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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Jllustrirte Prachtwerke dos 1^5. und 1^6. Jahrhunderts.

"Schatzbehalter oder Schrein der wahren Reichtümer des Heils und ewiger
Seligkeit," dessen große Holztafeln biblische Ereignisse vorführen. Die Bild¬
werke dieses Buches müssen großen Beifall gefunden haben, da Koburger schon
zwei Jahre später ein noch viel umfangreicheres illustrirtes Prachtwerk heraus¬
gab: die Hartmann Schedelsche Weltchronik, die 1493 lateinisch, 1494 deutsch
erschien und eine Fülle und Mannichfaltigkeit an Holzschnitten bietet wie kein
andres Werk lange vor- und nachher. Das Titelbild zeigt den Lenker der Welt¬
geschichte, Gottvater, in reichem Gewände auf dem Wolkenthrone. Die Chronik
selbst gliedert sich in sechs Weltalter, und in jedem sind die hauptsächlichsten
historischen Ereignisse mit großen figurenreichen Kompositionen illustrirt.
Neben diesen große" Bildern enthält das Buch noch unzählige kleinere. Bei
jedem Weltalter find die Städte abgebildet, welche in der betreffenden Zeit ge¬
gründet wurden oder in besondrer Blüte standen. Man findet also cinßer
mehreren phantastischen Darstellungen eine ganze Reihe von geographisch treuen
Städteansichten. Außerdem verlangte das fünfzehnte Jahrhundert auch die
Porträts aller in der Erzählung hervortretenden Personen zu sehen. Und so
kommen als dritte Gruppe die Porträts hinzu, im ersten Weltalter die Brust¬
bilder sämtlicher Vorfahren Christi von Adam bis auf Lamech, im zweite" die
der ältesten Könige, im dritten die assyrische" Herrscher, die ägyptische" Pharaonen
und die griechischen Götter, die Sibyllen, die Helden des trojanischen Krieges,
die israelitischen Richter, im vierten die jüdischen Könige und Propheten, die
römischen Konsuln, die griechischen Gesetzgeber und Philosophen, im fünften
die Koryphäen der griechischen Wissenschaft und die römischen Feldherren, im
sechsten die jüdischen Statthalter, die römischen Kaiser und Dichter, die Bischöfe,
Heiligen, Ketzer, Päpste, deutsche" Kurfürsten, Herzöge und Ritter. Die Personen,
welche vorzüglich in die Geschichte eingegriffen haben, werden in ganzen Figuren
dargestellt. Der Wert der Holzschnitte ist verschieden. Unter den Städtebildern
zeigen die großen Ansichten von Nürnberg, Erfurt, Straßburg, Würzburg,
Venedig und Florenz die originellste Auffassung. Unter den Porträts sind
die ganzfigurigen sorgfältig behandelt, während die kleinen Brustbilder keinen
Anspruch auf besondern Wert machen. Wie bei den außereuropäischen Stüdte-
bildern Ninive gerade so aussah wie Korinth. Damaskus, Neapel, so muß man
sich auch bei den kleinen Porträts gar mancherlei bieten lassen. Der Mann,
den man zuerst als Hektor gesehen hatte, mit blödem Gesicht, kurzgeschornem
Haar und faltigem Mantel, erscheint zugleich als Jonas, Pittakus, Zeno,
Terentius und Ketzer Valentinian. Die Darstellung des Paris -- ein Mann
mit einem bis an den Hals zugeknöpften Mantel und einem Buch in der
Hand -- hatte schon von Anfang an für diesen schlecht gepaßt. Dafür eignet
sie sich um so besser für Micha, Epimenides, Neemias, Epikurus, den Ketzer
Mareion, den Johannes Damaseenus. Für die Ausführung im Schnitt wird
Koburger eine eigene Formschneiderwerkstcitt unterhalten haben, welche unter der


Jllustrirte Prachtwerke dos 1^5. und 1^6. Jahrhunderts.

„Schatzbehalter oder Schrein der wahren Reichtümer des Heils und ewiger
Seligkeit," dessen große Holztafeln biblische Ereignisse vorführen. Die Bild¬
werke dieses Buches müssen großen Beifall gefunden haben, da Koburger schon
zwei Jahre später ein noch viel umfangreicheres illustrirtes Prachtwerk heraus¬
gab: die Hartmann Schedelsche Weltchronik, die 1493 lateinisch, 1494 deutsch
erschien und eine Fülle und Mannichfaltigkeit an Holzschnitten bietet wie kein
andres Werk lange vor- und nachher. Das Titelbild zeigt den Lenker der Welt¬
geschichte, Gottvater, in reichem Gewände auf dem Wolkenthrone. Die Chronik
selbst gliedert sich in sechs Weltalter, und in jedem sind die hauptsächlichsten
historischen Ereignisse mit großen figurenreichen Kompositionen illustrirt.
Neben diesen große» Bildern enthält das Buch noch unzählige kleinere. Bei
jedem Weltalter find die Städte abgebildet, welche in der betreffenden Zeit ge¬
gründet wurden oder in besondrer Blüte standen. Man findet also cinßer
mehreren phantastischen Darstellungen eine ganze Reihe von geographisch treuen
Städteansichten. Außerdem verlangte das fünfzehnte Jahrhundert auch die
Porträts aller in der Erzählung hervortretenden Personen zu sehen. Und so
kommen als dritte Gruppe die Porträts hinzu, im ersten Weltalter die Brust¬
bilder sämtlicher Vorfahren Christi von Adam bis auf Lamech, im zweite» die
der ältesten Könige, im dritten die assyrische» Herrscher, die ägyptische» Pharaonen
und die griechischen Götter, die Sibyllen, die Helden des trojanischen Krieges,
die israelitischen Richter, im vierten die jüdischen Könige und Propheten, die
römischen Konsuln, die griechischen Gesetzgeber und Philosophen, im fünften
die Koryphäen der griechischen Wissenschaft und die römischen Feldherren, im
sechsten die jüdischen Statthalter, die römischen Kaiser und Dichter, die Bischöfe,
Heiligen, Ketzer, Päpste, deutsche» Kurfürsten, Herzöge und Ritter. Die Personen,
welche vorzüglich in die Geschichte eingegriffen haben, werden in ganzen Figuren
dargestellt. Der Wert der Holzschnitte ist verschieden. Unter den Städtebildern
zeigen die großen Ansichten von Nürnberg, Erfurt, Straßburg, Würzburg,
Venedig und Florenz die originellste Auffassung. Unter den Porträts sind
die ganzfigurigen sorgfältig behandelt, während die kleinen Brustbilder keinen
Anspruch auf besondern Wert machen. Wie bei den außereuropäischen Stüdte-
bildern Ninive gerade so aussah wie Korinth. Damaskus, Neapel, so muß man
sich auch bei den kleinen Porträts gar mancherlei bieten lassen. Der Mann,
den man zuerst als Hektor gesehen hatte, mit blödem Gesicht, kurzgeschornem
Haar und faltigem Mantel, erscheint zugleich als Jonas, Pittakus, Zeno,
Terentius und Ketzer Valentinian. Die Darstellung des Paris — ein Mann
mit einem bis an den Hals zugeknöpften Mantel und einem Buch in der
Hand — hatte schon von Anfang an für diesen schlecht gepaßt. Dafür eignet
sie sich um so besser für Micha, Epimenides, Neemias, Epikurus, den Ketzer
Mareion, den Johannes Damaseenus. Für die Ausführung im Schnitt wird
Koburger eine eigene Formschneiderwerkstcitt unterhalten haben, welche unter der


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[0144] Jllustrirte Prachtwerke dos 1^5. und 1^6. Jahrhunderts. „Schatzbehalter oder Schrein der wahren Reichtümer des Heils und ewiger Seligkeit," dessen große Holztafeln biblische Ereignisse vorführen. Die Bild¬ werke dieses Buches müssen großen Beifall gefunden haben, da Koburger schon zwei Jahre später ein noch viel umfangreicheres illustrirtes Prachtwerk heraus¬ gab: die Hartmann Schedelsche Weltchronik, die 1493 lateinisch, 1494 deutsch erschien und eine Fülle und Mannichfaltigkeit an Holzschnitten bietet wie kein andres Werk lange vor- und nachher. Das Titelbild zeigt den Lenker der Welt¬ geschichte, Gottvater, in reichem Gewände auf dem Wolkenthrone. Die Chronik selbst gliedert sich in sechs Weltalter, und in jedem sind die hauptsächlichsten historischen Ereignisse mit großen figurenreichen Kompositionen illustrirt. Neben diesen große» Bildern enthält das Buch noch unzählige kleinere. Bei jedem Weltalter find die Städte abgebildet, welche in der betreffenden Zeit ge¬ gründet wurden oder in besondrer Blüte standen. Man findet also cinßer mehreren phantastischen Darstellungen eine ganze Reihe von geographisch treuen Städteansichten. Außerdem verlangte das fünfzehnte Jahrhundert auch die Porträts aller in der Erzählung hervortretenden Personen zu sehen. Und so kommen als dritte Gruppe die Porträts hinzu, im ersten Weltalter die Brust¬ bilder sämtlicher Vorfahren Christi von Adam bis auf Lamech, im zweite» die der ältesten Könige, im dritten die assyrische» Herrscher, die ägyptische» Pharaonen und die griechischen Götter, die Sibyllen, die Helden des trojanischen Krieges, die israelitischen Richter, im vierten die jüdischen Könige und Propheten, die römischen Konsuln, die griechischen Gesetzgeber und Philosophen, im fünften die Koryphäen der griechischen Wissenschaft und die römischen Feldherren, im sechsten die jüdischen Statthalter, die römischen Kaiser und Dichter, die Bischöfe, Heiligen, Ketzer, Päpste, deutsche» Kurfürsten, Herzöge und Ritter. Die Personen, welche vorzüglich in die Geschichte eingegriffen haben, werden in ganzen Figuren dargestellt. Der Wert der Holzschnitte ist verschieden. Unter den Städtebildern zeigen die großen Ansichten von Nürnberg, Erfurt, Straßburg, Würzburg, Venedig und Florenz die originellste Auffassung. Unter den Porträts sind die ganzfigurigen sorgfältig behandelt, während die kleinen Brustbilder keinen Anspruch auf besondern Wert machen. Wie bei den außereuropäischen Stüdte- bildern Ninive gerade so aussah wie Korinth. Damaskus, Neapel, so muß man sich auch bei den kleinen Porträts gar mancherlei bieten lassen. Der Mann, den man zuerst als Hektor gesehen hatte, mit blödem Gesicht, kurzgeschornem Haar und faltigem Mantel, erscheint zugleich als Jonas, Pittakus, Zeno, Terentius und Ketzer Valentinian. Die Darstellung des Paris — ein Mann mit einem bis an den Hals zugeknöpften Mantel und einem Buch in der Hand — hatte schon von Anfang an für diesen schlecht gepaßt. Dafür eignet sie sich um so besser für Micha, Epimenides, Neemias, Epikurus, den Ketzer Mareion, den Johannes Damaseenus. Für die Ausführung im Schnitt wird Koburger eine eigene Formschneiderwerkstcitt unterhalten haben, welche unter der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/144>, abgerufen am 08.09.2024.