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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Sie Grafen von Altenschwerdt.

oder war es wirklich etwas fremdes, was auf dem Kreise lastete. Es kam ihr
so vor, als schwebten über der Abendtafel schwere Wolken, aus denen jeden
Augenblick der Blitz in blendender Flamme herabzucken könne. Dietrich empfand
die veränderte Stimmung seiner Mutter und war durch das vorhergegangene
Gespräch noch in Anspruch genommen, sodaß seine Unterhaltung eine rein äußer¬
liche blieb, und nur Baron Sextus und der alte General zeigten sich nicht von
der Gewitterschwüle beeinflußt, die auf der Gesellschaft lagerte.

Der Baron erzählte von dem kleinen Abenteuer, welches Veranlassung zu
der Bekanntschaft mit Eberhardt geführt hatte, und Dietrich sprach in konven¬
tioneller Weise von der Natürlichkeit und dem wackern Sinn, den man doch im
allgemeinen unter der Landbevölkerung dieser Provinz antreffe.

Da fagte Eberhardt: Im allgemeinen mag das wohl richtig sein, aber ich
habe, abgesehen von jener Begegnung mit dem dreisten Bauernburschen, noch
eine andre Erfahrung machen müssen, welche mich bezweifeln läßt, ob sich die
ländliche Bevölkerung in Wirklichkeit vor der städtischen auszeichnet. Gerade
heute machte ich die Erfahrung, und sie ist die Ursache meiner Verspätung
gewesen.

Dorothea sah ihn erwartungsvoll an, und er erzählte, indem er dabei seinen
Blick mit beharrlicher Festigkeit auf der Grüfiu Gesicht richtete: Man hat ver¬
gangene Nacht deu Versuch gemacht, mich zu berauben. Ein Mann, der mit der
Einrichtung meiner Wohnung in dem kleinen, einfachen Gasthause zu Scholldorf
genau bekannt sein muß, ist dort eingebrochen und hat den Versuch gemacht,
mir einen Gegenstand, auf den ich bedeutenden Wert lege, zu entwenden. Es
ist mir schwer begreiflich, wie er dazu gekommen ist, denn sicherlich hätte er,
wenn ihm sein Diebstahl gelungen wäre, keinen Gebrauch vou dem Gegenstande
machen können, ohne entdeckt zu werden.

Was war es? fragte der Baron.

Wertpapiere und Dokumente, entgegnete Eberhardt. Zum Glück gelang
dem Einbrecher sein Plan nicht. Der alte Diener, den ich bei mir habe und
der mir, in langer Zeit erprobt, mehr Freund als Diener ist, hatte das Ge¬
räusch des Einsteigens vernommen und den Dieb verscheucht. Ich fürchte, der
Mann ist dabei übel weggekommen, denn mein schwarzer Freund hat eine
eherne Faust und scheint den Eindringling, der sich bereits im Besitze der be¬
treffenden Kassette befand, mit unsanften Griff erfaßt zu haben, wie die Blut¬
spuren unter dem Fenster vermuten lassen.

Und warum hat er den Kerl nicht festgehalten? fragte der Baron.

Es stecken eigentümliche Rechtsanschauungen in dem alten, guten Andrew,
die er wohl aus Amerika oder vielleicht noch aus Afrika mitgebracht hat, eine
Vorliebe für die Praxis des Richters Lynch. Er ließ den Dieb nichts mit¬
nehmen als ein paar derbe Püffe und beruhigte sich dann dabei. Ja er hat
mich nicht einmal geweckt, und sagte, als ich ihm darüber Vorwürfe machte, daß


Sie Grafen von Altenschwerdt.

oder war es wirklich etwas fremdes, was auf dem Kreise lastete. Es kam ihr
so vor, als schwebten über der Abendtafel schwere Wolken, aus denen jeden
Augenblick der Blitz in blendender Flamme herabzucken könne. Dietrich empfand
die veränderte Stimmung seiner Mutter und war durch das vorhergegangene
Gespräch noch in Anspruch genommen, sodaß seine Unterhaltung eine rein äußer¬
liche blieb, und nur Baron Sextus und der alte General zeigten sich nicht von
der Gewitterschwüle beeinflußt, die auf der Gesellschaft lagerte.

Der Baron erzählte von dem kleinen Abenteuer, welches Veranlassung zu
der Bekanntschaft mit Eberhardt geführt hatte, und Dietrich sprach in konven¬
tioneller Weise von der Natürlichkeit und dem wackern Sinn, den man doch im
allgemeinen unter der Landbevölkerung dieser Provinz antreffe.

Da fagte Eberhardt: Im allgemeinen mag das wohl richtig sein, aber ich
habe, abgesehen von jener Begegnung mit dem dreisten Bauernburschen, noch
eine andre Erfahrung machen müssen, welche mich bezweifeln läßt, ob sich die
ländliche Bevölkerung in Wirklichkeit vor der städtischen auszeichnet. Gerade
heute machte ich die Erfahrung, und sie ist die Ursache meiner Verspätung
gewesen.

Dorothea sah ihn erwartungsvoll an, und er erzählte, indem er dabei seinen
Blick mit beharrlicher Festigkeit auf der Grüfiu Gesicht richtete: Man hat ver¬
gangene Nacht deu Versuch gemacht, mich zu berauben. Ein Mann, der mit der
Einrichtung meiner Wohnung in dem kleinen, einfachen Gasthause zu Scholldorf
genau bekannt sein muß, ist dort eingebrochen und hat den Versuch gemacht,
mir einen Gegenstand, auf den ich bedeutenden Wert lege, zu entwenden. Es
ist mir schwer begreiflich, wie er dazu gekommen ist, denn sicherlich hätte er,
wenn ihm sein Diebstahl gelungen wäre, keinen Gebrauch vou dem Gegenstande
machen können, ohne entdeckt zu werden.

Was war es? fragte der Baron.

Wertpapiere und Dokumente, entgegnete Eberhardt. Zum Glück gelang
dem Einbrecher sein Plan nicht. Der alte Diener, den ich bei mir habe und
der mir, in langer Zeit erprobt, mehr Freund als Diener ist, hatte das Ge¬
räusch des Einsteigens vernommen und den Dieb verscheucht. Ich fürchte, der
Mann ist dabei übel weggekommen, denn mein schwarzer Freund hat eine
eherne Faust und scheint den Eindringling, der sich bereits im Besitze der be¬
treffenden Kassette befand, mit unsanften Griff erfaßt zu haben, wie die Blut¬
spuren unter dem Fenster vermuten lassen.

Und warum hat er den Kerl nicht festgehalten? fragte der Baron.

Es stecken eigentümliche Rechtsanschauungen in dem alten, guten Andrew,
die er wohl aus Amerika oder vielleicht noch aus Afrika mitgebracht hat, eine
Vorliebe für die Praxis des Richters Lynch. Er ließ den Dieb nichts mit¬
nehmen als ein paar derbe Püffe und beruhigte sich dann dabei. Ja er hat
mich nicht einmal geweckt, und sagte, als ich ihm darüber Vorwürfe machte, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/99>, abgerufen am 03.07.2024.