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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Liümerung an Friedrich List.

trieben hatte. Geschütze durch seine Eigenschaft als amerikanischer Konsul, glaubte
er dem Drange seiner Vaterlandsliebe folgen und dem heimatliche" Boden eine
Wohlthat erweisen zu müssen, deren ungeheure Tragweite unter allen Menschen
nur er allein vermöge seiner tiefern volkswirtschaftlichen Einsichten zu ermessen
verstand, während er mit Seherblick voraussah, daß er, falls er in jenem Ren-
tamte blieb und seine Ideen verwirklichte und ausbreitete, einer jener sogenannten
Eisenbahnkönige werden konnte, welche das breite Publikum heutzutage so un¬
begründeter Weise ihres Reichtums wegen bewundert, den sie durch zufälliges
Glück, nicht durch tiefe und weittragende nützliche Einsichten erwarben. List
glaubte in erster Linie seinem Vaterlande mit seiner neuen wirtschaftlichen Lehre
dienen zu müssen.

Den Winter hatte er in Hamburg zugebracht und von dort aus in ein¬
flußreichen Blättern durch kleine Aufsätze für seine Verkehrsideen zu wirken und
die Hamburger Handelswelt für Bahnverbindungen nach Berlin, Kiel und Lübeck
zu gewinnen versucht. Beides hatte keinen Erfolg gehabt. Zeitungsartikel und
Mitteilungen über Eisenbahnen andrer Länder konnten die Dentschen aus ihrer
damaligen Schwerfälligkeit nicht aufrütteln. Niemand sah sich veranlaßt, Hand
ans Werk zu legen. Die Hamburger waren für ein Hinterland und einen
Handel mit demselben nicht interesstrt. Der Blick der Kaufherren und Rheder
war auf die See und auf den Handel zwischen den andern Ländern gerichtet.
Sie waren Vermittler des internationalen Austausches, achteten ein unent¬
wickeltes Hinterland nicht und hatten keinen Blick für die Wirkung der Ver¬
kehrswege zur Entwicklung desselben, so wenig Blick, daß mau jener Stadt dies
inzwischen reich aufgeblühte große Wirtschaftsgebiet, das einen zu ihm gehörigen,
wirtschaftlich kräftigen Exporthafen bedürfte, noch in unsern Tagen als Hinter¬
land aufdrängen mußte.

Bei genauerer Prüfung der dentschen Verhältnisse gelangte List zu der
Ansicht, daß er in Leipzig, dem größten Handels- und Meßplatz im Innern
mit größern Zufuhren aus den gerade um ihn herum liegenden Hauptiudustrie-
gegeudeu Deutschlands und entsprechenden Ausführen nach dem Auslande, mehr
Interesse für deu innern Verkehr, und aus diesem Grunde mehr Verständnis
für seine weittragenden Pläne finden würde. Zudem mußte ein rentables
Unternehmen in der Mitte zwischen Nord und Süd am ehesten nach allen
Seiten befruchtend auf den Unternehmungsgeist einwirken.

Im Frühjahr 1833 siedelte er nach Leipzig über, suchte im Laufe des
Sommers Beziehungen und machte Reisen zur Untersuchung der Bodenver¬
hältnisse im speziellen Hinblick auf eine Bahnverbindung der beiden Städte
Leipzig und Dresden, denn eine solche Städteverbinduug hatte für die Renta¬
bilität eines ersten Unternehmens, schon wegen des Personenverkehrs, größere
Aussichten, gleich der Verbindung Berlin-Hamburg. Ausgerüstet mit seinen
verkehrsökonomischcn Einsichten und dem örtlichen Material trat er im Spät-


Zur Liümerung an Friedrich List.

trieben hatte. Geschütze durch seine Eigenschaft als amerikanischer Konsul, glaubte
er dem Drange seiner Vaterlandsliebe folgen und dem heimatliche» Boden eine
Wohlthat erweisen zu müssen, deren ungeheure Tragweite unter allen Menschen
nur er allein vermöge seiner tiefern volkswirtschaftlichen Einsichten zu ermessen
verstand, während er mit Seherblick voraussah, daß er, falls er in jenem Ren-
tamte blieb und seine Ideen verwirklichte und ausbreitete, einer jener sogenannten
Eisenbahnkönige werden konnte, welche das breite Publikum heutzutage so un¬
begründeter Weise ihres Reichtums wegen bewundert, den sie durch zufälliges
Glück, nicht durch tiefe und weittragende nützliche Einsichten erwarben. List
glaubte in erster Linie seinem Vaterlande mit seiner neuen wirtschaftlichen Lehre
dienen zu müssen.

Den Winter hatte er in Hamburg zugebracht und von dort aus in ein¬
flußreichen Blättern durch kleine Aufsätze für seine Verkehrsideen zu wirken und
die Hamburger Handelswelt für Bahnverbindungen nach Berlin, Kiel und Lübeck
zu gewinnen versucht. Beides hatte keinen Erfolg gehabt. Zeitungsartikel und
Mitteilungen über Eisenbahnen andrer Länder konnten die Dentschen aus ihrer
damaligen Schwerfälligkeit nicht aufrütteln. Niemand sah sich veranlaßt, Hand
ans Werk zu legen. Die Hamburger waren für ein Hinterland und einen
Handel mit demselben nicht interesstrt. Der Blick der Kaufherren und Rheder
war auf die See und auf den Handel zwischen den andern Ländern gerichtet.
Sie waren Vermittler des internationalen Austausches, achteten ein unent¬
wickeltes Hinterland nicht und hatten keinen Blick für die Wirkung der Ver¬
kehrswege zur Entwicklung desselben, so wenig Blick, daß mau jener Stadt dies
inzwischen reich aufgeblühte große Wirtschaftsgebiet, das einen zu ihm gehörigen,
wirtschaftlich kräftigen Exporthafen bedürfte, noch in unsern Tagen als Hinter¬
land aufdrängen mußte.

Bei genauerer Prüfung der dentschen Verhältnisse gelangte List zu der
Ansicht, daß er in Leipzig, dem größten Handels- und Meßplatz im Innern
mit größern Zufuhren aus den gerade um ihn herum liegenden Hauptiudustrie-
gegeudeu Deutschlands und entsprechenden Ausführen nach dem Auslande, mehr
Interesse für deu innern Verkehr, und aus diesem Grunde mehr Verständnis
für seine weittragenden Pläne finden würde. Zudem mußte ein rentables
Unternehmen in der Mitte zwischen Nord und Süd am ehesten nach allen
Seiten befruchtend auf den Unternehmungsgeist einwirken.

Im Frühjahr 1833 siedelte er nach Leipzig über, suchte im Laufe des
Sommers Beziehungen und machte Reisen zur Untersuchung der Bodenver¬
hältnisse im speziellen Hinblick auf eine Bahnverbindung der beiden Städte
Leipzig und Dresden, denn eine solche Städteverbinduug hatte für die Renta¬
bilität eines ersten Unternehmens, schon wegen des Personenverkehrs, größere
Aussichten, gleich der Verbindung Berlin-Hamburg. Ausgerüstet mit seinen
verkehrsökonomischcn Einsichten und dem örtlichen Material trat er im Spät-


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[0391] Zur Liümerung an Friedrich List. trieben hatte. Geschütze durch seine Eigenschaft als amerikanischer Konsul, glaubte er dem Drange seiner Vaterlandsliebe folgen und dem heimatliche» Boden eine Wohlthat erweisen zu müssen, deren ungeheure Tragweite unter allen Menschen nur er allein vermöge seiner tiefern volkswirtschaftlichen Einsichten zu ermessen verstand, während er mit Seherblick voraussah, daß er, falls er in jenem Ren- tamte blieb und seine Ideen verwirklichte und ausbreitete, einer jener sogenannten Eisenbahnkönige werden konnte, welche das breite Publikum heutzutage so un¬ begründeter Weise ihres Reichtums wegen bewundert, den sie durch zufälliges Glück, nicht durch tiefe und weittragende nützliche Einsichten erwarben. List glaubte in erster Linie seinem Vaterlande mit seiner neuen wirtschaftlichen Lehre dienen zu müssen. Den Winter hatte er in Hamburg zugebracht und von dort aus in ein¬ flußreichen Blättern durch kleine Aufsätze für seine Verkehrsideen zu wirken und die Hamburger Handelswelt für Bahnverbindungen nach Berlin, Kiel und Lübeck zu gewinnen versucht. Beides hatte keinen Erfolg gehabt. Zeitungsartikel und Mitteilungen über Eisenbahnen andrer Länder konnten die Dentschen aus ihrer damaligen Schwerfälligkeit nicht aufrütteln. Niemand sah sich veranlaßt, Hand ans Werk zu legen. Die Hamburger waren für ein Hinterland und einen Handel mit demselben nicht interesstrt. Der Blick der Kaufherren und Rheder war auf die See und auf den Handel zwischen den andern Ländern gerichtet. Sie waren Vermittler des internationalen Austausches, achteten ein unent¬ wickeltes Hinterland nicht und hatten keinen Blick für die Wirkung der Ver¬ kehrswege zur Entwicklung desselben, so wenig Blick, daß mau jener Stadt dies inzwischen reich aufgeblühte große Wirtschaftsgebiet, das einen zu ihm gehörigen, wirtschaftlich kräftigen Exporthafen bedürfte, noch in unsern Tagen als Hinter¬ land aufdrängen mußte. Bei genauerer Prüfung der dentschen Verhältnisse gelangte List zu der Ansicht, daß er in Leipzig, dem größten Handels- und Meßplatz im Innern mit größern Zufuhren aus den gerade um ihn herum liegenden Hauptiudustrie- gegeudeu Deutschlands und entsprechenden Ausführen nach dem Auslande, mehr Interesse für deu innern Verkehr, und aus diesem Grunde mehr Verständnis für seine weittragenden Pläne finden würde. Zudem mußte ein rentables Unternehmen in der Mitte zwischen Nord und Süd am ehesten nach allen Seiten befruchtend auf den Unternehmungsgeist einwirken. Im Frühjahr 1833 siedelte er nach Leipzig über, suchte im Laufe des Sommers Beziehungen und machte Reisen zur Untersuchung der Bodenver¬ hältnisse im speziellen Hinblick auf eine Bahnverbindung der beiden Städte Leipzig und Dresden, denn eine solche Städteverbinduug hatte für die Renta¬ bilität eines ersten Unternehmens, schon wegen des Personenverkehrs, größere Aussichten, gleich der Verbindung Berlin-Hamburg. Ausgerüstet mit seinen verkehrsökonomischcn Einsichten und dem örtlichen Material trat er im Spät-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/391>, abgerufen am 08.09.2024.