Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
"Österreichische wirren.

Ausdruck ist eingebürgert! -- zur Sprache, so führen die Fleischhauer das ent¬
scheidende Wort. Seit Jahrzehnten steht die Regulirung des Wienflusses auf
der Tagesordnung, welcher im Sommer einen großen Teil der Stadt, einschlie߬
lich des Stadtparks, förmlich verpestet, aber nie ist ein Projekt vollkommen
genug, und so bleibts beim alten. Jener Stadtpark ist vor dreißig Jahren nach
den Grundsätzen der Landschaftsgärtnerei und insofern fehlerhaft angelegt werden,
als er vor allen Dingen Schatten gewähren mußte; nun die Bäume und Gebüsche
groß geworden waren und einigermaßen den Fehler verbesserten, läßt man den
Stadtgärtner darin Hausen, wie die Gebirgsbauern in ihren Wäldern, und schickt
ihn erst fort, da wenig mehr zu verderben ist. Um dieselbe Zeit wurde die
Ringstraße bepflanzt, aber uicht mit einheimischen Bäumen, welche jetzt mächtige
Kronen haben würden, sondern mit der ostasiatischen Ailanthus, welcher im
Winter 1379--80 schaarenweise erfror, übrigens zur Blütezeit einen sehr un¬
angenehmen Geruch verbreitet. Ein Netz von Pferdebahnen ist praktisch über
die ganze Stadt ausgebreitet, aber der Fahrpark ist so ungenügend und die
Verordnungen über die Zahl der in einen Wagen Aufzunehmenden bleiben so
absolut unbeachtet, daß zur Zeit größern Verkehrs die Wagen auf wahrhaft un¬
anständige, sanitätswidrige und thierquälerische Weise mit fünfzig, sechzig Menschen
vollgepfropft werden und trotzdem nie dem Bedarf genügt wird. Jetzt erbietet
sich ein Engländer, eine Stadtbahn zu bauen -- das einzige Mittel, um die
Verbindung zwischen der Stadt und den nächstgelegncn Ortschaften zu regeln und
endlich eine Ableitung von den überfüllten innern Stadtteilen zu ermöglichen;
denn jetzt zieht der einigermaßen Bemittelte wohl für den Sommer aufs Land,
aber gänzlich an der Peripherie zu wohnen, ist bei den gegenwärtigen Ver¬
hältnissen unausführbar. Jenen Projektanten behandelt man wie einen lästigen
Hausirer. geberdet sich, als wolle er nicht ein Geschenk machen, sondern etwas
geschenkt haben, die hochweise Künstlerschaft erhebt im Namen der Ästhetik
Protest, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, vor allen aber die Besitzer
von Equipagen können gar kein Bedürfnis eines neuen Verkehrsmittels ent¬
decken, genau so. wie sie vor dreißig Jahren den Omnibus und vor zwanzig
die Pferdebahnen als höchst überflüssig ansahen. Wie endlich der Handels-
minister den Entschluß kundgiebt, nötigenfalls über den Gemeinderat hinweg
das Unternehmen zu konzessioniren, wird die ausschließliche Verwendung in¬
ländischen Eisens zur Bedingung gemacht und dadurch glücklich erreicht, daß das
englische Kapital sich zurückzieht. So ist auch diese Einrichtung hinausgeschoben
bis auf die Zeit wo man gezwungen sein wird, sie mit großem Aufwande
herzustellen Selbst die im vergangnen Jahre beschlossene Aufhebung der klein¬
städtischen Sperrstunde" ist an dem Widerstande der Hausbesitzer gescheitert,
und uach wie vor öffnet sich von dem Glockenschlage zehn an das Hausthor
nur gegen den "Sechserl"-Tribut an den Hausmeister. Und solcher Krähw.nkeleien
giebt es noch die Menge.


«Österreichische wirren.

Ausdruck ist eingebürgert! — zur Sprache, so führen die Fleischhauer das ent¬
scheidende Wort. Seit Jahrzehnten steht die Regulirung des Wienflusses auf
der Tagesordnung, welcher im Sommer einen großen Teil der Stadt, einschlie߬
lich des Stadtparks, förmlich verpestet, aber nie ist ein Projekt vollkommen
genug, und so bleibts beim alten. Jener Stadtpark ist vor dreißig Jahren nach
den Grundsätzen der Landschaftsgärtnerei und insofern fehlerhaft angelegt werden,
als er vor allen Dingen Schatten gewähren mußte; nun die Bäume und Gebüsche
groß geworden waren und einigermaßen den Fehler verbesserten, läßt man den
Stadtgärtner darin Hausen, wie die Gebirgsbauern in ihren Wäldern, und schickt
ihn erst fort, da wenig mehr zu verderben ist. Um dieselbe Zeit wurde die
Ringstraße bepflanzt, aber uicht mit einheimischen Bäumen, welche jetzt mächtige
Kronen haben würden, sondern mit der ostasiatischen Ailanthus, welcher im
Winter 1379—80 schaarenweise erfror, übrigens zur Blütezeit einen sehr un¬
angenehmen Geruch verbreitet. Ein Netz von Pferdebahnen ist praktisch über
die ganze Stadt ausgebreitet, aber der Fahrpark ist so ungenügend und die
Verordnungen über die Zahl der in einen Wagen Aufzunehmenden bleiben so
absolut unbeachtet, daß zur Zeit größern Verkehrs die Wagen auf wahrhaft un¬
anständige, sanitätswidrige und thierquälerische Weise mit fünfzig, sechzig Menschen
vollgepfropft werden und trotzdem nie dem Bedarf genügt wird. Jetzt erbietet
sich ein Engländer, eine Stadtbahn zu bauen — das einzige Mittel, um die
Verbindung zwischen der Stadt und den nächstgelegncn Ortschaften zu regeln und
endlich eine Ableitung von den überfüllten innern Stadtteilen zu ermöglichen;
denn jetzt zieht der einigermaßen Bemittelte wohl für den Sommer aufs Land,
aber gänzlich an der Peripherie zu wohnen, ist bei den gegenwärtigen Ver¬
hältnissen unausführbar. Jenen Projektanten behandelt man wie einen lästigen
Hausirer. geberdet sich, als wolle er nicht ein Geschenk machen, sondern etwas
geschenkt haben, die hochweise Künstlerschaft erhebt im Namen der Ästhetik
Protest, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, vor allen aber die Besitzer
von Equipagen können gar kein Bedürfnis eines neuen Verkehrsmittels ent¬
decken, genau so. wie sie vor dreißig Jahren den Omnibus und vor zwanzig
die Pferdebahnen als höchst überflüssig ansahen. Wie endlich der Handels-
minister den Entschluß kundgiebt, nötigenfalls über den Gemeinderat hinweg
das Unternehmen zu konzessioniren, wird die ausschließliche Verwendung in¬
ländischen Eisens zur Bedingung gemacht und dadurch glücklich erreicht, daß das
englische Kapital sich zurückzieht. So ist auch diese Einrichtung hinausgeschoben
bis auf die Zeit wo man gezwungen sein wird, sie mit großem Aufwande
herzustellen Selbst die im vergangnen Jahre beschlossene Aufhebung der klein¬
städtischen Sperrstunde" ist an dem Widerstande der Hausbesitzer gescheitert,
und uach wie vor öffnet sich von dem Glockenschlage zehn an das Hausthor
nur gegen den „Sechserl"-Tribut an den Hausmeister. Und solcher Krähw.nkeleien
giebt es noch die Menge.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153778"/>
          <fw type="header" place="top"> «Österreichische wirren.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1457" prev="#ID_1456"> Ausdruck ist eingebürgert! &#x2014; zur Sprache, so führen die Fleischhauer das ent¬<lb/>
scheidende Wort.  Seit Jahrzehnten steht die Regulirung des Wienflusses auf<lb/>
der Tagesordnung, welcher im Sommer einen großen Teil der Stadt, einschlie߬<lb/>
lich des Stadtparks, förmlich verpestet, aber nie ist ein Projekt vollkommen<lb/>
genug, und so bleibts beim alten. Jener Stadtpark ist vor dreißig Jahren nach<lb/>
den Grundsätzen der Landschaftsgärtnerei und insofern fehlerhaft angelegt werden,<lb/>
als er vor allen Dingen Schatten gewähren mußte; nun die Bäume und Gebüsche<lb/>
groß geworden waren und einigermaßen den Fehler verbesserten, läßt man den<lb/>
Stadtgärtner darin Hausen, wie die Gebirgsbauern in ihren Wäldern, und schickt<lb/>
ihn erst fort, da wenig mehr zu verderben ist. Um dieselbe Zeit wurde die<lb/>
Ringstraße bepflanzt, aber uicht mit einheimischen Bäumen, welche jetzt mächtige<lb/>
Kronen haben würden, sondern mit der ostasiatischen Ailanthus, welcher im<lb/>
Winter 1379&#x2014;80 schaarenweise erfror, übrigens zur Blütezeit einen sehr un¬<lb/>
angenehmen Geruch verbreitet.  Ein Netz von Pferdebahnen ist praktisch über<lb/>
die ganze Stadt ausgebreitet, aber der Fahrpark ist so ungenügend und die<lb/>
Verordnungen über die Zahl der in einen Wagen Aufzunehmenden bleiben so<lb/>
absolut unbeachtet, daß zur Zeit größern Verkehrs die Wagen auf wahrhaft un¬<lb/>
anständige, sanitätswidrige und thierquälerische Weise mit fünfzig, sechzig Menschen<lb/>
vollgepfropft werden und trotzdem nie dem Bedarf genügt wird.  Jetzt erbietet<lb/>
sich ein Engländer, eine Stadtbahn zu bauen &#x2014; das einzige Mittel, um die<lb/>
Verbindung zwischen der Stadt und den nächstgelegncn Ortschaften zu regeln und<lb/>
endlich eine Ableitung von den überfüllten innern Stadtteilen zu ermöglichen;<lb/>
denn jetzt zieht der einigermaßen Bemittelte wohl für den Sommer aufs Land,<lb/>
aber gänzlich an der Peripherie zu wohnen, ist bei den gegenwärtigen Ver¬<lb/>
hältnissen unausführbar. Jenen Projektanten behandelt man wie einen lästigen<lb/>
Hausirer. geberdet sich, als wolle er nicht ein Geschenk machen, sondern etwas<lb/>
geschenkt haben, die hochweise Künstlerschaft erhebt im Namen der Ästhetik<lb/>
Protest, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, vor allen aber die Besitzer<lb/>
von Equipagen können gar kein Bedürfnis eines neuen Verkehrsmittels ent¬<lb/>
decken, genau so. wie sie vor dreißig Jahren den Omnibus und vor zwanzig<lb/>
die Pferdebahnen als höchst überflüssig ansahen.  Wie endlich der Handels-<lb/>
minister den Entschluß kundgiebt, nötigenfalls über den Gemeinderat hinweg<lb/>
das Unternehmen zu konzessioniren, wird die ausschließliche Verwendung in¬<lb/>
ländischen Eisens zur Bedingung gemacht und dadurch glücklich erreicht, daß das<lb/>
englische Kapital sich zurückzieht. So ist auch diese Einrichtung hinausgeschoben<lb/>
bis auf die Zeit wo man gezwungen sein wird, sie mit großem Aufwande<lb/>
herzustellen  Selbst die im vergangnen Jahre beschlossene Aufhebung der klein¬<lb/>
städtischen  Sperrstunde" ist an dem Widerstande der Hausbesitzer gescheitert,<lb/>
und uach wie vor öffnet sich von dem Glockenschlage zehn an das Hausthor<lb/>
nur gegen den &#x201E;Sechserl"-Tribut an den Hausmeister. Und solcher Krähw.nkeleien<lb/>
giebt es noch die Menge.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] «Österreichische wirren. Ausdruck ist eingebürgert! — zur Sprache, so führen die Fleischhauer das ent¬ scheidende Wort. Seit Jahrzehnten steht die Regulirung des Wienflusses auf der Tagesordnung, welcher im Sommer einen großen Teil der Stadt, einschlie߬ lich des Stadtparks, förmlich verpestet, aber nie ist ein Projekt vollkommen genug, und so bleibts beim alten. Jener Stadtpark ist vor dreißig Jahren nach den Grundsätzen der Landschaftsgärtnerei und insofern fehlerhaft angelegt werden, als er vor allen Dingen Schatten gewähren mußte; nun die Bäume und Gebüsche groß geworden waren und einigermaßen den Fehler verbesserten, läßt man den Stadtgärtner darin Hausen, wie die Gebirgsbauern in ihren Wäldern, und schickt ihn erst fort, da wenig mehr zu verderben ist. Um dieselbe Zeit wurde die Ringstraße bepflanzt, aber uicht mit einheimischen Bäumen, welche jetzt mächtige Kronen haben würden, sondern mit der ostasiatischen Ailanthus, welcher im Winter 1379—80 schaarenweise erfror, übrigens zur Blütezeit einen sehr un¬ angenehmen Geruch verbreitet. Ein Netz von Pferdebahnen ist praktisch über die ganze Stadt ausgebreitet, aber der Fahrpark ist so ungenügend und die Verordnungen über die Zahl der in einen Wagen Aufzunehmenden bleiben so absolut unbeachtet, daß zur Zeit größern Verkehrs die Wagen auf wahrhaft un¬ anständige, sanitätswidrige und thierquälerische Weise mit fünfzig, sechzig Menschen vollgepfropft werden und trotzdem nie dem Bedarf genügt wird. Jetzt erbietet sich ein Engländer, eine Stadtbahn zu bauen — das einzige Mittel, um die Verbindung zwischen der Stadt und den nächstgelegncn Ortschaften zu regeln und endlich eine Ableitung von den überfüllten innern Stadtteilen zu ermöglichen; denn jetzt zieht der einigermaßen Bemittelte wohl für den Sommer aufs Land, aber gänzlich an der Peripherie zu wohnen, ist bei den gegenwärtigen Ver¬ hältnissen unausführbar. Jenen Projektanten behandelt man wie einen lästigen Hausirer. geberdet sich, als wolle er nicht ein Geschenk machen, sondern etwas geschenkt haben, die hochweise Künstlerschaft erhebt im Namen der Ästhetik Protest, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, vor allen aber die Besitzer von Equipagen können gar kein Bedürfnis eines neuen Verkehrsmittels ent¬ decken, genau so. wie sie vor dreißig Jahren den Omnibus und vor zwanzig die Pferdebahnen als höchst überflüssig ansahen. Wie endlich der Handels- minister den Entschluß kundgiebt, nötigenfalls über den Gemeinderat hinweg das Unternehmen zu konzessioniren, wird die ausschließliche Verwendung in¬ ländischen Eisens zur Bedingung gemacht und dadurch glücklich erreicht, daß das englische Kapital sich zurückzieht. So ist auch diese Einrichtung hinausgeschoben bis auf die Zeit wo man gezwungen sein wird, sie mit großem Aufwande herzustellen Selbst die im vergangnen Jahre beschlossene Aufhebung der klein¬ städtischen Sperrstunde" ist an dem Widerstande der Hausbesitzer gescheitert, und uach wie vor öffnet sich von dem Glockenschlage zehn an das Hausthor nur gegen den „Sechserl"-Tribut an den Hausmeister. Und solcher Krähw.nkeleien giebt es noch die Menge.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/331>, abgerufen am 08.09.2024.