Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.(österreichische U)irren. der mit Knütteln und Steinen, am liebsten gegen Wehrlose, das Vaterland Wenn verfassungsfreundliche Blätter die Ansicht aussprechen, der politische Das Bild wäre unvollständig ohne jene Nation, die nie als solche gelten (österreichische U)irren. der mit Knütteln und Steinen, am liebsten gegen Wehrlose, das Vaterland Wenn verfassungsfreundliche Blätter die Ansicht aussprechen, der politische Das Bild wäre unvollständig ohne jene Nation, die nie als solche gelten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153781"/> <fw type="header" place="top"> (österreichische U)irren.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> der mit Knütteln und Steinen, am liebsten gegen Wehrlose, das Vaterland<lb/> verteidigt, auf der andern Seite, liegt ja noch eine breite Schicht, Bürger und<lb/> Landleute, die sich Jahrhunderte lang mit den deutschen Nachbarn gut vertragen,<lb/> gegenseitig die Kinder in Pflege genommen haben, um sie beidsprachig zu machen,<lb/> ruhige, fleißige, betriebsame Menschen, welche sich nach dem Rummel vou 1848,<lb/> als Fürst Schwarzenberg (Svarcnberk heißen seine Verwandten jetzt) an der<lb/> Spitze der streng zentralistischen Regierung stand und Graf Leo Thun als<lb/> Unterrichtsminister eifrigst germanisirte, ganz gut wieder darein gefunden hatten,<lb/> daß die Behörden und die ganze gebildete Welt deutsch sprach. Sie würden<lb/> das und andres auch heute ertragen, fürchteten sie nicht den Terrorismus der<lb/> Führer. Wer mag sich gern als Vaterlandsverräter der allgemeinen Verachtung<lb/> preisgeben lassen! Und ihre Kinder wachsen in ganz andern Vorstellungen auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1463"> Wenn verfassungsfreundliche Blätter die Ansicht aussprechen, der politische<lb/> Wirrwarr in Österreich sei niemals so groß gewesen wie gegenwärtig, so mag<lb/> das Übertreibung genannt werden; doch muß man bezweifeln, daß er je größer<lb/> gewesen. Als die Saat der vormärzlichen Politik, eine Nationalität gegen die<lb/> andre auszuspielen, 1848 so schön aufging, und abermals nach zehn Jahren,<lb/> in welchen alle unter gleicher Zuchtrute gehalten worden, äußerte sich bei allen,<lb/> mit Ausnahme der Magyaren, allein der dunkle Drang, „frei" zu werden.<lb/> Jetzt haben sich überall Herrschgelttste ausgebildet. In Ungarn soll es nur<lb/> noch Magyaren geben; die Kroaten streben ein Großkroatien mit Bosnien, der<lb/> Herzegowina und Dalmatien an, während die italienischen Dalmatiner nicht das<lb/> geringste von solcher Union wissen wollen; nebenan malen sich die Windischen<lb/> ein Slovenenreich aus, welches Kram, Untersteiermark, Südkärnten, Görz und<lb/> vielleicht noch manches andre umfassen soll; die Ultramontanen Tirols bezeigen<lb/> Lust, jedem, der frische Alpenluft und hartes Bockfleisch genießen möchte oder<lb/> in Meran Heilung sucht, an der Grenze den Beichtzettel abzuverlangen; im<lb/> Norden möchte man das tschechische Reich wieder aufrichten, im Osten das<lb/> polnische, beide unter dem Vorbehalt künftiger Reunionen, bei welchen es wohl<lb/> auf eine Teilung Schlesiens, auch des preußischen, hinauslaufen würde; und<lb/> überall sollen hergeben und unterdrückt werden diejenigen, welche die öster¬<lb/> reichische Fahne hochhalten, Deutsche, Ruthenen, Italiener, die nicht vom Jrre-<lb/> dentafieber ergriffen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1464" next="#ID_1465"> Das Bild wäre unvollständig ohne jene Nation, die nie als solche gelten<lb/> will, allüberall die Hand im Spiele hat, jede Sprache spricht und jede Farbe<lb/> anlegt und die Herrschaft eben so konsequent aber weniger geräuschvoll anstrebt<lb/> als die andern. Die Legende, daß die Juden zuverlässige Bundesgenossen der<lb/> Deutschen seien, hat ausgespielt: sie sind in Ungarn Magyaren, in Galizien<lb/> Polen und bei der jüngsten Wahl in Böhmen Tschechen geworden. Aber bei<lb/> wichtigen Anlässen kommt das wahre Nationalgefühl spontan zum Durchbruch.<lb/> Z. B. jetzt bei dem Prozeß in Nyiregyhaz. Dieser Rechtsfall wird wohl seinen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
(österreichische U)irren.
der mit Knütteln und Steinen, am liebsten gegen Wehrlose, das Vaterland
verteidigt, auf der andern Seite, liegt ja noch eine breite Schicht, Bürger und
Landleute, die sich Jahrhunderte lang mit den deutschen Nachbarn gut vertragen,
gegenseitig die Kinder in Pflege genommen haben, um sie beidsprachig zu machen,
ruhige, fleißige, betriebsame Menschen, welche sich nach dem Rummel vou 1848,
als Fürst Schwarzenberg (Svarcnberk heißen seine Verwandten jetzt) an der
Spitze der streng zentralistischen Regierung stand und Graf Leo Thun als
Unterrichtsminister eifrigst germanisirte, ganz gut wieder darein gefunden hatten,
daß die Behörden und die ganze gebildete Welt deutsch sprach. Sie würden
das und andres auch heute ertragen, fürchteten sie nicht den Terrorismus der
Führer. Wer mag sich gern als Vaterlandsverräter der allgemeinen Verachtung
preisgeben lassen! Und ihre Kinder wachsen in ganz andern Vorstellungen auf.
Wenn verfassungsfreundliche Blätter die Ansicht aussprechen, der politische
Wirrwarr in Österreich sei niemals so groß gewesen wie gegenwärtig, so mag
das Übertreibung genannt werden; doch muß man bezweifeln, daß er je größer
gewesen. Als die Saat der vormärzlichen Politik, eine Nationalität gegen die
andre auszuspielen, 1848 so schön aufging, und abermals nach zehn Jahren,
in welchen alle unter gleicher Zuchtrute gehalten worden, äußerte sich bei allen,
mit Ausnahme der Magyaren, allein der dunkle Drang, „frei" zu werden.
Jetzt haben sich überall Herrschgelttste ausgebildet. In Ungarn soll es nur
noch Magyaren geben; die Kroaten streben ein Großkroatien mit Bosnien, der
Herzegowina und Dalmatien an, während die italienischen Dalmatiner nicht das
geringste von solcher Union wissen wollen; nebenan malen sich die Windischen
ein Slovenenreich aus, welches Kram, Untersteiermark, Südkärnten, Görz und
vielleicht noch manches andre umfassen soll; die Ultramontanen Tirols bezeigen
Lust, jedem, der frische Alpenluft und hartes Bockfleisch genießen möchte oder
in Meran Heilung sucht, an der Grenze den Beichtzettel abzuverlangen; im
Norden möchte man das tschechische Reich wieder aufrichten, im Osten das
polnische, beide unter dem Vorbehalt künftiger Reunionen, bei welchen es wohl
auf eine Teilung Schlesiens, auch des preußischen, hinauslaufen würde; und
überall sollen hergeben und unterdrückt werden diejenigen, welche die öster¬
reichische Fahne hochhalten, Deutsche, Ruthenen, Italiener, die nicht vom Jrre-
dentafieber ergriffen sind.
Das Bild wäre unvollständig ohne jene Nation, die nie als solche gelten
will, allüberall die Hand im Spiele hat, jede Sprache spricht und jede Farbe
anlegt und die Herrschaft eben so konsequent aber weniger geräuschvoll anstrebt
als die andern. Die Legende, daß die Juden zuverlässige Bundesgenossen der
Deutschen seien, hat ausgespielt: sie sind in Ungarn Magyaren, in Galizien
Polen und bei der jüngsten Wahl in Böhmen Tschechen geworden. Aber bei
wichtigen Anlässen kommt das wahre Nationalgefühl spontan zum Durchbruch.
Z. B. jetzt bei dem Prozeß in Nyiregyhaz. Dieser Rechtsfall wird wohl seinen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |