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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Erinnerung an Friedrich List,

sommer 1833 mit Schriften an die Öffentlichkeit, welche nicht bloß für eine
Bahn -- die von Leipzig nach Dresden --, fondern mit allein Nachdruck für
ein großes deutsches Bahnsystem eintraten; denn erst in dem planmäßig ange¬
legten ganzen System ruhte nach seinen Lehren über den Wert der Eisenbahnen
der Haupthebel ihrer Kraft.

Es liegt uns selbstverständlich fern, hier über die Entwicklung des Leipziger
Unternehmens, über das Schicksal Lifts in Leipzig und seine weitere Thätig¬
keit für einzelne bald aufblühende deutsche Bahnen zu sprechen. Diese Blätter
haben darüber bereits früher hinreichende Aufklärung gegeben. Aber eine Skizze
seiner Verkehrsthevrie scheint uns zum Andenken an jene Tage zweckmäßig zu
sein. Vielleicht treten alsdann auch die sonstigen großen Verdienste des edeln
Patrioten und Denkers, des Vorkämpfers unsrer wirtschaftlichen und damit auch
politischen Kraft wieder in die Erinnerung des Lesers.

Als mau zu Ende der zwanziger Jahre anfangen wollte, auf Schienen
zu fahren, wußten die Nationalökonomen für die Zweckmäßigkeit und Renta¬
bilität dieser Verkehrsart nichts als die Ersparnisse anzuführen, welche man
möglicherweise an den Kosten des Waarentransports werde machen können. Sie
wagten deshalb bloß, kleine Strecken von Eisenbahnen als Verbindung zweier
Handelsplätze allenfalls für rentabel und nützlich zu halten, und hatten selbst
hierbei noch ihre Bedenken. Die Bahnen waren also höchstens imstande die
Preise der vorhandenen Handelswaaren zu ermäßigen, indem sie die Arbeit er¬
mäßigten, die an ihnen zu verrichten war, denn nach den Lehren von Adam
Smith war es die Arbeit allein, welche den volkswirtschaftlichen Wert einer
Waare und damit ihren Preis bestimmte. Man sah nicht, daß die Eisenbahnen
imstande sein würden, Dingen einen Wert zu geben, die vorher keinen hatten,
also gewissermaßen neue Werte zu schaffen, gleich wie der Grund und Boden
durch seine Bebauung. Holz, Kohle, Steine, Erze haben, wenn man sie nicht
transportiren kann, keinen Wert. Eine Art des Transports, die imstande, ist,
solche Materialien zu befördern, schafft ihnen erst Wert. Ferner werden Dinge,
welche eine lange Aufbewahrung nicht vertragen, wertlos. Aber eine Beför¬
derungswege, die sie schnell dahin zu bringen vermag, wo man Verlangen nach
ihnen trägt, erhält oder erteilt ihnen wiederum erst eiuen Wert, einen wirt¬
schaftlichen Zweck. Man denke an Lebensmittel, Obst, Fische, Fleisch, selbst
lebendes Vieh und unter Umständen Korn. Verkehrswege, die derartig schaffend
und erhaltend wirken, besitzen also im volkswirtschaftlichen Sinne gewissermaßen
selbst eine produzirende Kraft, Verkehrswege, die jegliche Last und andrerseits,
wo es nötig ist, die Waaren auch sehr schnell befördern, also Eisenbahnen, sind
dieser Art. Ihre Erfindung muß also, weil mit ihnen plötzlich mittelbar etwas
entsteht, das vorher nicht war, befruchtend auf alle menschliche Thätigkeit wirken.

Dies alles sah kein Mensch, kein Nationalökvnom. Nur vor den Blicken
Friedrich Lifts entrollte sich das ganze Bild. Er sah in der Zukunft alle die


Zur Erinnerung an Friedrich List,

sommer 1833 mit Schriften an die Öffentlichkeit, welche nicht bloß für eine
Bahn — die von Leipzig nach Dresden —, fondern mit allein Nachdruck für
ein großes deutsches Bahnsystem eintraten; denn erst in dem planmäßig ange¬
legten ganzen System ruhte nach seinen Lehren über den Wert der Eisenbahnen
der Haupthebel ihrer Kraft.

Es liegt uns selbstverständlich fern, hier über die Entwicklung des Leipziger
Unternehmens, über das Schicksal Lifts in Leipzig und seine weitere Thätig¬
keit für einzelne bald aufblühende deutsche Bahnen zu sprechen. Diese Blätter
haben darüber bereits früher hinreichende Aufklärung gegeben. Aber eine Skizze
seiner Verkehrsthevrie scheint uns zum Andenken an jene Tage zweckmäßig zu
sein. Vielleicht treten alsdann auch die sonstigen großen Verdienste des edeln
Patrioten und Denkers, des Vorkämpfers unsrer wirtschaftlichen und damit auch
politischen Kraft wieder in die Erinnerung des Lesers.

Als mau zu Ende der zwanziger Jahre anfangen wollte, auf Schienen
zu fahren, wußten die Nationalökonomen für die Zweckmäßigkeit und Renta¬
bilität dieser Verkehrsart nichts als die Ersparnisse anzuführen, welche man
möglicherweise an den Kosten des Waarentransports werde machen können. Sie
wagten deshalb bloß, kleine Strecken von Eisenbahnen als Verbindung zweier
Handelsplätze allenfalls für rentabel und nützlich zu halten, und hatten selbst
hierbei noch ihre Bedenken. Die Bahnen waren also höchstens imstande die
Preise der vorhandenen Handelswaaren zu ermäßigen, indem sie die Arbeit er¬
mäßigten, die an ihnen zu verrichten war, denn nach den Lehren von Adam
Smith war es die Arbeit allein, welche den volkswirtschaftlichen Wert einer
Waare und damit ihren Preis bestimmte. Man sah nicht, daß die Eisenbahnen
imstande sein würden, Dingen einen Wert zu geben, die vorher keinen hatten,
also gewissermaßen neue Werte zu schaffen, gleich wie der Grund und Boden
durch seine Bebauung. Holz, Kohle, Steine, Erze haben, wenn man sie nicht
transportiren kann, keinen Wert. Eine Art des Transports, die imstande, ist,
solche Materialien zu befördern, schafft ihnen erst Wert. Ferner werden Dinge,
welche eine lange Aufbewahrung nicht vertragen, wertlos. Aber eine Beför¬
derungswege, die sie schnell dahin zu bringen vermag, wo man Verlangen nach
ihnen trägt, erhält oder erteilt ihnen wiederum erst eiuen Wert, einen wirt¬
schaftlichen Zweck. Man denke an Lebensmittel, Obst, Fische, Fleisch, selbst
lebendes Vieh und unter Umständen Korn. Verkehrswege, die derartig schaffend
und erhaltend wirken, besitzen also im volkswirtschaftlichen Sinne gewissermaßen
selbst eine produzirende Kraft, Verkehrswege, die jegliche Last und andrerseits,
wo es nötig ist, die Waaren auch sehr schnell befördern, also Eisenbahnen, sind
dieser Art. Ihre Erfindung muß also, weil mit ihnen plötzlich mittelbar etwas
entsteht, das vorher nicht war, befruchtend auf alle menschliche Thätigkeit wirken.

Dies alles sah kein Mensch, kein Nationalökvnom. Nur vor den Blicken
Friedrich Lifts entrollte sich das ganze Bild. Er sah in der Zukunft alle die


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[0392] Zur Erinnerung an Friedrich List, sommer 1833 mit Schriften an die Öffentlichkeit, welche nicht bloß für eine Bahn — die von Leipzig nach Dresden —, fondern mit allein Nachdruck für ein großes deutsches Bahnsystem eintraten; denn erst in dem planmäßig ange¬ legten ganzen System ruhte nach seinen Lehren über den Wert der Eisenbahnen der Haupthebel ihrer Kraft. Es liegt uns selbstverständlich fern, hier über die Entwicklung des Leipziger Unternehmens, über das Schicksal Lifts in Leipzig und seine weitere Thätig¬ keit für einzelne bald aufblühende deutsche Bahnen zu sprechen. Diese Blätter haben darüber bereits früher hinreichende Aufklärung gegeben. Aber eine Skizze seiner Verkehrsthevrie scheint uns zum Andenken an jene Tage zweckmäßig zu sein. Vielleicht treten alsdann auch die sonstigen großen Verdienste des edeln Patrioten und Denkers, des Vorkämpfers unsrer wirtschaftlichen und damit auch politischen Kraft wieder in die Erinnerung des Lesers. Als mau zu Ende der zwanziger Jahre anfangen wollte, auf Schienen zu fahren, wußten die Nationalökonomen für die Zweckmäßigkeit und Renta¬ bilität dieser Verkehrsart nichts als die Ersparnisse anzuführen, welche man möglicherweise an den Kosten des Waarentransports werde machen können. Sie wagten deshalb bloß, kleine Strecken von Eisenbahnen als Verbindung zweier Handelsplätze allenfalls für rentabel und nützlich zu halten, und hatten selbst hierbei noch ihre Bedenken. Die Bahnen waren also höchstens imstande die Preise der vorhandenen Handelswaaren zu ermäßigen, indem sie die Arbeit er¬ mäßigten, die an ihnen zu verrichten war, denn nach den Lehren von Adam Smith war es die Arbeit allein, welche den volkswirtschaftlichen Wert einer Waare und damit ihren Preis bestimmte. Man sah nicht, daß die Eisenbahnen imstande sein würden, Dingen einen Wert zu geben, die vorher keinen hatten, also gewissermaßen neue Werte zu schaffen, gleich wie der Grund und Boden durch seine Bebauung. Holz, Kohle, Steine, Erze haben, wenn man sie nicht transportiren kann, keinen Wert. Eine Art des Transports, die imstande, ist, solche Materialien zu befördern, schafft ihnen erst Wert. Ferner werden Dinge, welche eine lange Aufbewahrung nicht vertragen, wertlos. Aber eine Beför¬ derungswege, die sie schnell dahin zu bringen vermag, wo man Verlangen nach ihnen trägt, erhält oder erteilt ihnen wiederum erst eiuen Wert, einen wirt¬ schaftlichen Zweck. Man denke an Lebensmittel, Obst, Fische, Fleisch, selbst lebendes Vieh und unter Umständen Korn. Verkehrswege, die derartig schaffend und erhaltend wirken, besitzen also im volkswirtschaftlichen Sinne gewissermaßen selbst eine produzirende Kraft, Verkehrswege, die jegliche Last und andrerseits, wo es nötig ist, die Waaren auch sehr schnell befördern, also Eisenbahnen, sind dieser Art. Ihre Erfindung muß also, weil mit ihnen plötzlich mittelbar etwas entsteht, das vorher nicht war, befruchtend auf alle menschliche Thätigkeit wirken. Dies alles sah kein Mensch, kein Nationalökvnom. Nur vor den Blicken Friedrich Lifts entrollte sich das ganze Bild. Er sah in der Zukunft alle die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/392>, abgerufen am 08.09.2024.