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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschrverdt.
August Niemann Roman von (Gotha).
(Fortsetzung.)
Siebenunddreißigstes Uapitel.

reif Dietrich war ein dem Morgen, den seine Mutter ihm zur Abreise
nach Berlin bestimmt hatte, vergnügt über die Abwechslung, welche
sich ihm bot, in den Wagen gestiegen. Das Gefühl, in einer
leichten Chaise, den Koffer hinten aufgebunden, ohne irgend eine
Begleitung, die ihm hätte langweilig oder hinderlich sein können,
raschen Pferden ins Land hinaus geführt zu werden, war von
ihm sehr erquicklich. Er blies vergnügt den Dampf der Cigarretten vor sich hin,
freute sich über die vorbeitanzenden Bäume, das Getrappel der Pferde und das
sanfte Wiegen auf deu Polstern und lachte im Bewußtsein seiner Freiheit lant
auf, als er bedachte, daß seine Mutter ihn auf dem Wege nach Berlin glaubte.

Er fuhr zum Bahnhof, ließ dort sein Gepäck abladen und hieß den Kutscher
nach Schloß Eichhauseu zurückkehren, doch nahm er kein Fahrbillet, sondern
übergab sein Gepäck dem Portier und wanderte in die Stadt hinein, um zu
frühstücken. Dietrich war fremd in Holzfurt, aber mit jenem eigentümlichen
Instinkt, der eine gewisse Klasse lebenslustiger junger Männer leitet, ging er,
ohne sich bei jemand Rat zu holen, gerades Weges auf das von der besten
Gesellschaft besuchte Restaurant los. Es war noch früh, und nur ein einziger
Gast saß in dem kleinen behaglichen Zimmer, dessen Thür die Aufschrift "Wein¬
stube" trug, ein junger Offizier von dem in Holzfurt garnisonirenden Husaren¬
regiment, der geröstete Sardinen verzehrte und einen goldfarbigen Wein dazu
trank.

Alle Wetter! sagte der Leutnant, indem er aufblickte, sind Sie das, Alten-
schwerdt, oder ists Ihr Geist? Welcher Wind führt Sie denn in dies von Gott
verlassene Nest?'

Das ist wahrhaftig Glück! entgegnete Dietrich. Sie, Nikowski! Stehen
Sie jetzt hier? Nun, da sieht man, der Herr verläßt die Seinen nicht. Ich
bin entzückt, daß ich Sie treffe. Ich sage Ihnen, Nikowski, ich weiß nicht mehr,
ob ich ein Männchen oder ein Weibchen bin. Seit mehreren Jahrhunderten




Die Grafen von Altenschrverdt.
August Niemann Roman von (Gotha).
(Fortsetzung.)
Siebenunddreißigstes Uapitel.

reif Dietrich war ein dem Morgen, den seine Mutter ihm zur Abreise
nach Berlin bestimmt hatte, vergnügt über die Abwechslung, welche
sich ihm bot, in den Wagen gestiegen. Das Gefühl, in einer
leichten Chaise, den Koffer hinten aufgebunden, ohne irgend eine
Begleitung, die ihm hätte langweilig oder hinderlich sein können,
raschen Pferden ins Land hinaus geführt zu werden, war von
ihm sehr erquicklich. Er blies vergnügt den Dampf der Cigarretten vor sich hin,
freute sich über die vorbeitanzenden Bäume, das Getrappel der Pferde und das
sanfte Wiegen auf deu Polstern und lachte im Bewußtsein seiner Freiheit lant
auf, als er bedachte, daß seine Mutter ihn auf dem Wege nach Berlin glaubte.

Er fuhr zum Bahnhof, ließ dort sein Gepäck abladen und hieß den Kutscher
nach Schloß Eichhauseu zurückkehren, doch nahm er kein Fahrbillet, sondern
übergab sein Gepäck dem Portier und wanderte in die Stadt hinein, um zu
frühstücken. Dietrich war fremd in Holzfurt, aber mit jenem eigentümlichen
Instinkt, der eine gewisse Klasse lebenslustiger junger Männer leitet, ging er,
ohne sich bei jemand Rat zu holen, gerades Weges auf das von der besten
Gesellschaft besuchte Restaurant los. Es war noch früh, und nur ein einziger
Gast saß in dem kleinen behaglichen Zimmer, dessen Thür die Aufschrift „Wein¬
stube" trug, ein junger Offizier von dem in Holzfurt garnisonirenden Husaren¬
regiment, der geröstete Sardinen verzehrte und einen goldfarbigen Wein dazu
trank.

Alle Wetter! sagte der Leutnant, indem er aufblickte, sind Sie das, Alten-
schwerdt, oder ists Ihr Geist? Welcher Wind führt Sie denn in dies von Gott
verlassene Nest?'

Das ist wahrhaftig Glück! entgegnete Dietrich. Sie, Nikowski! Stehen
Sie jetzt hier? Nun, da sieht man, der Herr verläßt die Seinen nicht. Ich
bin entzückt, daß ich Sie treffe. Ich sage Ihnen, Nikowski, ich weiß nicht mehr,
ob ich ein Männchen oder ein Weibchen bin. Seit mehreren Jahrhunderten


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[0214] Die Grafen von Altenschrverdt. August Niemann Roman von (Gotha). (Fortsetzung.) Siebenunddreißigstes Uapitel. reif Dietrich war ein dem Morgen, den seine Mutter ihm zur Abreise nach Berlin bestimmt hatte, vergnügt über die Abwechslung, welche sich ihm bot, in den Wagen gestiegen. Das Gefühl, in einer leichten Chaise, den Koffer hinten aufgebunden, ohne irgend eine Begleitung, die ihm hätte langweilig oder hinderlich sein können, raschen Pferden ins Land hinaus geführt zu werden, war von ihm sehr erquicklich. Er blies vergnügt den Dampf der Cigarretten vor sich hin, freute sich über die vorbeitanzenden Bäume, das Getrappel der Pferde und das sanfte Wiegen auf deu Polstern und lachte im Bewußtsein seiner Freiheit lant auf, als er bedachte, daß seine Mutter ihn auf dem Wege nach Berlin glaubte. Er fuhr zum Bahnhof, ließ dort sein Gepäck abladen und hieß den Kutscher nach Schloß Eichhauseu zurückkehren, doch nahm er kein Fahrbillet, sondern übergab sein Gepäck dem Portier und wanderte in die Stadt hinein, um zu frühstücken. Dietrich war fremd in Holzfurt, aber mit jenem eigentümlichen Instinkt, der eine gewisse Klasse lebenslustiger junger Männer leitet, ging er, ohne sich bei jemand Rat zu holen, gerades Weges auf das von der besten Gesellschaft besuchte Restaurant los. Es war noch früh, und nur ein einziger Gast saß in dem kleinen behaglichen Zimmer, dessen Thür die Aufschrift „Wein¬ stube" trug, ein junger Offizier von dem in Holzfurt garnisonirenden Husaren¬ regiment, der geröstete Sardinen verzehrte und einen goldfarbigen Wein dazu trank. Alle Wetter! sagte der Leutnant, indem er aufblickte, sind Sie das, Alten- schwerdt, oder ists Ihr Geist? Welcher Wind führt Sie denn in dies von Gott verlassene Nest?' Das ist wahrhaftig Glück! entgegnete Dietrich. Sie, Nikowski! Stehen Sie jetzt hier? Nun, da sieht man, der Herr verläßt die Seinen nicht. Ich bin entzückt, daß ich Sie treffe. Ich sage Ihnen, Nikowski, ich weiß nicht mehr, ob ich ein Männchen oder ein Weibchen bin. Seit mehreren Jahrhunderten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/214>, abgerufen am 08.09.2024.