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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.

Aus den verschiednen Disziplinen, in welchen Schlegel bis dahin mit "ge¬
fräßiger Wißbegier" seine Studien betrieben hatte, heben sich nun das Studium
der Alten, Philosophie, Ethik, Geschichte und Politik heraus; und in Dresden,
wohin er anfangs 1794 mit den besten Vorsätzen in Bezug auf Sparsamkeit,
Entsagung und Fleiß übersiedelte, stellt er seinem Ehrgeiz bereits als höchstes
Ziel, das Studium des griechischen Altertums, welches von nun an seine Heimat
bleiben soll, in Deutschland neu zu beleben. Ein großes oder sogar mehrere
Werke über die Geschichte des oder über das ganze Altertum, noch besser
eine umfassende Gesamtdarstellung, also eine Encyklopädie des Altertums ist
der Plan, der überall im Hintergrund seiner Gedanken steht, während er sich
nicht entschließen kann, sich gehörige Grenzen abzustecken und eins nach dem
andern vorzunehmen. Es fehlt ihm die Gabe, das, was er in großen Zügen
gedacht hat, nun auch in großen Zügen darzustellen. Er beginnt mit Frag¬
menten und hört mit Fragmenten ans: ein für allemal ringen sich aus diesem
Kopfe nur Bruchstücke los. Aus dem großen Werke über das Altertum ent¬
stehen zunächst einige geistreiche Journalartikel, welche er selbst nur als Skizzen
zu künftigen Ausführungen betrachtet wissen will, welche er aber später dennoch
zu einem großen Werke wieder zusammenzuballen versucht. Er hat ebenso mit
seinen Gedanken zu ringen, um ihnen Form zu geben; er ringt sichtlich mit
der Sprache und bleibt trotzdem rauh, ungelenk und hart.

Einen Teil seines großen Werkes sollte eine Geschichte der griechischen
Dichtkunst bilden, und bei diesem Pnnkte setzen auch Friedrichs öffentliche Kund-
gebungen ein. Der Gedanke Herders, welcher einst auf Hamanns Anregung
hin einen Winckelmann auch für die Dichtkunst der Griechen verlangt hatte,
soll dnrch ihn verwirklicht werden, erhält aber durch Friedrich Schlegel sogleich
nach zwei Seiten hin eine neue Richtung und Gestalt. Die Geschichte der
griechischen Kunst ist ihm zugleich auch eine Ästhetik: sie ist ihm Vorbild und
Regel zugleich -- Naturgeschichte der Dichtung überhaupt. Er behandelt zweitens
die Geschichte der griechischen Dichtkunst mit beständiger Beziehung aus unsre
moderne Poesie, deren Problem ihm die Wiedervereinigung des Wesentlich-
Modernen mit dem Wesentlich-Antiken zu sein scheint. Und hier sollte ihm von
der andern Seite Bruder Wilhelm, der von Dante und Shakespeare aus auf eine
Geschichte der romantischen Poesie hinarbeitete, auf halbem Wege entgegenkommen.

So entwirft Schlegel in dem Aufsatze "Von den Schulen der griechischen
Poesie" in großen und kühnen Zügen, indem er zum ersten male den Ausdruck
"Schule" aus den bildenden Künsten für die Dichtkunst entlehnt und die Be¬
ziehung auf die Winckelmannschen Epochen der bildenden Kunst der Griechen
immer deutlicher im Auge behält, den ersten Umriß der griechischen Literntnr-
geschichte. Auch in der Charakteristik der einzelnen Schulen lehnt er sich wiederholt
an Winckelmann an; Schärfe und Präzision fehlen seiner knappen, gedrängten
Darstellung nirgends, eher Klarheit und Anschaulichkeit. Ein besondres Kapitel


Friedrich Schlegel.

Aus den verschiednen Disziplinen, in welchen Schlegel bis dahin mit „ge¬
fräßiger Wißbegier" seine Studien betrieben hatte, heben sich nun das Studium
der Alten, Philosophie, Ethik, Geschichte und Politik heraus; und in Dresden,
wohin er anfangs 1794 mit den besten Vorsätzen in Bezug auf Sparsamkeit,
Entsagung und Fleiß übersiedelte, stellt er seinem Ehrgeiz bereits als höchstes
Ziel, das Studium des griechischen Altertums, welches von nun an seine Heimat
bleiben soll, in Deutschland neu zu beleben. Ein großes oder sogar mehrere
Werke über die Geschichte des oder über das ganze Altertum, noch besser
eine umfassende Gesamtdarstellung, also eine Encyklopädie des Altertums ist
der Plan, der überall im Hintergrund seiner Gedanken steht, während er sich
nicht entschließen kann, sich gehörige Grenzen abzustecken und eins nach dem
andern vorzunehmen. Es fehlt ihm die Gabe, das, was er in großen Zügen
gedacht hat, nun auch in großen Zügen darzustellen. Er beginnt mit Frag¬
menten und hört mit Fragmenten ans: ein für allemal ringen sich aus diesem
Kopfe nur Bruchstücke los. Aus dem großen Werke über das Altertum ent¬
stehen zunächst einige geistreiche Journalartikel, welche er selbst nur als Skizzen
zu künftigen Ausführungen betrachtet wissen will, welche er aber später dennoch
zu einem großen Werke wieder zusammenzuballen versucht. Er hat ebenso mit
seinen Gedanken zu ringen, um ihnen Form zu geben; er ringt sichtlich mit
der Sprache und bleibt trotzdem rauh, ungelenk und hart.

Einen Teil seines großen Werkes sollte eine Geschichte der griechischen
Dichtkunst bilden, und bei diesem Pnnkte setzen auch Friedrichs öffentliche Kund-
gebungen ein. Der Gedanke Herders, welcher einst auf Hamanns Anregung
hin einen Winckelmann auch für die Dichtkunst der Griechen verlangt hatte,
soll dnrch ihn verwirklicht werden, erhält aber durch Friedrich Schlegel sogleich
nach zwei Seiten hin eine neue Richtung und Gestalt. Die Geschichte der
griechischen Kunst ist ihm zugleich auch eine Ästhetik: sie ist ihm Vorbild und
Regel zugleich — Naturgeschichte der Dichtung überhaupt. Er behandelt zweitens
die Geschichte der griechischen Dichtkunst mit beständiger Beziehung aus unsre
moderne Poesie, deren Problem ihm die Wiedervereinigung des Wesentlich-
Modernen mit dem Wesentlich-Antiken zu sein scheint. Und hier sollte ihm von
der andern Seite Bruder Wilhelm, der von Dante und Shakespeare aus auf eine
Geschichte der romantischen Poesie hinarbeitete, auf halbem Wege entgegenkommen.

So entwirft Schlegel in dem Aufsatze „Von den Schulen der griechischen
Poesie" in großen und kühnen Zügen, indem er zum ersten male den Ausdruck
„Schule" aus den bildenden Künsten für die Dichtkunst entlehnt und die Be¬
ziehung auf die Winckelmannschen Epochen der bildenden Kunst der Griechen
immer deutlicher im Auge behält, den ersten Umriß der griechischen Literntnr-
geschichte. Auch in der Charakteristik der einzelnen Schulen lehnt er sich wiederholt
an Winckelmann an; Schärfe und Präzision fehlen seiner knappen, gedrängten
Darstellung nirgends, eher Klarheit und Anschaulichkeit. Ein besondres Kapitel


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[0194] Friedrich Schlegel. Aus den verschiednen Disziplinen, in welchen Schlegel bis dahin mit „ge¬ fräßiger Wißbegier" seine Studien betrieben hatte, heben sich nun das Studium der Alten, Philosophie, Ethik, Geschichte und Politik heraus; und in Dresden, wohin er anfangs 1794 mit den besten Vorsätzen in Bezug auf Sparsamkeit, Entsagung und Fleiß übersiedelte, stellt er seinem Ehrgeiz bereits als höchstes Ziel, das Studium des griechischen Altertums, welches von nun an seine Heimat bleiben soll, in Deutschland neu zu beleben. Ein großes oder sogar mehrere Werke über die Geschichte des oder über das ganze Altertum, noch besser eine umfassende Gesamtdarstellung, also eine Encyklopädie des Altertums ist der Plan, der überall im Hintergrund seiner Gedanken steht, während er sich nicht entschließen kann, sich gehörige Grenzen abzustecken und eins nach dem andern vorzunehmen. Es fehlt ihm die Gabe, das, was er in großen Zügen gedacht hat, nun auch in großen Zügen darzustellen. Er beginnt mit Frag¬ menten und hört mit Fragmenten ans: ein für allemal ringen sich aus diesem Kopfe nur Bruchstücke los. Aus dem großen Werke über das Altertum ent¬ stehen zunächst einige geistreiche Journalartikel, welche er selbst nur als Skizzen zu künftigen Ausführungen betrachtet wissen will, welche er aber später dennoch zu einem großen Werke wieder zusammenzuballen versucht. Er hat ebenso mit seinen Gedanken zu ringen, um ihnen Form zu geben; er ringt sichtlich mit der Sprache und bleibt trotzdem rauh, ungelenk und hart. Einen Teil seines großen Werkes sollte eine Geschichte der griechischen Dichtkunst bilden, und bei diesem Pnnkte setzen auch Friedrichs öffentliche Kund- gebungen ein. Der Gedanke Herders, welcher einst auf Hamanns Anregung hin einen Winckelmann auch für die Dichtkunst der Griechen verlangt hatte, soll dnrch ihn verwirklicht werden, erhält aber durch Friedrich Schlegel sogleich nach zwei Seiten hin eine neue Richtung und Gestalt. Die Geschichte der griechischen Kunst ist ihm zugleich auch eine Ästhetik: sie ist ihm Vorbild und Regel zugleich — Naturgeschichte der Dichtung überhaupt. Er behandelt zweitens die Geschichte der griechischen Dichtkunst mit beständiger Beziehung aus unsre moderne Poesie, deren Problem ihm die Wiedervereinigung des Wesentlich- Modernen mit dem Wesentlich-Antiken zu sein scheint. Und hier sollte ihm von der andern Seite Bruder Wilhelm, der von Dante und Shakespeare aus auf eine Geschichte der romantischen Poesie hinarbeitete, auf halbem Wege entgegenkommen. So entwirft Schlegel in dem Aufsatze „Von den Schulen der griechischen Poesie" in großen und kühnen Zügen, indem er zum ersten male den Ausdruck „Schule" aus den bildenden Künsten für die Dichtkunst entlehnt und die Be¬ ziehung auf die Winckelmannschen Epochen der bildenden Kunst der Griechen immer deutlicher im Auge behält, den ersten Umriß der griechischen Literntnr- geschichte. Auch in der Charakteristik der einzelnen Schulen lehnt er sich wiederholt an Winckelmann an; Schärfe und Präzision fehlen seiner knappen, gedrängten Darstellung nirgends, eher Klarheit und Anschaulichkeit. Ein besondres Kapitel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/194>, abgerufen am 08.09.2024.