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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte der Gegenreformation.

ein Zugeständnis: der Herzog bewilligte ihnen zwar nicht die begehrte "Frei¬
stellung" des Bekenntnisses, auch nicht die Abhaltung öffentliche" evangelischen
Gottesdienstes, erklärte aber doch, er wolle die "Augsburgischen Konfessions¬
verwandten in ihrem Gewissen nicht beschweren." Das war nnn freilich noch
kein Sieg, immerhin ermutigte es die Stände, auf dem Tage von Diuslakcu
(September 1583) die frühere Forderung zu erneuern und andre ihr noch hin¬
zuzufügen, namentlich die, daß der Gebrauch der Sakramente "nach Herkommen"
gestattet werde. Die Regierung lehnte das nicht schlechtweg ab, um ihre Steuer-
fvrderuug von 60 000 brabantischen Thalern durchzusetzen, immerhin wahrte
sie sich ihren Standpunkt und erließ noch im Februar 1584 ein strenges Ver¬
bot der "Konventikel," d. h. der protestantischen Kultushandlungen.

Diese ganze kirchliche Politik wurde nun freilich nicht bloß durch kirchliche
Überzeugung, sondern ebenso sehr durch dynastische Rücksichten bestimmt, durch
das Bestreben nämlich, die Verbindung mit dem Stift Münster in irgend welcher
Weise zu behaupten. Seit 1522 war dort regelmäßig der klevische Kandidat
gewählt worden, klevische Edelleute trugen Güter von Münster zu Lehen, und
umgekehrt besaßen Herren des Münsterlandes Güter in Kleve. Der Wieder¬
täuferaufstand hatte die Abhängigkeit des Stifts noch gesteigert, denn lange
Zeit blieb es Schuldner des Herzogs. Dazu gesellte sich der parallele Gang
der kirchlichen Verhältnisse in beiden Gebieten. Die Herrschaft zweier erasmisch
gesinnten Bischöfe, die noch auf eine nationale Kirchenreform hofften und jeder
gewaltsame,, Repressiv,, abgeneigt waren, des Wilhelm von Kettler (1553--1557)
und des Bernhard von Raesfeld (1557 -- 1566) war dem Protestantismus
mich hier zu Gute gekommen. Fast nnr die Stadt Münster war dem Katho¬
lizismus treu geblieben, oder vielmehr nach der Vernichtung des Wiedertäufer-
reiches wiedererobert worden; sonst hatten die Städte und der Landadel fast
vollständig die neue Lehre angenommen, evangelische Prediger eingesetzt und
der geistlichen Jurisdiktion sich bemächtigt, sodaß die Archidiakonatsverfassung
thatsächlich als beseitigt gelten konnte. Vollständig war der Abfall im soge¬
nannten Niederstifte, d. h. im Emslande, denn hier hatten evangelische Geist¬
liche sämtliche Pfarreien, etwa fünfzig, eingenommen. Nicht anders stand es
namentlich im westlichen Teile des Oberstifts, und wo die Kirche den evange¬
lischen Anschauungen gewönne,, war, da war es auch die Schule: in Vreden
führte um 1570 der Rektor die kirchliche Opposition. Auch das Kapitel achtete
der alten strengen Satzungen nicht mehr, die Domherren hielten sich Beischläfe¬
rinnen und vernachlässigten ihre kirchlichen Pflichten ohne Scheu. Und doch,
im Kapitel fand die alte Kirche noch den besten Halt. Die römisch gesinnte
Partei desselben, von der Kurie kräftig unterstützt. brachte schließlich be.de B,Schöfe
zum Verzicht und setzte die Wahl des Johann von Hoya durch (1566-1574).
eines Mannes, der durch seinen ganzen Bildungsgang seinem Vaterlande ent¬
fremdet war. In Wiborg 1529 geboren als Sohn des gleichnamigen Vaters,


Zur Geschichte der Gegenreformation.

ein Zugeständnis: der Herzog bewilligte ihnen zwar nicht die begehrte „Frei¬
stellung" des Bekenntnisses, auch nicht die Abhaltung öffentliche» evangelischen
Gottesdienstes, erklärte aber doch, er wolle die „Augsburgischen Konfessions¬
verwandten in ihrem Gewissen nicht beschweren." Das war nnn freilich noch
kein Sieg, immerhin ermutigte es die Stände, auf dem Tage von Diuslakcu
(September 1583) die frühere Forderung zu erneuern und andre ihr noch hin¬
zuzufügen, namentlich die, daß der Gebrauch der Sakramente „nach Herkommen"
gestattet werde. Die Regierung lehnte das nicht schlechtweg ab, um ihre Steuer-
fvrderuug von 60 000 brabantischen Thalern durchzusetzen, immerhin wahrte
sie sich ihren Standpunkt und erließ noch im Februar 1584 ein strenges Ver¬
bot der „Konventikel," d. h. der protestantischen Kultushandlungen.

Diese ganze kirchliche Politik wurde nun freilich nicht bloß durch kirchliche
Überzeugung, sondern ebenso sehr durch dynastische Rücksichten bestimmt, durch
das Bestreben nämlich, die Verbindung mit dem Stift Münster in irgend welcher
Weise zu behaupten. Seit 1522 war dort regelmäßig der klevische Kandidat
gewählt worden, klevische Edelleute trugen Güter von Münster zu Lehen, und
umgekehrt besaßen Herren des Münsterlandes Güter in Kleve. Der Wieder¬
täuferaufstand hatte die Abhängigkeit des Stifts noch gesteigert, denn lange
Zeit blieb es Schuldner des Herzogs. Dazu gesellte sich der parallele Gang
der kirchlichen Verhältnisse in beiden Gebieten. Die Herrschaft zweier erasmisch
gesinnten Bischöfe, die noch auf eine nationale Kirchenreform hofften und jeder
gewaltsame,, Repressiv,, abgeneigt waren, des Wilhelm von Kettler (1553—1557)
und des Bernhard von Raesfeld (1557 — 1566) war dem Protestantismus
mich hier zu Gute gekommen. Fast nnr die Stadt Münster war dem Katho¬
lizismus treu geblieben, oder vielmehr nach der Vernichtung des Wiedertäufer-
reiches wiedererobert worden; sonst hatten die Städte und der Landadel fast
vollständig die neue Lehre angenommen, evangelische Prediger eingesetzt und
der geistlichen Jurisdiktion sich bemächtigt, sodaß die Archidiakonatsverfassung
thatsächlich als beseitigt gelten konnte. Vollständig war der Abfall im soge¬
nannten Niederstifte, d. h. im Emslande, denn hier hatten evangelische Geist¬
liche sämtliche Pfarreien, etwa fünfzig, eingenommen. Nicht anders stand es
namentlich im westlichen Teile des Oberstifts, und wo die Kirche den evange¬
lischen Anschauungen gewönne,, war, da war es auch die Schule: in Vreden
führte um 1570 der Rektor die kirchliche Opposition. Auch das Kapitel achtete
der alten strengen Satzungen nicht mehr, die Domherren hielten sich Beischläfe¬
rinnen und vernachlässigten ihre kirchlichen Pflichten ohne Scheu. Und doch,
im Kapitel fand die alte Kirche noch den besten Halt. Die römisch gesinnte
Partei desselben, von der Kurie kräftig unterstützt. brachte schließlich be.de B,Schöfe
zum Verzicht und setzte die Wahl des Johann von Hoya durch (1566-1574).
eines Mannes, der durch seinen ganzen Bildungsgang seinem Vaterlande ent¬
fremdet war. In Wiborg 1529 geboren als Sohn des gleichnamigen Vaters,


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[0299] Zur Geschichte der Gegenreformation. ein Zugeständnis: der Herzog bewilligte ihnen zwar nicht die begehrte „Frei¬ stellung" des Bekenntnisses, auch nicht die Abhaltung öffentliche» evangelischen Gottesdienstes, erklärte aber doch, er wolle die „Augsburgischen Konfessions¬ verwandten in ihrem Gewissen nicht beschweren." Das war nnn freilich noch kein Sieg, immerhin ermutigte es die Stände, auf dem Tage von Diuslakcu (September 1583) die frühere Forderung zu erneuern und andre ihr noch hin¬ zuzufügen, namentlich die, daß der Gebrauch der Sakramente „nach Herkommen" gestattet werde. Die Regierung lehnte das nicht schlechtweg ab, um ihre Steuer- fvrderuug von 60 000 brabantischen Thalern durchzusetzen, immerhin wahrte sie sich ihren Standpunkt und erließ noch im Februar 1584 ein strenges Ver¬ bot der „Konventikel," d. h. der protestantischen Kultushandlungen. Diese ganze kirchliche Politik wurde nun freilich nicht bloß durch kirchliche Überzeugung, sondern ebenso sehr durch dynastische Rücksichten bestimmt, durch das Bestreben nämlich, die Verbindung mit dem Stift Münster in irgend welcher Weise zu behaupten. Seit 1522 war dort regelmäßig der klevische Kandidat gewählt worden, klevische Edelleute trugen Güter von Münster zu Lehen, und umgekehrt besaßen Herren des Münsterlandes Güter in Kleve. Der Wieder¬ täuferaufstand hatte die Abhängigkeit des Stifts noch gesteigert, denn lange Zeit blieb es Schuldner des Herzogs. Dazu gesellte sich der parallele Gang der kirchlichen Verhältnisse in beiden Gebieten. Die Herrschaft zweier erasmisch gesinnten Bischöfe, die noch auf eine nationale Kirchenreform hofften und jeder gewaltsame,, Repressiv,, abgeneigt waren, des Wilhelm von Kettler (1553—1557) und des Bernhard von Raesfeld (1557 — 1566) war dem Protestantismus mich hier zu Gute gekommen. Fast nnr die Stadt Münster war dem Katho¬ lizismus treu geblieben, oder vielmehr nach der Vernichtung des Wiedertäufer- reiches wiedererobert worden; sonst hatten die Städte und der Landadel fast vollständig die neue Lehre angenommen, evangelische Prediger eingesetzt und der geistlichen Jurisdiktion sich bemächtigt, sodaß die Archidiakonatsverfassung thatsächlich als beseitigt gelten konnte. Vollständig war der Abfall im soge¬ nannten Niederstifte, d. h. im Emslande, denn hier hatten evangelische Geist¬ liche sämtliche Pfarreien, etwa fünfzig, eingenommen. Nicht anders stand es namentlich im westlichen Teile des Oberstifts, und wo die Kirche den evange¬ lischen Anschauungen gewönne,, war, da war es auch die Schule: in Vreden führte um 1570 der Rektor die kirchliche Opposition. Auch das Kapitel achtete der alten strengen Satzungen nicht mehr, die Domherren hielten sich Beischläfe¬ rinnen und vernachlässigten ihre kirchlichen Pflichten ohne Scheu. Und doch, im Kapitel fand die alte Kirche noch den besten Halt. Die römisch gesinnte Partei desselben, von der Kurie kräftig unterstützt. brachte schließlich be.de B,Schöfe zum Verzicht und setzte die Wahl des Johann von Hoya durch (1566-1574). eines Mannes, der durch seinen ganzen Bildungsgang seinem Vaterlande ent¬ fremdet war. In Wiborg 1529 geboren als Sohn des gleichnamigen Vaters,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/299>, abgerufen am 08.09.2024.