischen Natur des Landes anschließen, gleichsam sein
Adersystem werden. Darum entwarf List in seinen allgemeinen Erörterungen
nie eine Bahn für diesen oder jenen Einzelverkehr, sondern er legte stets das
Netz eines allgemeinen Systems zu Grnnde, worin jedes Stück nach allen Seiten
seine Aufgabe zu erfüllen hatte. In diesem Sinne entwarf er in Paris ein
französisches, in Brüssel ein belgisches Eisenbahnsystem, und in der Heimat hatte
er, auch wenn es sich speziell um preußische, sächsische, würtenbergische Bahnen
handelte, immer ein deutsches Gesamtnetz im Auge, wie schon seine Eisenbahn¬
karte zu der Schrift "Ein allgemeines deutsches Eisenbahnsystem" u. s. w. zeigt.
List war es auch, der zuerst die Idee von einer gesamtdeutschen Volkswirt¬
schaft gefaßt hatte, die sich, soweit sie die Zölle betraf, bekanntlich auf andre
Weise mehr durch die Macht der Dinge als der Menschen verwirklichte. Hier
fügte List das System der Bahnen hinein, und sie sind der mächtigste Hebel
dafür geworden.

Aus der Theorie Lifts von der produktiven Kraft der Eisenbahnen folgten
auch die wichtigen Grundsätze nicht bloß für ihre Richtung und Lage, sonder"
auch für^ die Art ihres Baues, die er selbst anwendete und andern empfahl.
Sollte der Nutzen der Schienenstränge ein vollkommener sein, so war erforder¬
lich, daß man ihnen die Möglichkeit gab, Werte zu schaffen. Sie mußten also
den bisherigen Handelswegen folgen, aber die Produkte der Industrie nicht
minder, wie die der Landwirtschaft aufnehmen und den Austausch vermitteln
können, mußten in diesem oder jenem Falle dem Transport von Kohle, Steinen,
Holz, Erz, Salz dienstbar gemacht werden. List schätzte die Menge der Frachten
und die Größe des Personenverkehrs aus dem bereits vorhandenen Verkehr,
unter Voraussetzung geringer Transportkosten ans der Eisenbahn ab und ver¬
langte, daß die Kosten des Baues der Bahn alsdann so ermäßigt würden, daß
auf dieser Grundlage bereits eine landläufige Verzinsung des Anlagekapitals
entstünde. Nach diesem Grundsatze richtete er alle feine Erörterungen in Betreff
der praktische" Frage" über Krümmung, Steigung, Schienen und Bauten ein.
Kein Luxus, ehe die Bahn ihn nicht verdient habe. Wäre dieser Grundsatz
immer befolgt worden, einen Eisenbahnkrach hätten wir niemals erlebt, die
toten Bahnen wären entweder garnicht oder in zweckmäßiger Art, also in erster
Linie billiger gebaut worden, man wäre früher und jetzt schneller mit den Neben¬
bahnen bis in die äußersten Jndustriebezirke vorgedrungen und hätte vielleicht
jetzt eigne Bahnen oder dritte Gleise für große Massengüter, bei denen eine
langsame Beförderung ausreicht, aber die äußerste Tarifermäßigung doch ein


Aur Lrinncrung an Friedrich List.

dehnen, reicher werden, Grund und Boden im Werte wachsen und die ganze
Macht des Landes sich heben.

Sollten freilich alle jene Wirkungen eintrete», dann mußten die Eisenbahnen
sich nach und nach zu einem völligen Verkehrsshstem innerhalb eines Wirtschafts¬
gebiets, wie es von einer Nation bewohnt wurde, entwickeln, sie mußten sich der
wirtschaftlichen und politischen Natur des Landes anschließen, gleichsam sein
Adersystem werden. Darum entwarf List in seinen allgemeinen Erörterungen
nie eine Bahn für diesen oder jenen Einzelverkehr, sondern er legte stets das
Netz eines allgemeinen Systems zu Grnnde, worin jedes Stück nach allen Seiten
seine Aufgabe zu erfüllen hatte. In diesem Sinne entwarf er in Paris ein
französisches, in Brüssel ein belgisches Eisenbahnsystem, und in der Heimat hatte
er, auch wenn es sich speziell um preußische, sächsische, würtenbergische Bahnen
handelte, immer ein deutsches Gesamtnetz im Auge, wie schon seine Eisenbahn¬
karte zu der Schrift „Ein allgemeines deutsches Eisenbahnsystem" u. s. w. zeigt.
List war es auch, der zuerst die Idee von einer gesamtdeutschen Volkswirt¬
schaft gefaßt hatte, die sich, soweit sie die Zölle betraf, bekanntlich auf andre
Weise mehr durch die Macht der Dinge als der Menschen verwirklichte. Hier
fügte List das System der Bahnen hinein, und sie sind der mächtigste Hebel
dafür geworden.

Aus der Theorie Lifts von der produktiven Kraft der Eisenbahnen folgten
auch die wichtigen Grundsätze nicht bloß für ihre Richtung und Lage, sonder»
auch für^ die Art ihres Baues, die er selbst anwendete und andern empfahl.
Sollte der Nutzen der Schienenstränge ein vollkommener sein, so war erforder¬
lich, daß man ihnen die Möglichkeit gab, Werte zu schaffen. Sie mußten also
den bisherigen Handelswegen folgen, aber die Produkte der Industrie nicht
minder, wie die der Landwirtschaft aufnehmen und den Austausch vermitteln
können, mußten in diesem oder jenem Falle dem Transport von Kohle, Steinen,
Holz, Erz, Salz dienstbar gemacht werden. List schätzte die Menge der Frachten
und die Größe des Personenverkehrs aus dem bereits vorhandenen Verkehr,
unter Voraussetzung geringer Transportkosten ans der Eisenbahn ab und ver¬
langte, daß die Kosten des Baues der Bahn alsdann so ermäßigt würden, daß
auf dieser Grundlage bereits eine landläufige Verzinsung des Anlagekapitals
entstünde. Nach diesem Grundsatze richtete er alle feine Erörterungen in Betreff
der praktische» Frage» über Krümmung, Steigung, Schienen und Bauten ein.
Kein Luxus, ehe die Bahn ihn nicht verdient habe. Wäre dieser Grundsatz
immer befolgt worden, einen Eisenbahnkrach hätten wir niemals erlebt, die
toten Bahnen wären entweder garnicht oder in zweckmäßiger Art, also in erster
Linie billiger gebaut worden, man wäre früher und jetzt schneller mit den Neben¬
bahnen bis in die äußersten Jndustriebezirke vorgedrungen und hätte vielleicht
jetzt eigne Bahnen oder dritte Gleise für große Massengüter, bei denen eine
langsame Beförderung ausreicht, aber die äußerste Tarifermäßigung doch ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153841"/>
          <fw type="header" place="top"> Aur Lrinncrung an Friedrich List.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1686" prev="#ID_1685"> dehnen, reicher werden, Grund und Boden im Werte wachsen und die ganze<lb/>
Macht des Landes sich heben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1687"> Sollten freilich alle jene Wirkungen eintrete», dann mußten die Eisenbahnen<lb/>
sich nach und nach zu einem völligen Verkehrsshstem innerhalb eines Wirtschafts¬<lb/>
gebiets, wie es von einer Nation bewohnt wurde, entwickeln, sie mußten sich der<lb/>
wirtschaftlichen und politischen Natur des Landes anschließen, gleichsam sein<lb/>
Adersystem werden. Darum entwarf List in seinen allgemeinen Erörterungen<lb/>
nie eine Bahn für diesen oder jenen Einzelverkehr, sondern er legte stets das<lb/>
Netz eines allgemeinen Systems zu Grnnde, worin jedes Stück nach allen Seiten<lb/>
seine Aufgabe zu erfüllen hatte. In diesem Sinne entwarf er in Paris ein<lb/>
französisches, in Brüssel ein belgisches Eisenbahnsystem, und in der Heimat hatte<lb/>
er, auch wenn es sich speziell um preußische, sächsische, würtenbergische Bahnen<lb/>
handelte, immer ein deutsches Gesamtnetz im Auge, wie schon seine Eisenbahn¬<lb/>
karte zu der Schrift &#x201E;Ein allgemeines deutsches Eisenbahnsystem" u. s. w. zeigt.<lb/>
List war es auch, der zuerst die Idee von einer gesamtdeutschen Volkswirt¬<lb/>
schaft gefaßt hatte, die sich, soweit sie die Zölle betraf, bekanntlich auf andre<lb/>
Weise mehr durch die Macht der Dinge als der Menschen verwirklichte. Hier<lb/>
fügte List das System der Bahnen hinein, und sie sind der mächtigste Hebel<lb/>
dafür geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1688" next="#ID_1689"> Aus der Theorie Lifts von der produktiven Kraft der Eisenbahnen folgten<lb/>
auch die wichtigen Grundsätze nicht bloß für ihre Richtung und Lage, sonder»<lb/>
auch für^ die Art ihres Baues, die er selbst anwendete und andern empfahl.<lb/>
Sollte der Nutzen der Schienenstränge ein vollkommener sein, so war erforder¬<lb/>
lich, daß man ihnen die Möglichkeit gab, Werte zu schaffen. Sie mußten also<lb/>
den bisherigen Handelswegen folgen, aber die Produkte der Industrie nicht<lb/>
minder, wie die der Landwirtschaft aufnehmen und den Austausch vermitteln<lb/>
können, mußten in diesem oder jenem Falle dem Transport von Kohle, Steinen,<lb/>
Holz, Erz, Salz dienstbar gemacht werden. List schätzte die Menge der Frachten<lb/>
und die Größe des Personenverkehrs aus dem bereits vorhandenen Verkehr,<lb/>
unter Voraussetzung geringer Transportkosten ans der Eisenbahn ab und ver¬<lb/>
langte, daß die Kosten des Baues der Bahn alsdann so ermäßigt würden, daß<lb/>
auf dieser Grundlage bereits eine landläufige Verzinsung des Anlagekapitals<lb/>
entstünde. Nach diesem Grundsatze richtete er alle feine Erörterungen in Betreff<lb/>
der praktische» Frage» über Krümmung, Steigung, Schienen und Bauten ein.<lb/>
Kein Luxus, ehe die Bahn ihn nicht verdient habe. Wäre dieser Grundsatz<lb/>
immer befolgt worden, einen Eisenbahnkrach hätten wir niemals erlebt, die<lb/>
toten Bahnen wären entweder garnicht oder in zweckmäßiger Art, also in erster<lb/>
Linie billiger gebaut worden, man wäre früher und jetzt schneller mit den Neben¬<lb/>
bahnen bis in die äußersten Jndustriebezirke vorgedrungen und hätte vielleicht<lb/>
jetzt eigne Bahnen oder dritte Gleise für große Massengüter, bei denen eine<lb/>
langsame Beförderung ausreicht, aber die äußerste Tarifermäßigung doch ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Aur Lrinncrung an Friedrich List. dehnen, reicher werden, Grund und Boden im Werte wachsen und die ganze Macht des Landes sich heben. Sollten freilich alle jene Wirkungen eintrete», dann mußten die Eisenbahnen sich nach und nach zu einem völligen Verkehrsshstem innerhalb eines Wirtschafts¬ gebiets, wie es von einer Nation bewohnt wurde, entwickeln, sie mußten sich der wirtschaftlichen und politischen Natur des Landes anschließen, gleichsam sein Adersystem werden. Darum entwarf List in seinen allgemeinen Erörterungen nie eine Bahn für diesen oder jenen Einzelverkehr, sondern er legte stets das Netz eines allgemeinen Systems zu Grnnde, worin jedes Stück nach allen Seiten seine Aufgabe zu erfüllen hatte. In diesem Sinne entwarf er in Paris ein französisches, in Brüssel ein belgisches Eisenbahnsystem, und in der Heimat hatte er, auch wenn es sich speziell um preußische, sächsische, würtenbergische Bahnen handelte, immer ein deutsches Gesamtnetz im Auge, wie schon seine Eisenbahn¬ karte zu der Schrift „Ein allgemeines deutsches Eisenbahnsystem" u. s. w. zeigt. List war es auch, der zuerst die Idee von einer gesamtdeutschen Volkswirt¬ schaft gefaßt hatte, die sich, soweit sie die Zölle betraf, bekanntlich auf andre Weise mehr durch die Macht der Dinge als der Menschen verwirklichte. Hier fügte List das System der Bahnen hinein, und sie sind der mächtigste Hebel dafür geworden. Aus der Theorie Lifts von der produktiven Kraft der Eisenbahnen folgten auch die wichtigen Grundsätze nicht bloß für ihre Richtung und Lage, sonder» auch für^ die Art ihres Baues, die er selbst anwendete und andern empfahl. Sollte der Nutzen der Schienenstränge ein vollkommener sein, so war erforder¬ lich, daß man ihnen die Möglichkeit gab, Werte zu schaffen. Sie mußten also den bisherigen Handelswegen folgen, aber die Produkte der Industrie nicht minder, wie die der Landwirtschaft aufnehmen und den Austausch vermitteln können, mußten in diesem oder jenem Falle dem Transport von Kohle, Steinen, Holz, Erz, Salz dienstbar gemacht werden. List schätzte die Menge der Frachten und die Größe des Personenverkehrs aus dem bereits vorhandenen Verkehr, unter Voraussetzung geringer Transportkosten ans der Eisenbahn ab und ver¬ langte, daß die Kosten des Baues der Bahn alsdann so ermäßigt würden, daß auf dieser Grundlage bereits eine landläufige Verzinsung des Anlagekapitals entstünde. Nach diesem Grundsatze richtete er alle feine Erörterungen in Betreff der praktische» Frage» über Krümmung, Steigung, Schienen und Bauten ein. Kein Luxus, ehe die Bahn ihn nicht verdient habe. Wäre dieser Grundsatz immer befolgt worden, einen Eisenbahnkrach hätten wir niemals erlebt, die toten Bahnen wären entweder garnicht oder in zweckmäßiger Art, also in erster Linie billiger gebaut worden, man wäre früher und jetzt schneller mit den Neben¬ bahnen bis in die äußersten Jndustriebezirke vorgedrungen und hätte vielleicht jetzt eigne Bahnen oder dritte Gleise für große Massengüter, bei denen eine langsame Beförderung ausreicht, aber die äußerste Tarifermäßigung doch ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/394>, abgerufen am 08.09.2024.