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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glosse" zu den modernen Rreditbestrebnngen.

Denn obgleich bis zum Jahre 1349 prinzipiell die Juden als "Besitztum" des
Kaisers galten und obgleich auch seitdem der etwa auf die Städte und die
Landesfürsten übergegangene Besitz meist mir als Reichslehen galt, so kümmerten
sich doch anch bis dahin die Territorialherren oft wenig genug um jenes
Prinzipielle Verhältnis. Auch bis zu jener Zeit ging meist das besondre und
immer nur auf eine Reihe von Jahren erteilte Wohnrecht der Juden von der
Territorialherrschaft ans; und die letztere berief entweder die Juden oder ver¬
sagte ihnen den Aufenthalt, je nachdem dies ihrem Interesse zu entsprechen schien.

Die Jnteressenfrage war es insbesondre während der kritischen Epoche
des Mittelalters, wie gegenwärtig auch, fast ausschließlich, wodurch die Be¬
ziehungen der verschiednen Bevölkerungsgruppen, die mit der Zeit fast mehr
ideal als politisch klar in Ständen heraustraten, bestimmt wurde. Und die
Gegensätze zwischen Regierende" und Regierten waren damals noch schärfer als
heutzutage: war doch die Stellung der erster" noch eine so unsichere und be-
strittene und kam es daher oft zu Maßnahmen, welche ausschließlich als Aus¬
druck der Gegensätzlichkeit zu gelten haben. Besonders auf sozialwirtschaftlichem
Gebiete tritt dies höchst auffällig hervor, und die fortwährende Bewegung, in
der sich hier die öffentlichen Angelegenheiten befanden, beweist genügend die Un¬
klarheit, welche hinsichtlich derselben herrschte.

Übrigens ging auch damals wie heute uoch der wachsende politische Ein¬
fluß innerhalb der politischen und sozialen Gemeinwesen Hand in Hand mit
dem wachsenden Reichtum, und die erworbenen Rechte spielten dieselbe Rolle
wie gegenwärtig; man erwog damals so wenig wie heute, daß erworbene Rechte,
wie sie für sich selbst eigentlich eine bloße Verdrängung oder im besten Falle
eine Verwandlung des Rechts darstellen, selbst durch neue erworbene Rechte,
welche ganz auf derselben Grundlage wie die bestehenden erworbenen Rechte
erwachsen, zurückgedrängt werden, und daß daher schon seiner Grundlage nach
und im Verhältnis zum öffentlichen Recht, obgleich dasselbe völlig überdeckt
erscheinen mag, das "erworbene" Recht thatsächlich höchst zweifelhafter und
wandelbarer Natur ist.

Und die Kreditfrage war ehedem so gut wie gegenwärtig die Frage, wo
die Zweifelhaftigkeit und Wandelbarkeit des Rechts und der sozialen Verhält¬
nisse nicht nur ihren Ausgangspunkt fand, sondern sogar finden mußte; inner¬
halb derselben führt immer einerseits die Unersättlichkeit der Geldmacht, andrerseits
die unbedingte Grenze der Ausbeutung zur Unmöglichkeit und damit zum Bruch
der Dinge. Die pseudo-ökonomische Doktrin von der untrüglichen Heilsamkeit
des Kredits in Notständen bringt natürlich zunächst die Kreditgeber, seien es
Personen, seien es Institute, in Konkurrenz. Diese Konkurrenz, die sich
heutzutage in einer Menge von Veränderungen zeigt, führte auch im Mittel¬
alter oft genug zu heftigen Gegensätzen, und das Wesen dieser Gegen¬
sätze wird allerdings hie und da ganz richtig bezeichnet, wenn jüdische


Glosse» zu den modernen Rreditbestrebnngen.

Denn obgleich bis zum Jahre 1349 prinzipiell die Juden als „Besitztum" des
Kaisers galten und obgleich auch seitdem der etwa auf die Städte und die
Landesfürsten übergegangene Besitz meist mir als Reichslehen galt, so kümmerten
sich doch anch bis dahin die Territorialherren oft wenig genug um jenes
Prinzipielle Verhältnis. Auch bis zu jener Zeit ging meist das besondre und
immer nur auf eine Reihe von Jahren erteilte Wohnrecht der Juden von der
Territorialherrschaft ans; und die letztere berief entweder die Juden oder ver¬
sagte ihnen den Aufenthalt, je nachdem dies ihrem Interesse zu entsprechen schien.

Die Jnteressenfrage war es insbesondre während der kritischen Epoche
des Mittelalters, wie gegenwärtig auch, fast ausschließlich, wodurch die Be¬
ziehungen der verschiednen Bevölkerungsgruppen, die mit der Zeit fast mehr
ideal als politisch klar in Ständen heraustraten, bestimmt wurde. Und die
Gegensätze zwischen Regierende» und Regierten waren damals noch schärfer als
heutzutage: war doch die Stellung der erster» noch eine so unsichere und be-
strittene und kam es daher oft zu Maßnahmen, welche ausschließlich als Aus¬
druck der Gegensätzlichkeit zu gelten haben. Besonders auf sozialwirtschaftlichem
Gebiete tritt dies höchst auffällig hervor, und die fortwährende Bewegung, in
der sich hier die öffentlichen Angelegenheiten befanden, beweist genügend die Un¬
klarheit, welche hinsichtlich derselben herrschte.

Übrigens ging auch damals wie heute uoch der wachsende politische Ein¬
fluß innerhalb der politischen und sozialen Gemeinwesen Hand in Hand mit
dem wachsenden Reichtum, und die erworbenen Rechte spielten dieselbe Rolle
wie gegenwärtig; man erwog damals so wenig wie heute, daß erworbene Rechte,
wie sie für sich selbst eigentlich eine bloße Verdrängung oder im besten Falle
eine Verwandlung des Rechts darstellen, selbst durch neue erworbene Rechte,
welche ganz auf derselben Grundlage wie die bestehenden erworbenen Rechte
erwachsen, zurückgedrängt werden, und daß daher schon seiner Grundlage nach
und im Verhältnis zum öffentlichen Recht, obgleich dasselbe völlig überdeckt
erscheinen mag, das „erworbene" Recht thatsächlich höchst zweifelhafter und
wandelbarer Natur ist.

Und die Kreditfrage war ehedem so gut wie gegenwärtig die Frage, wo
die Zweifelhaftigkeit und Wandelbarkeit des Rechts und der sozialen Verhält¬
nisse nicht nur ihren Ausgangspunkt fand, sondern sogar finden mußte; inner¬
halb derselben führt immer einerseits die Unersättlichkeit der Geldmacht, andrerseits
die unbedingte Grenze der Ausbeutung zur Unmöglichkeit und damit zum Bruch
der Dinge. Die pseudo-ökonomische Doktrin von der untrüglichen Heilsamkeit
des Kredits in Notständen bringt natürlich zunächst die Kreditgeber, seien es
Personen, seien es Institute, in Konkurrenz. Diese Konkurrenz, die sich
heutzutage in einer Menge von Veränderungen zeigt, führte auch im Mittel¬
alter oft genug zu heftigen Gegensätzen, und das Wesen dieser Gegen¬
sätze wird allerdings hie und da ganz richtig bezeichnet, wenn jüdische


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[0287] Glosse» zu den modernen Rreditbestrebnngen. Denn obgleich bis zum Jahre 1349 prinzipiell die Juden als „Besitztum" des Kaisers galten und obgleich auch seitdem der etwa auf die Städte und die Landesfürsten übergegangene Besitz meist mir als Reichslehen galt, so kümmerten sich doch anch bis dahin die Territorialherren oft wenig genug um jenes Prinzipielle Verhältnis. Auch bis zu jener Zeit ging meist das besondre und immer nur auf eine Reihe von Jahren erteilte Wohnrecht der Juden von der Territorialherrschaft ans; und die letztere berief entweder die Juden oder ver¬ sagte ihnen den Aufenthalt, je nachdem dies ihrem Interesse zu entsprechen schien. Die Jnteressenfrage war es insbesondre während der kritischen Epoche des Mittelalters, wie gegenwärtig auch, fast ausschließlich, wodurch die Be¬ ziehungen der verschiednen Bevölkerungsgruppen, die mit der Zeit fast mehr ideal als politisch klar in Ständen heraustraten, bestimmt wurde. Und die Gegensätze zwischen Regierende» und Regierten waren damals noch schärfer als heutzutage: war doch die Stellung der erster» noch eine so unsichere und be- strittene und kam es daher oft zu Maßnahmen, welche ausschließlich als Aus¬ druck der Gegensätzlichkeit zu gelten haben. Besonders auf sozialwirtschaftlichem Gebiete tritt dies höchst auffällig hervor, und die fortwährende Bewegung, in der sich hier die öffentlichen Angelegenheiten befanden, beweist genügend die Un¬ klarheit, welche hinsichtlich derselben herrschte. Übrigens ging auch damals wie heute uoch der wachsende politische Ein¬ fluß innerhalb der politischen und sozialen Gemeinwesen Hand in Hand mit dem wachsenden Reichtum, und die erworbenen Rechte spielten dieselbe Rolle wie gegenwärtig; man erwog damals so wenig wie heute, daß erworbene Rechte, wie sie für sich selbst eigentlich eine bloße Verdrängung oder im besten Falle eine Verwandlung des Rechts darstellen, selbst durch neue erworbene Rechte, welche ganz auf derselben Grundlage wie die bestehenden erworbenen Rechte erwachsen, zurückgedrängt werden, und daß daher schon seiner Grundlage nach und im Verhältnis zum öffentlichen Recht, obgleich dasselbe völlig überdeckt erscheinen mag, das „erworbene" Recht thatsächlich höchst zweifelhafter und wandelbarer Natur ist. Und die Kreditfrage war ehedem so gut wie gegenwärtig die Frage, wo die Zweifelhaftigkeit und Wandelbarkeit des Rechts und der sozialen Verhält¬ nisse nicht nur ihren Ausgangspunkt fand, sondern sogar finden mußte; inner¬ halb derselben führt immer einerseits die Unersättlichkeit der Geldmacht, andrerseits die unbedingte Grenze der Ausbeutung zur Unmöglichkeit und damit zum Bruch der Dinge. Die pseudo-ökonomische Doktrin von der untrüglichen Heilsamkeit des Kredits in Notständen bringt natürlich zunächst die Kreditgeber, seien es Personen, seien es Institute, in Konkurrenz. Diese Konkurrenz, die sich heutzutage in einer Menge von Veränderungen zeigt, führte auch im Mittel¬ alter oft genug zu heftigen Gegensätzen, und das Wesen dieser Gegen¬ sätze wird allerdings hie und da ganz richtig bezeichnet, wenn jüdische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/287>, abgerufen am 08.09.2024.