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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.
von ). Minor. 1.

n der Spitze der romantischen Schule stehen die Gebrüder Schlegel,
welche bei vielen gemeinsamen Merkmalen doch auch ebenso viele
unterscheidende Züge haben. Der Drang, sich geltend zu machen,
das stark ausgebildete Selbstgefühl, eine höchst empfindliche Eitel¬
keit sind ihrer moralische Anlage ebenso gemeinsam wie ihrer
intellektuellen eine geniale philologische Begabung und ein gewisser doktrinärer
Zug. Aber Friedrich geht in die Tiefe, er arbeitet an den Wurzeln des Kunst¬
baumes, dessen weithin schattende Krone Wilhelm herrlich entfaltet. Friedrich
ist der eigentlich originelle Geist, während Wilhelm die von andern erhaltenen
Anregungen bis ins einzelne fruchtbar zu machen weiß. Als Philologe hat
Friedrich den Blick ins Große und Ganze, Wilhelm geht feinfühlig ins Detail.
Friedrichs Arbeiten ringen sich schwer aus seinem Innern heraus und haben
immer etwas nngelecktes an sich; Wilhelm ist ein Meister der Form, seine
Schriften präsentiren sich aalglatt und sauber. Friedrich ist faul, arbeitet
fragmentarisch und verschleudert seine Ideen; Wilhelm ist haushälterisch und
ökonomisch, voll unermüdlichen Fleißes, konzentrirt in seinein Streben eine orga¬
nisatorische Natur. Für Friedrich dagegen heißt reinlich sein nichts andres
als die Dinge in ihrer Freiheit beschränken; Wilhelm ist von pedantischen Ord¬
nungssinn und endet als Elegant.

Friedrich Schlegel (geboren den 10. März 1772) schlug eine viel kühnere
Laufbahn nach viel größeren Zielen als sein fünf Jahre älterer Bruder August
Wilhelm ein.*) Vom Kondor, in welches man ihn seiner scheinbaren Unbefähigung
und seines sichtlichen Unfleißes halber gesteckt hatte, sprang er zu den Wissenschaften
und der Literatur hinüber. In der Nähe seines Bruders Wilhelm widmet er
sich seit dem Frühjahre 1790 nominell den juristischen Studien, in Wahrheit den
sogenannten schönen Wissenschaften, die er von Anfang an in einem viel weiter"
Umkreise und in größern Zügen zu umfassen strebte, als sein mit Vorliebe bis
ins einzelne zergliedernder Bruder. Gleichzeitig mit diesem verläßt er Göttingen,
giebt, da es ihm eine offenbare Unmöglichkeit ist, sich in irgend ein bürgerliches



*) Friedrich Schlegel. 1794--1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬
geben von I. Minor. Erster Band: Zur griechischen Literaturgeschichte. Zweiter Band:
Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien, 1832, Verlag von Karl Konegen.
Friedrich Schlegel.
von ). Minor. 1.

n der Spitze der romantischen Schule stehen die Gebrüder Schlegel,
welche bei vielen gemeinsamen Merkmalen doch auch ebenso viele
unterscheidende Züge haben. Der Drang, sich geltend zu machen,
das stark ausgebildete Selbstgefühl, eine höchst empfindliche Eitel¬
keit sind ihrer moralische Anlage ebenso gemeinsam wie ihrer
intellektuellen eine geniale philologische Begabung und ein gewisser doktrinärer
Zug. Aber Friedrich geht in die Tiefe, er arbeitet an den Wurzeln des Kunst¬
baumes, dessen weithin schattende Krone Wilhelm herrlich entfaltet. Friedrich
ist der eigentlich originelle Geist, während Wilhelm die von andern erhaltenen
Anregungen bis ins einzelne fruchtbar zu machen weiß. Als Philologe hat
Friedrich den Blick ins Große und Ganze, Wilhelm geht feinfühlig ins Detail.
Friedrichs Arbeiten ringen sich schwer aus seinem Innern heraus und haben
immer etwas nngelecktes an sich; Wilhelm ist ein Meister der Form, seine
Schriften präsentiren sich aalglatt und sauber. Friedrich ist faul, arbeitet
fragmentarisch und verschleudert seine Ideen; Wilhelm ist haushälterisch und
ökonomisch, voll unermüdlichen Fleißes, konzentrirt in seinein Streben eine orga¬
nisatorische Natur. Für Friedrich dagegen heißt reinlich sein nichts andres
als die Dinge in ihrer Freiheit beschränken; Wilhelm ist von pedantischen Ord¬
nungssinn und endet als Elegant.

Friedrich Schlegel (geboren den 10. März 1772) schlug eine viel kühnere
Laufbahn nach viel größeren Zielen als sein fünf Jahre älterer Bruder August
Wilhelm ein.*) Vom Kondor, in welches man ihn seiner scheinbaren Unbefähigung
und seines sichtlichen Unfleißes halber gesteckt hatte, sprang er zu den Wissenschaften
und der Literatur hinüber. In der Nähe seines Bruders Wilhelm widmet er
sich seit dem Frühjahre 1790 nominell den juristischen Studien, in Wahrheit den
sogenannten schönen Wissenschaften, die er von Anfang an in einem viel weiter»
Umkreise und in größern Zügen zu umfassen strebte, als sein mit Vorliebe bis
ins einzelne zergliedernder Bruder. Gleichzeitig mit diesem verläßt er Göttingen,
giebt, da es ihm eine offenbare Unmöglichkeit ist, sich in irgend ein bürgerliches



*) Friedrich Schlegel. 1794—1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬
geben von I. Minor. Erster Band: Zur griechischen Literaturgeschichte. Zweiter Band:
Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien, 1832, Verlag von Karl Konegen.
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[0192] Friedrich Schlegel. von ). Minor. 1. n der Spitze der romantischen Schule stehen die Gebrüder Schlegel, welche bei vielen gemeinsamen Merkmalen doch auch ebenso viele unterscheidende Züge haben. Der Drang, sich geltend zu machen, das stark ausgebildete Selbstgefühl, eine höchst empfindliche Eitel¬ keit sind ihrer moralische Anlage ebenso gemeinsam wie ihrer intellektuellen eine geniale philologische Begabung und ein gewisser doktrinärer Zug. Aber Friedrich geht in die Tiefe, er arbeitet an den Wurzeln des Kunst¬ baumes, dessen weithin schattende Krone Wilhelm herrlich entfaltet. Friedrich ist der eigentlich originelle Geist, während Wilhelm die von andern erhaltenen Anregungen bis ins einzelne fruchtbar zu machen weiß. Als Philologe hat Friedrich den Blick ins Große und Ganze, Wilhelm geht feinfühlig ins Detail. Friedrichs Arbeiten ringen sich schwer aus seinem Innern heraus und haben immer etwas nngelecktes an sich; Wilhelm ist ein Meister der Form, seine Schriften präsentiren sich aalglatt und sauber. Friedrich ist faul, arbeitet fragmentarisch und verschleudert seine Ideen; Wilhelm ist haushälterisch und ökonomisch, voll unermüdlichen Fleißes, konzentrirt in seinein Streben eine orga¬ nisatorische Natur. Für Friedrich dagegen heißt reinlich sein nichts andres als die Dinge in ihrer Freiheit beschränken; Wilhelm ist von pedantischen Ord¬ nungssinn und endet als Elegant. Friedrich Schlegel (geboren den 10. März 1772) schlug eine viel kühnere Laufbahn nach viel größeren Zielen als sein fünf Jahre älterer Bruder August Wilhelm ein.*) Vom Kondor, in welches man ihn seiner scheinbaren Unbefähigung und seines sichtlichen Unfleißes halber gesteckt hatte, sprang er zu den Wissenschaften und der Literatur hinüber. In der Nähe seines Bruders Wilhelm widmet er sich seit dem Frühjahre 1790 nominell den juristischen Studien, in Wahrheit den sogenannten schönen Wissenschaften, die er von Anfang an in einem viel weiter» Umkreise und in größern Zügen zu umfassen strebte, als sein mit Vorliebe bis ins einzelne zergliedernder Bruder. Gleichzeitig mit diesem verläßt er Göttingen, giebt, da es ihm eine offenbare Unmöglichkeit ist, sich in irgend ein bürgerliches *) Friedrich Schlegel. 1794—1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬ geben von I. Minor. Erster Band: Zur griechischen Literaturgeschichte. Zweiter Band: Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien, 1832, Verlag von Karl Konegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/192>, abgerufen am 08.09.2024.