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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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durch seine Mutter ein Neffe König Gustav Wasas, in Paris und Rom, dann
am Hofe Karls V. gebildet, war er bereits 1553 Bischof von Osnabrück ge¬
worden und, wenn nicht gerade Freund gewaltthätiger Maßregeln, so doch wenigstens
bereit, die zerfallende kirchliche Ordnung wiederherzustellen. Im August 1571
begann eine "Visitationskommission" ihre Thätigkeit; für die Katholisirung des
höhern Schulwesens sollte der streitbare Hermann von Kerßenbroik, der Rektor
der Domschule und Geschichtschreiber des Wiedertäuferreiches, eintreten. Nun
wurden zuverlässige Geistliche angestellt, hier und da, z. B. in Bocholt, die
evangelischen Prediger und Lehrer beseitigt, der römische Katechismus eingeführt
(November 1571). Indeß fehlte noch viel an der wirklichen Durchführung der
Restaurationsarbeit, als der schon lange kränkelnde Fürst am 5. April 1574
verschied.

Da die kurz darauf vorgenommene Wahl Johann Wilhelms von Kleve
durch seine Berufung zum Thronfolger seines Vaters hinfällig wurde, so folgte
ein elfjähriges Interregnum voll leidenschaftlicher Parteikämpfe und schwankender
Verhältnisse, das den protestantischen Interessen im ganzen günstiger war als
den entgegengesetzten. Aufs angelegentlichste bemühte sich Albrecht V. von
Baiern, seinen Sohn Ernst, bereits Bischof von Freising (1566) und Hildes¬
heim (1573), einen Zögling der Jesuiten, auch auf den Bischofsstuhl von Münster
zu bringen, unterstützt von Spanien und Kleve. Von der andern Seite wurde
Heinrich von Bremen, Herzog von Sachsen-Lauenburg (1567--1585), aufge¬
stellt, ein Mann notorisch protestantischer Gesinnung (kurz nachher, 1577, hat
er sich vermählt), und auch er fand warme Fürsprache, nicht nur bei Wilhelm
von Oranien, sondern auch, was hier wichtiger war, beim Kölner Erzbischof
Salentin von Jsenburg, der bei aller katholischen Überzeugung doch entschieden
antispanisch und antirömisch war. Eben dieser Richtung aber gehörte die Mehr¬
heit des Münsterschen Domkapitels (nämlich 17 von 27), die Partei der "Ju¬
nioren" unter dem Statthalter Konrad v. Westerholt, an; ja es sind damals
einige Domherren aus Haß gegen Spanien in oranische Kriegsdienste gegangen!
Wenn nun auch die bremische Partei die Wahl ihres Kandidaten nicht durch¬
zusetzen vermochte, sie vereitelte doch auch jede gegenteilige Entscheidung: das
Kapitel beschloß, vorläufig gar keine Wahl vorzunehmen (12. November 1575).
Damit war nun freilich nichts entschieden, vielmehr begann jetzt erst recht der
Kampf der großen Mächte um das Stift Münster. Gregor XIII. befahl kurz-
weg die Wahl Ernsts (17. März 1576) und sandte seinen Nuntius Gropper
dahin; Oranien und Köln wirkten für Heinrich. So gedrängt erklärte das
Kapitel, nicht eher wählen zu wollen, als bis Johann Wilhelm von Kleve förmlich
verzichtet habe, dessen Vater aber wollte das nur dann zulassen, wenn Ernsts
Wahl gesichert sei. Erst die Aussicht, der langwierige, schon feit 1557 spielende
Prozeß um das bisher unangefochtene, damals aber vom Kapitel negirte Recht
der sogenannten erbmännischen Familien des Münsterschen Patriziats, zu Dom-


durch seine Mutter ein Neffe König Gustav Wasas, in Paris und Rom, dann
am Hofe Karls V. gebildet, war er bereits 1553 Bischof von Osnabrück ge¬
worden und, wenn nicht gerade Freund gewaltthätiger Maßregeln, so doch wenigstens
bereit, die zerfallende kirchliche Ordnung wiederherzustellen. Im August 1571
begann eine „Visitationskommission" ihre Thätigkeit; für die Katholisirung des
höhern Schulwesens sollte der streitbare Hermann von Kerßenbroik, der Rektor
der Domschule und Geschichtschreiber des Wiedertäuferreiches, eintreten. Nun
wurden zuverlässige Geistliche angestellt, hier und da, z. B. in Bocholt, die
evangelischen Prediger und Lehrer beseitigt, der römische Katechismus eingeführt
(November 1571). Indeß fehlte noch viel an der wirklichen Durchführung der
Restaurationsarbeit, als der schon lange kränkelnde Fürst am 5. April 1574
verschied.

Da die kurz darauf vorgenommene Wahl Johann Wilhelms von Kleve
durch seine Berufung zum Thronfolger seines Vaters hinfällig wurde, so folgte
ein elfjähriges Interregnum voll leidenschaftlicher Parteikämpfe und schwankender
Verhältnisse, das den protestantischen Interessen im ganzen günstiger war als
den entgegengesetzten. Aufs angelegentlichste bemühte sich Albrecht V. von
Baiern, seinen Sohn Ernst, bereits Bischof von Freising (1566) und Hildes¬
heim (1573), einen Zögling der Jesuiten, auch auf den Bischofsstuhl von Münster
zu bringen, unterstützt von Spanien und Kleve. Von der andern Seite wurde
Heinrich von Bremen, Herzog von Sachsen-Lauenburg (1567—1585), aufge¬
stellt, ein Mann notorisch protestantischer Gesinnung (kurz nachher, 1577, hat
er sich vermählt), und auch er fand warme Fürsprache, nicht nur bei Wilhelm
von Oranien, sondern auch, was hier wichtiger war, beim Kölner Erzbischof
Salentin von Jsenburg, der bei aller katholischen Überzeugung doch entschieden
antispanisch und antirömisch war. Eben dieser Richtung aber gehörte die Mehr¬
heit des Münsterschen Domkapitels (nämlich 17 von 27), die Partei der „Ju¬
nioren" unter dem Statthalter Konrad v. Westerholt, an; ja es sind damals
einige Domherren aus Haß gegen Spanien in oranische Kriegsdienste gegangen!
Wenn nun auch die bremische Partei die Wahl ihres Kandidaten nicht durch¬
zusetzen vermochte, sie vereitelte doch auch jede gegenteilige Entscheidung: das
Kapitel beschloß, vorläufig gar keine Wahl vorzunehmen (12. November 1575).
Damit war nun freilich nichts entschieden, vielmehr begann jetzt erst recht der
Kampf der großen Mächte um das Stift Münster. Gregor XIII. befahl kurz-
weg die Wahl Ernsts (17. März 1576) und sandte seinen Nuntius Gropper
dahin; Oranien und Köln wirkten für Heinrich. So gedrängt erklärte das
Kapitel, nicht eher wählen zu wollen, als bis Johann Wilhelm von Kleve förmlich
verzichtet habe, dessen Vater aber wollte das nur dann zulassen, wenn Ernsts
Wahl gesichert sei. Erst die Aussicht, der langwierige, schon feit 1557 spielende
Prozeß um das bisher unangefochtene, damals aber vom Kapitel negirte Recht
der sogenannten erbmännischen Familien des Münsterschen Patriziats, zu Dom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/300>, abgerufen am 08.09.2024.