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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen.

lichen Wucherern. Aber man sieht an dem Verlaufe, den im Mittelalter die
Geschichte der Juden nahm, daß entweder die Besteuerung des Wuchergewerbes
nicht wirksam genug war, um wenigstens wieder soviel von den Aufhäufungen
aus dem Geldwucher dem allgemeinen Nutzen zurückzuführen, daß eine völlige
Unterwerfung der Bevölkerung unter die Geldmacht vermieden wurde; oder daß
infolge der Besteuerung der Druck des Kredits auf die Kreditbedürftigkeit
der Bevölkerung nur umso stärker wurde. In jedem Lande Europas wurden
vielfache Versuche gemacht, das Kreditbedürfnis und die Kreditmöglichkeit mit
dem Gemeininteresfe in Einklang zu bringen und die Geldverleihung unter dem
kanonischen Recht so zu organisiren, daß die Gemeinwesen unter derselben be¬
stehen konnten. Indeß vergeblich.

Es ist wenigstens in einer gewissen Epoche der Rechtsgestaltung ganz offen¬
bar nur ein Versuch zur Beruhigung der Bevölkerungen, wenn in allen größern
Ländern der Rechtsgrundsatz, daß das Eigentum der Juden Eigentum des
Kaisers bez. Königs sei und diesem jederzeit zur Verfügung stehe, aufgestellt
erscheint, obgleich dieser Grundsatz an sich nur als eine logische Folgerung
des vorausgehenden, wonach die Juden seit der Eroberung von Jerusalem per¬
sönliches Eigentum des römischen Kaisers seien, angesehen werden könnte. Letzterer
Grundsatz, der aber keineswegs schon sehr früh auftritt, entsprang aber aus dem
mittelalterlichen Hörigkeitsverhältnis. Er ist auch erst mit der Beseitigung der
Hörigkeit und Leibeigenschaft völlig verschwunden. Wird aber auch von feiten
der Juden dieses Verhältnis der Juden als ein Schmachvolles gebrandmarkt, so
wußten sie es doch sehr gut praktisch auszunutzen, und zu gewissen Zeiten er¬
kennen sie den Wert dieses Verhältnisses auch an -- wenn auch in ihrer stets
undankbaren Weise. Als nämlich Kaiser Karl IV., der Vater Wenzels, im
Jahre 1349 die kaiserlichen Verechtigungeu über die Juden an die Städte ab-
trat, wurden die Juden deshalb wütend und beschimpften ihn aufs ärgste.
Freilich folgten dieser Maßregel bald sehr starke Angriffe auf die Juden, die
von diesen gern als völlig vereinzelt dahingestellt und immer ungeheuer übertrieben
werden. Aber die Jahre 1348 und 1349 waren für Europa und insbesondre
für Deutschland ebenso Jahre des Gähruugsüberstrudels und der politischen Wen¬
dung wie die Jahre 1848 und 1849. Es ist in diesen Jahren Leuten, die nicht
Juden waren und die mit dem Privilegien Kreditwesen der Zeit unmittelbar
nichts zu thun hatten, gerade so schlimm, wenn nicht schlimmer ergangen, wie
den Juden und ihren unmittelbaren Konkurrenten. Auch die Maßnahme Kaiser
Karls IV. war fast ausschließlich eine Folgerung der Kreditverhältnisse und der
Kreditnot. Er trat weniger die politischen Rechte des Kaisers über die Juden
-- die späterhin noch oft genug von höchster Stelle aus betont und auch ziem¬
lich kräftig wahrgenommen wurden -- an die Städte oder Landesherren ab,
sondern nur die wirtschaftliche Nutzung derselben. Selbst noch nach Jahrhun¬
derten, ebenso wie bald nachher, ist dieser Standpunkt kaiserlicherseits festge-


Grenzbotcn III. I83K, 36
Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen.

lichen Wucherern. Aber man sieht an dem Verlaufe, den im Mittelalter die
Geschichte der Juden nahm, daß entweder die Besteuerung des Wuchergewerbes
nicht wirksam genug war, um wenigstens wieder soviel von den Aufhäufungen
aus dem Geldwucher dem allgemeinen Nutzen zurückzuführen, daß eine völlige
Unterwerfung der Bevölkerung unter die Geldmacht vermieden wurde; oder daß
infolge der Besteuerung der Druck des Kredits auf die Kreditbedürftigkeit
der Bevölkerung nur umso stärker wurde. In jedem Lande Europas wurden
vielfache Versuche gemacht, das Kreditbedürfnis und die Kreditmöglichkeit mit
dem Gemeininteresfe in Einklang zu bringen und die Geldverleihung unter dem
kanonischen Recht so zu organisiren, daß die Gemeinwesen unter derselben be¬
stehen konnten. Indeß vergeblich.

Es ist wenigstens in einer gewissen Epoche der Rechtsgestaltung ganz offen¬
bar nur ein Versuch zur Beruhigung der Bevölkerungen, wenn in allen größern
Ländern der Rechtsgrundsatz, daß das Eigentum der Juden Eigentum des
Kaisers bez. Königs sei und diesem jederzeit zur Verfügung stehe, aufgestellt
erscheint, obgleich dieser Grundsatz an sich nur als eine logische Folgerung
des vorausgehenden, wonach die Juden seit der Eroberung von Jerusalem per¬
sönliches Eigentum des römischen Kaisers seien, angesehen werden könnte. Letzterer
Grundsatz, der aber keineswegs schon sehr früh auftritt, entsprang aber aus dem
mittelalterlichen Hörigkeitsverhältnis. Er ist auch erst mit der Beseitigung der
Hörigkeit und Leibeigenschaft völlig verschwunden. Wird aber auch von feiten
der Juden dieses Verhältnis der Juden als ein Schmachvolles gebrandmarkt, so
wußten sie es doch sehr gut praktisch auszunutzen, und zu gewissen Zeiten er¬
kennen sie den Wert dieses Verhältnisses auch an — wenn auch in ihrer stets
undankbaren Weise. Als nämlich Kaiser Karl IV., der Vater Wenzels, im
Jahre 1349 die kaiserlichen Verechtigungeu über die Juden an die Städte ab-
trat, wurden die Juden deshalb wütend und beschimpften ihn aufs ärgste.
Freilich folgten dieser Maßregel bald sehr starke Angriffe auf die Juden, die
von diesen gern als völlig vereinzelt dahingestellt und immer ungeheuer übertrieben
werden. Aber die Jahre 1348 und 1349 waren für Europa und insbesondre
für Deutschland ebenso Jahre des Gähruugsüberstrudels und der politischen Wen¬
dung wie die Jahre 1848 und 1849. Es ist in diesen Jahren Leuten, die nicht
Juden waren und die mit dem Privilegien Kreditwesen der Zeit unmittelbar
nichts zu thun hatten, gerade so schlimm, wenn nicht schlimmer ergangen, wie
den Juden und ihren unmittelbaren Konkurrenten. Auch die Maßnahme Kaiser
Karls IV. war fast ausschließlich eine Folgerung der Kreditverhältnisse und der
Kreditnot. Er trat weniger die politischen Rechte des Kaisers über die Juden
— die späterhin noch oft genug von höchster Stelle aus betont und auch ziem¬
lich kräftig wahrgenommen wurden — an die Städte oder Landesherren ab,
sondern nur die wirtschaftliche Nutzung derselben. Selbst noch nach Jahrhun¬
derten, ebenso wie bald nachher, ist dieser Standpunkt kaiserlicherseits festge-


Grenzbotcn III. I83K, 36
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[0289] Glossen zu den modernen Rreditbestrebungen. lichen Wucherern. Aber man sieht an dem Verlaufe, den im Mittelalter die Geschichte der Juden nahm, daß entweder die Besteuerung des Wuchergewerbes nicht wirksam genug war, um wenigstens wieder soviel von den Aufhäufungen aus dem Geldwucher dem allgemeinen Nutzen zurückzuführen, daß eine völlige Unterwerfung der Bevölkerung unter die Geldmacht vermieden wurde; oder daß infolge der Besteuerung der Druck des Kredits auf die Kreditbedürftigkeit der Bevölkerung nur umso stärker wurde. In jedem Lande Europas wurden vielfache Versuche gemacht, das Kreditbedürfnis und die Kreditmöglichkeit mit dem Gemeininteresfe in Einklang zu bringen und die Geldverleihung unter dem kanonischen Recht so zu organisiren, daß die Gemeinwesen unter derselben be¬ stehen konnten. Indeß vergeblich. Es ist wenigstens in einer gewissen Epoche der Rechtsgestaltung ganz offen¬ bar nur ein Versuch zur Beruhigung der Bevölkerungen, wenn in allen größern Ländern der Rechtsgrundsatz, daß das Eigentum der Juden Eigentum des Kaisers bez. Königs sei und diesem jederzeit zur Verfügung stehe, aufgestellt erscheint, obgleich dieser Grundsatz an sich nur als eine logische Folgerung des vorausgehenden, wonach die Juden seit der Eroberung von Jerusalem per¬ sönliches Eigentum des römischen Kaisers seien, angesehen werden könnte. Letzterer Grundsatz, der aber keineswegs schon sehr früh auftritt, entsprang aber aus dem mittelalterlichen Hörigkeitsverhältnis. Er ist auch erst mit der Beseitigung der Hörigkeit und Leibeigenschaft völlig verschwunden. Wird aber auch von feiten der Juden dieses Verhältnis der Juden als ein Schmachvolles gebrandmarkt, so wußten sie es doch sehr gut praktisch auszunutzen, und zu gewissen Zeiten er¬ kennen sie den Wert dieses Verhältnisses auch an — wenn auch in ihrer stets undankbaren Weise. Als nämlich Kaiser Karl IV., der Vater Wenzels, im Jahre 1349 die kaiserlichen Verechtigungeu über die Juden an die Städte ab- trat, wurden die Juden deshalb wütend und beschimpften ihn aufs ärgste. Freilich folgten dieser Maßregel bald sehr starke Angriffe auf die Juden, die von diesen gern als völlig vereinzelt dahingestellt und immer ungeheuer übertrieben werden. Aber die Jahre 1348 und 1349 waren für Europa und insbesondre für Deutschland ebenso Jahre des Gähruugsüberstrudels und der politischen Wen¬ dung wie die Jahre 1848 und 1849. Es ist in diesen Jahren Leuten, die nicht Juden waren und die mit dem Privilegien Kreditwesen der Zeit unmittelbar nichts zu thun hatten, gerade so schlimm, wenn nicht schlimmer ergangen, wie den Juden und ihren unmittelbaren Konkurrenten. Auch die Maßnahme Kaiser Karls IV. war fast ausschließlich eine Folgerung der Kreditverhältnisse und der Kreditnot. Er trat weniger die politischen Rechte des Kaisers über die Juden — die späterhin noch oft genug von höchster Stelle aus betont und auch ziem¬ lich kräftig wahrgenommen wurden — an die Städte oder Landesherren ab, sondern nur die wirtschaftliche Nutzung derselben. Selbst noch nach Jahrhun¬ derten, ebenso wie bald nachher, ist dieser Standpunkt kaiserlicherseits festge- Grenzbotcn III. I83K, 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/289>, abgerufen am 08.09.2024.