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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen.

die Einigkeit Deutschlands nicht zusammengetürmt, gesungen und geschossen, son¬
dern nur durch "Blut und Eisen" hergestellt werden könne, ist nicht in Friedrich
Wilhelm IV. und seinen Ministern aufgetaucht. Sie sind das eigne Werk des
jetzigen Kaisers und seines großen Staatsmannes. Anders war das Versälle"
des Königs in der Orientpolitik. Hier waren keine Fehler gut zu machen. Wie
schwierig auch die damalige Stellung Preußens war und wie wenig sich auch
dessen Staatsmänner, namentlich der Gesandte von Bunsen in England, der
Lage gewachsen zeigten, so war doch durch die Politik des Königs für die spätere
Auseinandersetzung mit Österreich die Neutralität Rußlands und Frankreichs
gewonnen. Der Verfasser behauptet, daß diese Politik vorzugsweise dem Einfluß
des Herrn von Senfft zu danken sei.

Im Innern zeigt der Verfasser den König ganz in Anspruch genommen
von dem Gedanken, in wahrer Frömmigkeit dem zerstörenden Geist der Zeit
einen Damm entgegenzusetzen. Er tritt mit aller Entschiedenheit den Kouver-
tirungsgerüchtcn des Königs zum Katholizismus entgegen, und es wird ihm zu¬
gegeben werden können, daß in vieler Hinsicht der mystisch fromme Sinn des
Königs falsch verstanden oder absichtlich mißdeutet worden sei. Daß die katho¬
lische Kirche sich nach den Zeiten Friedrich Wilhelms IV. zurücksehnt, ist dem
Verfasser schon oft von Windthorst in den verschiedensten Reden bezeugt worden;
ob dies freilich ein Lob ist, wollen wir hier bei Besprechung eines Buches und
in Parenthese nicht entscheiden. Der Verfasser spricht offenbar ganz im Sinne
der altkonservativen Partei, wenn er behauptet, daß die Rückkehr zu der Kirchen-
Politik Friedrich Wilhelms IV. das Ziel unsers gegenwärtigen Verhaltens zur
katholischen Kirche sein müsse. Wir bezweifeln das. Das Jahr 1848 hatte nicht
minder die Kirche wie den Staat geschwächt, und beide sahen sich aufeinander
angewiesen. Seither hat die Kirche es verstanden, mit den Mitteln, wie sie die
konstitutionelle Freiheit gemehrt, sich eine ganz neue Macht zu schaffen; Rom
versteht es ebensogut mit der Republik wie mit der Monarchie zu palliren und
geht das Bündnis ein, woraus ihm die meisten Vorteile erwachsen, ohne Rück¬
sicht ans Legitimität und Königtum. Was für die Zeit von 1840 bis 1355
taugte, das erscheint nach 1866 und 1870 doch nicht mehr anwendbar.

Interessant ist es, wie der Verfasser das Verhalten seines Königs in den
tumultuarischen Auftritten des Jahres 1848 psychologisch zu erklären sucht, "wie
es möglich war, daß der König in diesen Momenten so ganz von seinem Genius
verlassen erscheinen konnte." Er sieht eine Erklärung einerseits in der religiösen
Stellung Friedrich Wilhelms IV, der das Schriftwort auf sich anwandte: "Sie
haben nicht dich, sondern mich verworfen," andrerseits darin, daß der König
sich seiner bisherigen thatsächlichen Basis vollständig entzogen und sich einem
unbekannten Etwas gegenübergestellt sah. "Was Wunder, wenn unter diesen
Umständen der König eine Zeitlang sich selbst und andern als ein gebrochener
Mann erschien." Es wird auch besonders hervorgehoben, daß der König ruhig


Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen.

die Einigkeit Deutschlands nicht zusammengetürmt, gesungen und geschossen, son¬
dern nur durch „Blut und Eisen" hergestellt werden könne, ist nicht in Friedrich
Wilhelm IV. und seinen Ministern aufgetaucht. Sie sind das eigne Werk des
jetzigen Kaisers und seines großen Staatsmannes. Anders war das Versälle»
des Königs in der Orientpolitik. Hier waren keine Fehler gut zu machen. Wie
schwierig auch die damalige Stellung Preußens war und wie wenig sich auch
dessen Staatsmänner, namentlich der Gesandte von Bunsen in England, der
Lage gewachsen zeigten, so war doch durch die Politik des Königs für die spätere
Auseinandersetzung mit Österreich die Neutralität Rußlands und Frankreichs
gewonnen. Der Verfasser behauptet, daß diese Politik vorzugsweise dem Einfluß
des Herrn von Senfft zu danken sei.

Im Innern zeigt der Verfasser den König ganz in Anspruch genommen
von dem Gedanken, in wahrer Frömmigkeit dem zerstörenden Geist der Zeit
einen Damm entgegenzusetzen. Er tritt mit aller Entschiedenheit den Kouver-
tirungsgerüchtcn des Königs zum Katholizismus entgegen, und es wird ihm zu¬
gegeben werden können, daß in vieler Hinsicht der mystisch fromme Sinn des
Königs falsch verstanden oder absichtlich mißdeutet worden sei. Daß die katho¬
lische Kirche sich nach den Zeiten Friedrich Wilhelms IV. zurücksehnt, ist dem
Verfasser schon oft von Windthorst in den verschiedensten Reden bezeugt worden;
ob dies freilich ein Lob ist, wollen wir hier bei Besprechung eines Buches und
in Parenthese nicht entscheiden. Der Verfasser spricht offenbar ganz im Sinne
der altkonservativen Partei, wenn er behauptet, daß die Rückkehr zu der Kirchen-
Politik Friedrich Wilhelms IV. das Ziel unsers gegenwärtigen Verhaltens zur
katholischen Kirche sein müsse. Wir bezweifeln das. Das Jahr 1848 hatte nicht
minder die Kirche wie den Staat geschwächt, und beide sahen sich aufeinander
angewiesen. Seither hat die Kirche es verstanden, mit den Mitteln, wie sie die
konstitutionelle Freiheit gemehrt, sich eine ganz neue Macht zu schaffen; Rom
versteht es ebensogut mit der Republik wie mit der Monarchie zu palliren und
geht das Bündnis ein, woraus ihm die meisten Vorteile erwachsen, ohne Rück¬
sicht ans Legitimität und Königtum. Was für die Zeit von 1840 bis 1355
taugte, das erscheint nach 1866 und 1870 doch nicht mehr anwendbar.

Interessant ist es, wie der Verfasser das Verhalten seines Königs in den
tumultuarischen Auftritten des Jahres 1848 psychologisch zu erklären sucht, „wie
es möglich war, daß der König in diesen Momenten so ganz von seinem Genius
verlassen erscheinen konnte." Er sieht eine Erklärung einerseits in der religiösen
Stellung Friedrich Wilhelms IV, der das Schriftwort auf sich anwandte: „Sie
haben nicht dich, sondern mich verworfen," andrerseits darin, daß der König
sich seiner bisherigen thatsächlichen Basis vollständig entzogen und sich einem
unbekannten Etwas gegenübergestellt sah. „Was Wunder, wenn unter diesen
Umständen der König eine Zeitlang sich selbst und andern als ein gebrochener
Mann erschien." Es wird auch besonders hervorgehoben, daß der König ruhig


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[0190] Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen. die Einigkeit Deutschlands nicht zusammengetürmt, gesungen und geschossen, son¬ dern nur durch „Blut und Eisen" hergestellt werden könne, ist nicht in Friedrich Wilhelm IV. und seinen Ministern aufgetaucht. Sie sind das eigne Werk des jetzigen Kaisers und seines großen Staatsmannes. Anders war das Versälle» des Königs in der Orientpolitik. Hier waren keine Fehler gut zu machen. Wie schwierig auch die damalige Stellung Preußens war und wie wenig sich auch dessen Staatsmänner, namentlich der Gesandte von Bunsen in England, der Lage gewachsen zeigten, so war doch durch die Politik des Königs für die spätere Auseinandersetzung mit Österreich die Neutralität Rußlands und Frankreichs gewonnen. Der Verfasser behauptet, daß diese Politik vorzugsweise dem Einfluß des Herrn von Senfft zu danken sei. Im Innern zeigt der Verfasser den König ganz in Anspruch genommen von dem Gedanken, in wahrer Frömmigkeit dem zerstörenden Geist der Zeit einen Damm entgegenzusetzen. Er tritt mit aller Entschiedenheit den Kouver- tirungsgerüchtcn des Königs zum Katholizismus entgegen, und es wird ihm zu¬ gegeben werden können, daß in vieler Hinsicht der mystisch fromme Sinn des Königs falsch verstanden oder absichtlich mißdeutet worden sei. Daß die katho¬ lische Kirche sich nach den Zeiten Friedrich Wilhelms IV. zurücksehnt, ist dem Verfasser schon oft von Windthorst in den verschiedensten Reden bezeugt worden; ob dies freilich ein Lob ist, wollen wir hier bei Besprechung eines Buches und in Parenthese nicht entscheiden. Der Verfasser spricht offenbar ganz im Sinne der altkonservativen Partei, wenn er behauptet, daß die Rückkehr zu der Kirchen- Politik Friedrich Wilhelms IV. das Ziel unsers gegenwärtigen Verhaltens zur katholischen Kirche sein müsse. Wir bezweifeln das. Das Jahr 1848 hatte nicht minder die Kirche wie den Staat geschwächt, und beide sahen sich aufeinander angewiesen. Seither hat die Kirche es verstanden, mit den Mitteln, wie sie die konstitutionelle Freiheit gemehrt, sich eine ganz neue Macht zu schaffen; Rom versteht es ebensogut mit der Republik wie mit der Monarchie zu palliren und geht das Bündnis ein, woraus ihm die meisten Vorteile erwachsen, ohne Rück¬ sicht ans Legitimität und Königtum. Was für die Zeit von 1840 bis 1355 taugte, das erscheint nach 1866 und 1870 doch nicht mehr anwendbar. Interessant ist es, wie der Verfasser das Verhalten seines Königs in den tumultuarischen Auftritten des Jahres 1848 psychologisch zu erklären sucht, „wie es möglich war, daß der König in diesen Momenten so ganz von seinem Genius verlassen erscheinen konnte." Er sieht eine Erklärung einerseits in der religiösen Stellung Friedrich Wilhelms IV, der das Schriftwort auf sich anwandte: „Sie haben nicht dich, sondern mich verworfen," andrerseits darin, daß der König sich seiner bisherigen thatsächlichen Basis vollständig entzogen und sich einem unbekannten Etwas gegenübergestellt sah. „Was Wunder, wenn unter diesen Umständen der König eine Zeitlang sich selbst und andern als ein gebrochener Mann erschien." Es wird auch besonders hervorgehoben, daß der König ruhig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/190>, abgerufen am 08.09.2024.