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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

das Klirren eines zerbrechenden Glases. Gräfin Sibylle hatte mit auffallender
Ungeschicklichkeit den zarten Kelch, den sie soeben erhoben, in den Fingern zer¬
drückt, sodaß der dunkle Wein sich über das Weiße Tuch ergoß.

Es entstand eine kleine Bewegung, weil sie von diesem Ereignis unge¬
wöhnlich erregt zu werden schien, dann stellte der Baron Herrn Eschenburg
seinen neuen Freunden vor. Mit einem seltsamen Blick, traurig und forschend,
wie es Dorothea erschien, betrachtete Eberhard: die Gräfin und ihren Sohn,
dann nahm er an der rechten Seite Dorotheens Platz, wo ihm der Baron
zwischen seiner Tochter und dem General einen Stuhl hatte hinsetzen lassen.

Dorotheens Gesicht ward von einem brennenden Rot überzogen, indem alle
ihre widerstreitenden Gefühle mit einemmale zu einer Krisis zu kommen schienen
und ihr das Blut in einer einzigen mächtigen Welle durch die Adern triebe".

Es gab einen schönen Sonnenuntergang, Herr Eschenburg, sagte der Baron,
und ich vermute, irgend eine Klippe am Meere hat Sie festgehalten und uns
Ihre angenehme Gesellschaft entzogen.

Es war in der That eine Klippe, entgegnete er, und ich muß sehr um
Entschuldigung bitten, daß ich es wage, so spät noch zu erscheinen. Doch die liebens¬
würdige Gastfreundschaft Ihres Hauses hat mich verwöhnt und anspruchsvoll
gemacht.

Dorothea betrachtete ihn aufmerksam. Der Klang seiner Stimme hatte
etwas fremdes, und in seinen Zügen lag ein Ausdruck, der ihr neu war. Em¬
pfand er mit demselben Instinkt wie sie die Anwesenheit der Altenschwerdts als
eine Gefahr?

Herr Eschenburg würdigt unsre Gegend seines Besuchs, um sie in Ölfarben
zu verherrlichen, sagte der Baron erklärend zu Gräfin Sibylle. Wir sind ihm,
meine Tochter und ich, zu großer Dankbarkeit verbunden für die Aufopferung,
mit der er unsre Abgeschiedenheit, zumal während meiner Krankheit, geteilt hat.

Gräfin Sibylle hatte ihre Fassung wiedergewonnen und sagte, daß es unter
allen Umständen eine Ehre und ein Vergnügen sei, die Gesellschaft des Herrn
Barons und seiner Tochter zu teilen. Sie behielt eine sehr geschlossene Miene
bei, einen: Ritter gleich, der das Visir zum Kampfe heruntergeschlagen hat, doch
ihre Augen sprühten ein Licht, das von innerer Aufregung sprach.

Die Unterhaltung wurde, Dank der Gewandtheit des Generals, ununter¬
brochen fortgesetzt, doch zeigte sie nicht mehr die frühere Unbefangenheit. Es
schien ein eisiger Hauch über die Tafel hingestrichen zu sein, der die leichten
Schwingen der Worte lähmte. Die Gräfin war einsilbig und betrachtete mit
gespannter Aufmerksamkeit die Gruppe ihr gegenüber, Dorothea mit dem Grafen
Dietrich zur Linken und Eberhard: zur Rechten. Dorothea ward durch diesen
Zwang in der Unterhaltung in eine wunderliche Empfindung gedrängt. Sie
wußte nicht, war es nur das Bewußtsein der Gewalt, welche sie sich selbst an¬
thun mußte, um nicht ihr Entzücken über Eberhardts Gegenwart zu verraten,


Die Grafen von Altenschwerdt.

das Klirren eines zerbrechenden Glases. Gräfin Sibylle hatte mit auffallender
Ungeschicklichkeit den zarten Kelch, den sie soeben erhoben, in den Fingern zer¬
drückt, sodaß der dunkle Wein sich über das Weiße Tuch ergoß.

Es entstand eine kleine Bewegung, weil sie von diesem Ereignis unge¬
wöhnlich erregt zu werden schien, dann stellte der Baron Herrn Eschenburg
seinen neuen Freunden vor. Mit einem seltsamen Blick, traurig und forschend,
wie es Dorothea erschien, betrachtete Eberhard: die Gräfin und ihren Sohn,
dann nahm er an der rechten Seite Dorotheens Platz, wo ihm der Baron
zwischen seiner Tochter und dem General einen Stuhl hatte hinsetzen lassen.

Dorotheens Gesicht ward von einem brennenden Rot überzogen, indem alle
ihre widerstreitenden Gefühle mit einemmale zu einer Krisis zu kommen schienen
und ihr das Blut in einer einzigen mächtigen Welle durch die Adern triebe».

Es gab einen schönen Sonnenuntergang, Herr Eschenburg, sagte der Baron,
und ich vermute, irgend eine Klippe am Meere hat Sie festgehalten und uns
Ihre angenehme Gesellschaft entzogen.

Es war in der That eine Klippe, entgegnete er, und ich muß sehr um
Entschuldigung bitten, daß ich es wage, so spät noch zu erscheinen. Doch die liebens¬
würdige Gastfreundschaft Ihres Hauses hat mich verwöhnt und anspruchsvoll
gemacht.

Dorothea betrachtete ihn aufmerksam. Der Klang seiner Stimme hatte
etwas fremdes, und in seinen Zügen lag ein Ausdruck, der ihr neu war. Em¬
pfand er mit demselben Instinkt wie sie die Anwesenheit der Altenschwerdts als
eine Gefahr?

Herr Eschenburg würdigt unsre Gegend seines Besuchs, um sie in Ölfarben
zu verherrlichen, sagte der Baron erklärend zu Gräfin Sibylle. Wir sind ihm,
meine Tochter und ich, zu großer Dankbarkeit verbunden für die Aufopferung,
mit der er unsre Abgeschiedenheit, zumal während meiner Krankheit, geteilt hat.

Gräfin Sibylle hatte ihre Fassung wiedergewonnen und sagte, daß es unter
allen Umständen eine Ehre und ein Vergnügen sei, die Gesellschaft des Herrn
Barons und seiner Tochter zu teilen. Sie behielt eine sehr geschlossene Miene
bei, einen: Ritter gleich, der das Visir zum Kampfe heruntergeschlagen hat, doch
ihre Augen sprühten ein Licht, das von innerer Aufregung sprach.

Die Unterhaltung wurde, Dank der Gewandtheit des Generals, ununter¬
brochen fortgesetzt, doch zeigte sie nicht mehr die frühere Unbefangenheit. Es
schien ein eisiger Hauch über die Tafel hingestrichen zu sein, der die leichten
Schwingen der Worte lähmte. Die Gräfin war einsilbig und betrachtete mit
gespannter Aufmerksamkeit die Gruppe ihr gegenüber, Dorothea mit dem Grafen
Dietrich zur Linken und Eberhard: zur Rechten. Dorothea ward durch diesen
Zwang in der Unterhaltung in eine wunderliche Empfindung gedrängt. Sie
wußte nicht, war es nur das Bewußtsein der Gewalt, welche sie sich selbst an¬
thun mußte, um nicht ihr Entzücken über Eberhardts Gegenwart zu verraten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/98>, abgerufen am 01.07.2024.