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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen.

Stambuls, einen scharfen Blick und eine außerordentliche Kenntnis, um durch seine
Darstellung zu fesseln.

Der Verfasser steht offenbar unter dem Bann, den die Milde, die Liebens¬
würdigkeit und der sprudelnde Reichtum des Geistes auf alle zu üben wußte,
die dem verstorbenen König nähergetreten sind; seine Schrift ist von Dank¬
barkeit und inniger Verehrung gegen den König durchdrungen, und er bemüht
sich selbst da, wo die Zeitgenossen und die lebende Generation über gewisse
dunkle Punkte nicht hinwegzukommen vermögen, zu mildern und zu erklären. Es
ist nicht unmöglich, daß auch in dieser Hinsicht die Zukunft zu Gunsten des
Verfassers entscheiden wird. Um nur eins anzuführen, so ist die Politik Friedrich
Wilhelms IV. und seines Ministers von Manteuffel am Bundestag, Österreich
gegenüber und vor dem Orientkriege jetzt durch die aus den Archiven veröffent¬
lichten Berichte des jetzigen Reichskanzlers und damaligen Bnndestngsgesandten
von Bismarck in ein ganz neues Licht gestellt worden. Es geht daraus nicht
nur hervor, daß der König und sein erster Minister das aufsteigende Genie ge¬
währen ließen, sondern daß sie auch ans seine Ideen einginge". In diesen Ideen aber
muß sich König und Gesandter in mehr als einem Punkte begegnet sein, denn
Herr von Bismarck war schon damals nicht der Mann, der seine Gesandtschafts¬
berichte lediglich als eine geistreiche Lektüre hätte behandeln lassen. Wie der
Verfasser nach der Korrespondenz des Freiherrn von Senfft versichert, ist im
August 1848 und im März 1854 der König nahe daran gewesen, Herrn von
Bismarck zum Minister zu ernennen. Sein Wille scheiterte an der nächsten
Umgebung des Hofes, indem man zuerst den Herrn von Bismarck für zu un¬
erfahren und unpopulär und gleichzeitig für einen Heißsporn hielt, und später
aus dem Grunde, weil man den Herrn von Manteuffel nicht fallen lassen wollte.
Jedenfalls gebührt Friedrich Wilhelm IV. das Verdienst, nicht bloß den jetzigen
Reichskanzler entdeckt, sondern auch durch ihn die äußere Politik in die Wege
gelenkt zu haben, die später, als der Fürst von einem thatkräftigen Monarchen
an die Spitze der Geschäfte berufen wurde, zum Heile Preußens und des ge-
amten Deutschlands führen sollte. Von einem solchen Standpunkt aus be¬
trachtet, wird auch vielleicht einmal später die Vereinbarung von Olmütz in einem
andern Lichte erscheinen, und mau kann dem Verfasser wohl schon jetzt darin
beistimmen, daß der Fehler in den vorgängigen Einheitsbestrebungen Preußens
lag, für dessen Rolle die thatsächlichen Voraussetzungen noch nicht existirten.
Mit der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes war Österreich mehr als je
entschlossen, seinen Fuß fest in Deutschland zu behalten, und die deutschen Fürsten,
welche den preußischen Unionsgedanken unterstützten, haben sich schnell genug als
Gegner entpuppt. Die Zeit war noch nicht recht reif und Preußen selbst noch
nicht fertig. Trotzdem ist es wohl eine zu große Hyperbel, wenn der Verfasser
ausruft: "Ohne Olmütz kein einiges mächtiges Deutschland, wie wir uns heute
dessen erfreuen." Denn die Reorganisation der Armee und der Gedanke, daß


Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen.

Stambuls, einen scharfen Blick und eine außerordentliche Kenntnis, um durch seine
Darstellung zu fesseln.

Der Verfasser steht offenbar unter dem Bann, den die Milde, die Liebens¬
würdigkeit und der sprudelnde Reichtum des Geistes auf alle zu üben wußte,
die dem verstorbenen König nähergetreten sind; seine Schrift ist von Dank¬
barkeit und inniger Verehrung gegen den König durchdrungen, und er bemüht
sich selbst da, wo die Zeitgenossen und die lebende Generation über gewisse
dunkle Punkte nicht hinwegzukommen vermögen, zu mildern und zu erklären. Es
ist nicht unmöglich, daß auch in dieser Hinsicht die Zukunft zu Gunsten des
Verfassers entscheiden wird. Um nur eins anzuführen, so ist die Politik Friedrich
Wilhelms IV. und seines Ministers von Manteuffel am Bundestag, Österreich
gegenüber und vor dem Orientkriege jetzt durch die aus den Archiven veröffent¬
lichten Berichte des jetzigen Reichskanzlers und damaligen Bnndestngsgesandten
von Bismarck in ein ganz neues Licht gestellt worden. Es geht daraus nicht
nur hervor, daß der König und sein erster Minister das aufsteigende Genie ge¬
währen ließen, sondern daß sie auch ans seine Ideen einginge». In diesen Ideen aber
muß sich König und Gesandter in mehr als einem Punkte begegnet sein, denn
Herr von Bismarck war schon damals nicht der Mann, der seine Gesandtschafts¬
berichte lediglich als eine geistreiche Lektüre hätte behandeln lassen. Wie der
Verfasser nach der Korrespondenz des Freiherrn von Senfft versichert, ist im
August 1848 und im März 1854 der König nahe daran gewesen, Herrn von
Bismarck zum Minister zu ernennen. Sein Wille scheiterte an der nächsten
Umgebung des Hofes, indem man zuerst den Herrn von Bismarck für zu un¬
erfahren und unpopulär und gleichzeitig für einen Heißsporn hielt, und später
aus dem Grunde, weil man den Herrn von Manteuffel nicht fallen lassen wollte.
Jedenfalls gebührt Friedrich Wilhelm IV. das Verdienst, nicht bloß den jetzigen
Reichskanzler entdeckt, sondern auch durch ihn die äußere Politik in die Wege
gelenkt zu haben, die später, als der Fürst von einem thatkräftigen Monarchen
an die Spitze der Geschäfte berufen wurde, zum Heile Preußens und des ge-
amten Deutschlands führen sollte. Von einem solchen Standpunkt aus be¬
trachtet, wird auch vielleicht einmal später die Vereinbarung von Olmütz in einem
andern Lichte erscheinen, und mau kann dem Verfasser wohl schon jetzt darin
beistimmen, daß der Fehler in den vorgängigen Einheitsbestrebungen Preußens
lag, für dessen Rolle die thatsächlichen Voraussetzungen noch nicht existirten.
Mit der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes war Österreich mehr als je
entschlossen, seinen Fuß fest in Deutschland zu behalten, und die deutschen Fürsten,
welche den preußischen Unionsgedanken unterstützten, haben sich schnell genug als
Gegner entpuppt. Die Zeit war noch nicht recht reif und Preußen selbst noch
nicht fertig. Trotzdem ist es wohl eine zu große Hyperbel, wenn der Verfasser
ausruft: „Ohne Olmütz kein einiges mächtiges Deutschland, wie wir uns heute
dessen erfreuen." Denn die Reorganisation der Armee und der Gedanke, daß


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[0189] Zur Politik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen. Stambuls, einen scharfen Blick und eine außerordentliche Kenntnis, um durch seine Darstellung zu fesseln. Der Verfasser steht offenbar unter dem Bann, den die Milde, die Liebens¬ würdigkeit und der sprudelnde Reichtum des Geistes auf alle zu üben wußte, die dem verstorbenen König nähergetreten sind; seine Schrift ist von Dank¬ barkeit und inniger Verehrung gegen den König durchdrungen, und er bemüht sich selbst da, wo die Zeitgenossen und die lebende Generation über gewisse dunkle Punkte nicht hinwegzukommen vermögen, zu mildern und zu erklären. Es ist nicht unmöglich, daß auch in dieser Hinsicht die Zukunft zu Gunsten des Verfassers entscheiden wird. Um nur eins anzuführen, so ist die Politik Friedrich Wilhelms IV. und seines Ministers von Manteuffel am Bundestag, Österreich gegenüber und vor dem Orientkriege jetzt durch die aus den Archiven veröffent¬ lichten Berichte des jetzigen Reichskanzlers und damaligen Bnndestngsgesandten von Bismarck in ein ganz neues Licht gestellt worden. Es geht daraus nicht nur hervor, daß der König und sein erster Minister das aufsteigende Genie ge¬ währen ließen, sondern daß sie auch ans seine Ideen einginge». In diesen Ideen aber muß sich König und Gesandter in mehr als einem Punkte begegnet sein, denn Herr von Bismarck war schon damals nicht der Mann, der seine Gesandtschafts¬ berichte lediglich als eine geistreiche Lektüre hätte behandeln lassen. Wie der Verfasser nach der Korrespondenz des Freiherrn von Senfft versichert, ist im August 1848 und im März 1854 der König nahe daran gewesen, Herrn von Bismarck zum Minister zu ernennen. Sein Wille scheiterte an der nächsten Umgebung des Hofes, indem man zuerst den Herrn von Bismarck für zu un¬ erfahren und unpopulär und gleichzeitig für einen Heißsporn hielt, und später aus dem Grunde, weil man den Herrn von Manteuffel nicht fallen lassen wollte. Jedenfalls gebührt Friedrich Wilhelm IV. das Verdienst, nicht bloß den jetzigen Reichskanzler entdeckt, sondern auch durch ihn die äußere Politik in die Wege gelenkt zu haben, die später, als der Fürst von einem thatkräftigen Monarchen an die Spitze der Geschäfte berufen wurde, zum Heile Preußens und des ge- amten Deutschlands führen sollte. Von einem solchen Standpunkt aus be¬ trachtet, wird auch vielleicht einmal später die Vereinbarung von Olmütz in einem andern Lichte erscheinen, und mau kann dem Verfasser wohl schon jetzt darin beistimmen, daß der Fehler in den vorgängigen Einheitsbestrebungen Preußens lag, für dessen Rolle die thatsächlichen Voraussetzungen noch nicht existirten. Mit der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes war Österreich mehr als je entschlossen, seinen Fuß fest in Deutschland zu behalten, und die deutschen Fürsten, welche den preußischen Unionsgedanken unterstützten, haben sich schnell genug als Gegner entpuppt. Die Zeit war noch nicht recht reif und Preußen selbst noch nicht fertig. Trotzdem ist es wohl eine zu große Hyperbel, wenn der Verfasser ausruft: „Ohne Olmütz kein einiges mächtiges Deutschland, wie wir uns heute dessen erfreuen." Denn die Reorganisation der Armee und der Gedanke, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/189>, abgerufen am 08.09.2024.