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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Gsterrcichis es e Milden.

Genug, wer für die leidigen Zustände einzig und allein die Regierung, das
herrschende System verantwortlich macht, begeht ein entschiednes Unrecht. Aber
der Stillstand ini gesamten Geschäfts- und Verkehrsleben ist unleugbar vor¬
handen, die Großartigkeit und Pracht der neuen Stadtteile machen die Stille
mir noch auffallender. Es ist kindisch, dem Handel und dem Gewerbe -- die
nnr in einzelnen Zweigen durch den Export gedeihen -- mit einem Volks¬
fest aufhelfen zu wollen, und es ist nur zu loben, daß man endlich auf den
Köder, die "Ehre" Wiens sei engagirt, nicht mehr anbeißen will. Welche
Summen sind im Laufe der Jahre unter diesem Vorwande hinausgeworfen
worden ohne andre Entschädigung als einige Komplimente an das schöne gast¬
liche Wien! Man würde die Bitterkeit in den Erörterungen überhaupt nicht
begreifen, wenn sich die Frage nicht zu einer politischen zugespitzt hätte. Die
Anwälte großer Festlichkeiten waren unbesonnen genug, zu verraten, daß der
Welt demonstrirt werden sollte, Wien sei mit der innern Politik völlig einver¬
standen. Das ist es aber in der ungeheuern Mehrheit keineswegs. Sieht man
anch gänzlich ab von der Verstimmung der Liberalen, welche durch das Schuld¬
bewußtsein verschärft wird, so weiß die Stadt sich in ihrem deutscheu Charakter
bedroht und fühlt sich zugleich als natürlicher Vertreter des von allen Seiten
bedrängten und bedrückten Deutschtums im ganzen Lande.

Auch in dieser Beziehung ist leider viel geredet und resolvirt worden ohne
ruhige Überlegung, und jede solche Kundgebung war Wasser auf die Mühle der
"Autonomisten." Vor allem die übereilten Proteste gegen die Gründung einer
tschechischen Volksschule. In der That handelt es sich bei dieser lediglich um
ein Parteimcmvver, um einen neuen aggressiven Akt der Slawenführer. Die
Tagelöhnerbevölkernng des Bezirks Favoriten, deren Interessen sie angeblich
verfechten, hat ihnen sicherlich kein Mandat erteilt. Arme Teufel, aus Böhmen
und Mähren eingewandert, um beim Häuser- und Straßenbau etwas mehr Brot
zu verdienen, als die Heimat ihnen gewährt, wissen sie recht gut, daß ihre Kinder,
nur wenn sie deutsch verstehen, in Wien in die Lehre oder in einen Dienst
kommen; diese sind ohnehin schwerer unterzubringen, seitdem im tschechischen
Böhmen die wüste Deutschenhetze angegangen ist. Man muß es Gewissenlosigkeit
nennen, wie sie freilich bei Agitationen so häufig begegnet, die Leute in ihrem
Fortkommen zu behindern, damit jene Partei, welche bereits vor zwanzig Jahren
Wien für eine slawische Stadt erklärte, ein Argument für diesen Satz beibringen
könne. Und mit vollem Rechte betrachten die Wiener jene Privatschule nur als
den ersten Schritt; bleibt das politische Wetter den Tschechen so günstig wie
bisher, so werden die weitern Schritte nicht ans sich warten lassen. Die Privat¬
schule wird zur öffentlichen werden, die aus denselben Entlassener müssen Ge¬
legenheit zu höherer Ausbildung erhalten, folglich sind tschechische Bürger-, Real-,
Gewerbeschulen notwendig, und vor dem geistigen Auge des Grafen Harrach
steht vielleicht schon eine Universität mit tschechischer Vortragssprache in Wien.


Gsterrcichis es e Milden.

Genug, wer für die leidigen Zustände einzig und allein die Regierung, das
herrschende System verantwortlich macht, begeht ein entschiednes Unrecht. Aber
der Stillstand ini gesamten Geschäfts- und Verkehrsleben ist unleugbar vor¬
handen, die Großartigkeit und Pracht der neuen Stadtteile machen die Stille
mir noch auffallender. Es ist kindisch, dem Handel und dem Gewerbe — die
nnr in einzelnen Zweigen durch den Export gedeihen — mit einem Volks¬
fest aufhelfen zu wollen, und es ist nur zu loben, daß man endlich auf den
Köder, die „Ehre" Wiens sei engagirt, nicht mehr anbeißen will. Welche
Summen sind im Laufe der Jahre unter diesem Vorwande hinausgeworfen
worden ohne andre Entschädigung als einige Komplimente an das schöne gast¬
liche Wien! Man würde die Bitterkeit in den Erörterungen überhaupt nicht
begreifen, wenn sich die Frage nicht zu einer politischen zugespitzt hätte. Die
Anwälte großer Festlichkeiten waren unbesonnen genug, zu verraten, daß der
Welt demonstrirt werden sollte, Wien sei mit der innern Politik völlig einver¬
standen. Das ist es aber in der ungeheuern Mehrheit keineswegs. Sieht man
anch gänzlich ab von der Verstimmung der Liberalen, welche durch das Schuld¬
bewußtsein verschärft wird, so weiß die Stadt sich in ihrem deutscheu Charakter
bedroht und fühlt sich zugleich als natürlicher Vertreter des von allen Seiten
bedrängten und bedrückten Deutschtums im ganzen Lande.

Auch in dieser Beziehung ist leider viel geredet und resolvirt worden ohne
ruhige Überlegung, und jede solche Kundgebung war Wasser auf die Mühle der
„Autonomisten." Vor allem die übereilten Proteste gegen die Gründung einer
tschechischen Volksschule. In der That handelt es sich bei dieser lediglich um
ein Parteimcmvver, um einen neuen aggressiven Akt der Slawenführer. Die
Tagelöhnerbevölkernng des Bezirks Favoriten, deren Interessen sie angeblich
verfechten, hat ihnen sicherlich kein Mandat erteilt. Arme Teufel, aus Böhmen
und Mähren eingewandert, um beim Häuser- und Straßenbau etwas mehr Brot
zu verdienen, als die Heimat ihnen gewährt, wissen sie recht gut, daß ihre Kinder,
nur wenn sie deutsch verstehen, in Wien in die Lehre oder in einen Dienst
kommen; diese sind ohnehin schwerer unterzubringen, seitdem im tschechischen
Böhmen die wüste Deutschenhetze angegangen ist. Man muß es Gewissenlosigkeit
nennen, wie sie freilich bei Agitationen so häufig begegnet, die Leute in ihrem
Fortkommen zu behindern, damit jene Partei, welche bereits vor zwanzig Jahren
Wien für eine slawische Stadt erklärte, ein Argument für diesen Satz beibringen
könne. Und mit vollem Rechte betrachten die Wiener jene Privatschule nur als
den ersten Schritt; bleibt das politische Wetter den Tschechen so günstig wie
bisher, so werden die weitern Schritte nicht ans sich warten lassen. Die Privat¬
schule wird zur öffentlichen werden, die aus denselben Entlassener müssen Ge¬
legenheit zu höherer Ausbildung erhalten, folglich sind tschechische Bürger-, Real-,
Gewerbeschulen notwendig, und vor dem geistigen Auge des Grafen Harrach
steht vielleicht schon eine Universität mit tschechischer Vortragssprache in Wien.


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[0332] Gsterrcichis es e Milden. Genug, wer für die leidigen Zustände einzig und allein die Regierung, das herrschende System verantwortlich macht, begeht ein entschiednes Unrecht. Aber der Stillstand ini gesamten Geschäfts- und Verkehrsleben ist unleugbar vor¬ handen, die Großartigkeit und Pracht der neuen Stadtteile machen die Stille mir noch auffallender. Es ist kindisch, dem Handel und dem Gewerbe — die nnr in einzelnen Zweigen durch den Export gedeihen — mit einem Volks¬ fest aufhelfen zu wollen, und es ist nur zu loben, daß man endlich auf den Köder, die „Ehre" Wiens sei engagirt, nicht mehr anbeißen will. Welche Summen sind im Laufe der Jahre unter diesem Vorwande hinausgeworfen worden ohne andre Entschädigung als einige Komplimente an das schöne gast¬ liche Wien! Man würde die Bitterkeit in den Erörterungen überhaupt nicht begreifen, wenn sich die Frage nicht zu einer politischen zugespitzt hätte. Die Anwälte großer Festlichkeiten waren unbesonnen genug, zu verraten, daß der Welt demonstrirt werden sollte, Wien sei mit der innern Politik völlig einver¬ standen. Das ist es aber in der ungeheuern Mehrheit keineswegs. Sieht man anch gänzlich ab von der Verstimmung der Liberalen, welche durch das Schuld¬ bewußtsein verschärft wird, so weiß die Stadt sich in ihrem deutscheu Charakter bedroht und fühlt sich zugleich als natürlicher Vertreter des von allen Seiten bedrängten und bedrückten Deutschtums im ganzen Lande. Auch in dieser Beziehung ist leider viel geredet und resolvirt worden ohne ruhige Überlegung, und jede solche Kundgebung war Wasser auf die Mühle der „Autonomisten." Vor allem die übereilten Proteste gegen die Gründung einer tschechischen Volksschule. In der That handelt es sich bei dieser lediglich um ein Parteimcmvver, um einen neuen aggressiven Akt der Slawenführer. Die Tagelöhnerbevölkernng des Bezirks Favoriten, deren Interessen sie angeblich verfechten, hat ihnen sicherlich kein Mandat erteilt. Arme Teufel, aus Böhmen und Mähren eingewandert, um beim Häuser- und Straßenbau etwas mehr Brot zu verdienen, als die Heimat ihnen gewährt, wissen sie recht gut, daß ihre Kinder, nur wenn sie deutsch verstehen, in Wien in die Lehre oder in einen Dienst kommen; diese sind ohnehin schwerer unterzubringen, seitdem im tschechischen Böhmen die wüste Deutschenhetze angegangen ist. Man muß es Gewissenlosigkeit nennen, wie sie freilich bei Agitationen so häufig begegnet, die Leute in ihrem Fortkommen zu behindern, damit jene Partei, welche bereits vor zwanzig Jahren Wien für eine slawische Stadt erklärte, ein Argument für diesen Satz beibringen könne. Und mit vollem Rechte betrachten die Wiener jene Privatschule nur als den ersten Schritt; bleibt das politische Wetter den Tschechen so günstig wie bisher, so werden die weitern Schritte nicht ans sich warten lassen. Die Privat¬ schule wird zur öffentlichen werden, die aus denselben Entlassener müssen Ge¬ legenheit zu höherer Ausbildung erhalten, folglich sind tschechische Bürger-, Real-, Gewerbeschulen notwendig, und vor dem geistigen Auge des Grafen Harrach steht vielleicht schon eine Universität mit tschechischer Vortragssprache in Wien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/332>, abgerufen am 08.09.2024.