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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen.

Schriftsteller oder solche, welche ihnen nahe stehen, als Quelle der "Juden¬
verfolgungen" den -- Konkurrenzneid bezeichnen. Wir geben sogar ohne weiteres
zu, daß vielfach dieser Konkurrenzneid nachgeholfen hat, wenn die Stimmung
der Bevölkerung den Kreditjuden gegenüber gereizt geworden war und nur
des Anstoßes harrte, um zum gewaltsamen Ausbruch zu kommen. Schon nach¬
dem die Kirche -- immerhin gedrängt durch den Kreditjammer der Bevölkerung --
ihr eignes Zinsverbot durchlöchert hatte, einerseits indem sie neben den Juden
die Lombarden oder die "Kawarschen" zum Zinsnehmen privilegirte, mußten
notwendig die heimliche" Verletzungen ebenso wie die offenen Umgebungen des
Zinsverbots immer weniger anrüchig erscheinen, und es mußte denen, die nun
immer unbeengter den Juden Konkurrenz zu machen begannen, der Vorsprung,
den die letztern im Geschäft hatten, vielfach ein Dorn im Auge werden, sodaß
sie dann leicht geneigt waren, eine Volksbewegung gegen die Juden zu stacheln.

Immer wird aber die Wirksamkeit solcher Stachelung nicht überschätzt werden
dürfen. Die böse Stimmung der Bevölkerung kam ebenso wie gegen die Juden
oft genug auch gegen die christlichen Konkurrenten zum Ausbruch; oft genug
wurden die "Kawarschen" und "Lombarden" verjagt; es fehlt sogar nicht an
Angriffen gegen das Leben, auch da, wo es sich um die letztern handelte. Behörd¬
liche Maßnahmen gegen sie -- wobei man doch glaubte, des Kredits wegen die
Kreditgeber nicht verlieren zu können und an ihrer Statt Juden herbeirief --
sind bereits oben erwähnt. Jedoch die gewaltsamen Bewegungen der Be¬
völkerung, welche sich gegen die christlichen Blutsauger richtete, fanden nicht
die beflissene und übertreibende Darstellung, durch welche die Juden die ihnen
widerfahrene Unbill so interessant und selbst bis in die neueste Zeit herein
so geschäftswirksam zu machen wissen. Die Statistik des Mittelalters, obwohl
noch einigermaßen mangelhafter als die der Gegenwart, begünstigte den Humbug
der Juden kaum weniger wirksam als die letztere. Denn während die christ¬
lichen Wucherer unter fortgesetzter und unmittelbarer Kontrole der damaligen
Polizei standen, bildeten die Juden, gewissermaßen wie jetzt die Börse, einen
Staat im Staate. Ihre "Judenbischöfe," oder wie sie unter geänderten Ver¬
hältnissen oder zu verschiednen Zeiten geheißen haben mögen, bildeten ihre nächste
Behörde und vertraten der christlichen Bevölkerung gegenüber aus naheliegenden
Gründen das jüdische Interesse -- das wesentlich in der Zinsberechtigung auf¬
ging -- in ganz andrer Weise als die christlichen Behörden dasjenige ihrer
Angehörigen, die sich oft genug ihnen gegenüber im Aufstand oder wenigstens
i" Widersetzlichkeit befanden. Im letztern Falle standen dann meist sogar die
Juden als treu ergeben auf Seite der Regierungen, weil sie durch deren Sturz
auch ihr Interesse gefährdet sahen.

Allerdings waren die Juden den Regierungen auch eine Einnahmequelle.
Thatsächlich wurde den Juden die Berechtigung des Pfandleihens nicht ohne
Besteuerung überlassen; übrigens geschah dies auch so bei den Privilegium christ-


Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen.

Schriftsteller oder solche, welche ihnen nahe stehen, als Quelle der „Juden¬
verfolgungen" den — Konkurrenzneid bezeichnen. Wir geben sogar ohne weiteres
zu, daß vielfach dieser Konkurrenzneid nachgeholfen hat, wenn die Stimmung
der Bevölkerung den Kreditjuden gegenüber gereizt geworden war und nur
des Anstoßes harrte, um zum gewaltsamen Ausbruch zu kommen. Schon nach¬
dem die Kirche — immerhin gedrängt durch den Kreditjammer der Bevölkerung —
ihr eignes Zinsverbot durchlöchert hatte, einerseits indem sie neben den Juden
die Lombarden oder die „Kawarschen" zum Zinsnehmen privilegirte, mußten
notwendig die heimliche« Verletzungen ebenso wie die offenen Umgebungen des
Zinsverbots immer weniger anrüchig erscheinen, und es mußte denen, die nun
immer unbeengter den Juden Konkurrenz zu machen begannen, der Vorsprung,
den die letztern im Geschäft hatten, vielfach ein Dorn im Auge werden, sodaß
sie dann leicht geneigt waren, eine Volksbewegung gegen die Juden zu stacheln.

Immer wird aber die Wirksamkeit solcher Stachelung nicht überschätzt werden
dürfen. Die böse Stimmung der Bevölkerung kam ebenso wie gegen die Juden
oft genug auch gegen die christlichen Konkurrenten zum Ausbruch; oft genug
wurden die „Kawarschen" und „Lombarden" verjagt; es fehlt sogar nicht an
Angriffen gegen das Leben, auch da, wo es sich um die letztern handelte. Behörd¬
liche Maßnahmen gegen sie — wobei man doch glaubte, des Kredits wegen die
Kreditgeber nicht verlieren zu können und an ihrer Statt Juden herbeirief —
sind bereits oben erwähnt. Jedoch die gewaltsamen Bewegungen der Be¬
völkerung, welche sich gegen die christlichen Blutsauger richtete, fanden nicht
die beflissene und übertreibende Darstellung, durch welche die Juden die ihnen
widerfahrene Unbill so interessant und selbst bis in die neueste Zeit herein
so geschäftswirksam zu machen wissen. Die Statistik des Mittelalters, obwohl
noch einigermaßen mangelhafter als die der Gegenwart, begünstigte den Humbug
der Juden kaum weniger wirksam als die letztere. Denn während die christ¬
lichen Wucherer unter fortgesetzter und unmittelbarer Kontrole der damaligen
Polizei standen, bildeten die Juden, gewissermaßen wie jetzt die Börse, einen
Staat im Staate. Ihre „Judenbischöfe," oder wie sie unter geänderten Ver¬
hältnissen oder zu verschiednen Zeiten geheißen haben mögen, bildeten ihre nächste
Behörde und vertraten der christlichen Bevölkerung gegenüber aus naheliegenden
Gründen das jüdische Interesse — das wesentlich in der Zinsberechtigung auf¬
ging — in ganz andrer Weise als die christlichen Behörden dasjenige ihrer
Angehörigen, die sich oft genug ihnen gegenüber im Aufstand oder wenigstens
i» Widersetzlichkeit befanden. Im letztern Falle standen dann meist sogar die
Juden als treu ergeben auf Seite der Regierungen, weil sie durch deren Sturz
auch ihr Interesse gefährdet sahen.

Allerdings waren die Juden den Regierungen auch eine Einnahmequelle.
Thatsächlich wurde den Juden die Berechtigung des Pfandleihens nicht ohne
Besteuerung überlassen; übrigens geschah dies auch so bei den Privilegium christ-


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[0288] Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen. Schriftsteller oder solche, welche ihnen nahe stehen, als Quelle der „Juden¬ verfolgungen" den — Konkurrenzneid bezeichnen. Wir geben sogar ohne weiteres zu, daß vielfach dieser Konkurrenzneid nachgeholfen hat, wenn die Stimmung der Bevölkerung den Kreditjuden gegenüber gereizt geworden war und nur des Anstoßes harrte, um zum gewaltsamen Ausbruch zu kommen. Schon nach¬ dem die Kirche — immerhin gedrängt durch den Kreditjammer der Bevölkerung — ihr eignes Zinsverbot durchlöchert hatte, einerseits indem sie neben den Juden die Lombarden oder die „Kawarschen" zum Zinsnehmen privilegirte, mußten notwendig die heimliche« Verletzungen ebenso wie die offenen Umgebungen des Zinsverbots immer weniger anrüchig erscheinen, und es mußte denen, die nun immer unbeengter den Juden Konkurrenz zu machen begannen, der Vorsprung, den die letztern im Geschäft hatten, vielfach ein Dorn im Auge werden, sodaß sie dann leicht geneigt waren, eine Volksbewegung gegen die Juden zu stacheln. Immer wird aber die Wirksamkeit solcher Stachelung nicht überschätzt werden dürfen. Die böse Stimmung der Bevölkerung kam ebenso wie gegen die Juden oft genug auch gegen die christlichen Konkurrenten zum Ausbruch; oft genug wurden die „Kawarschen" und „Lombarden" verjagt; es fehlt sogar nicht an Angriffen gegen das Leben, auch da, wo es sich um die letztern handelte. Behörd¬ liche Maßnahmen gegen sie — wobei man doch glaubte, des Kredits wegen die Kreditgeber nicht verlieren zu können und an ihrer Statt Juden herbeirief — sind bereits oben erwähnt. Jedoch die gewaltsamen Bewegungen der Be¬ völkerung, welche sich gegen die christlichen Blutsauger richtete, fanden nicht die beflissene und übertreibende Darstellung, durch welche die Juden die ihnen widerfahrene Unbill so interessant und selbst bis in die neueste Zeit herein so geschäftswirksam zu machen wissen. Die Statistik des Mittelalters, obwohl noch einigermaßen mangelhafter als die der Gegenwart, begünstigte den Humbug der Juden kaum weniger wirksam als die letztere. Denn während die christ¬ lichen Wucherer unter fortgesetzter und unmittelbarer Kontrole der damaligen Polizei standen, bildeten die Juden, gewissermaßen wie jetzt die Börse, einen Staat im Staate. Ihre „Judenbischöfe," oder wie sie unter geänderten Ver¬ hältnissen oder zu verschiednen Zeiten geheißen haben mögen, bildeten ihre nächste Behörde und vertraten der christlichen Bevölkerung gegenüber aus naheliegenden Gründen das jüdische Interesse — das wesentlich in der Zinsberechtigung auf¬ ging — in ganz andrer Weise als die christlichen Behörden dasjenige ihrer Angehörigen, die sich oft genug ihnen gegenüber im Aufstand oder wenigstens i» Widersetzlichkeit befanden. Im letztern Falle standen dann meist sogar die Juden als treu ergeben auf Seite der Regierungen, weil sie durch deren Sturz auch ihr Interesse gefährdet sahen. Allerdings waren die Juden den Regierungen auch eine Einnahmequelle. Thatsächlich wurde den Juden die Berechtigung des Pfandleihens nicht ohne Besteuerung überlassen; übrigens geschah dies auch so bei den Privilegium christ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/288>, abgerufen am 08.09.2024.