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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Gin Bildnis des jungen Schiller.

Kasseler Akademiedirektor (s 1789 in Kassel), gemalt worden. Tischbein wurde, als
der Ruf der "Räuber" nach Kassel gedrungen war, von dem Landgrafen Friedrich II.
(f 1785) nach Stuttgart gesandt, um ein Porträt des zu so schneller Berühmt¬
heit gelangten jugendliche" Dichters anzufertigen. In Kassel fand das Bild seinen
Platz in der Porträtgalerie des landgräflichen Schlosses. Bei einem später im
Schlosse ausgebrochenen Brande wurde es mit andern Bildern zum Fenster
hinausgeworfen und gelangte, als es darauf unter den beschädigten Gemälden
mit verauktionirt wurde, in die Hände eines niedern Hofbeamten. In dessen
Familie entdeckte es bei Gelegenheit eines Krankenbesuchs der Geh. Sanitätsrat
Dr. Schmidt in Kassel, der gegenwärtige Besitzer, welcher der Verlagshandlung
auf ihre Bitte die photographische Vervielfältigung des Bildes gestattete.

Sind die Angaben über die Entstehung des Bildes richtig -- und es liegt
kein Grund vor, dies zu bezweifeln, wiewohl es auffällig ist, daß wir von der
merkwürdigen Thatsache, daß ein Fürst nach dem Bildnis des Dichters der
"Räuber" verlangte, sonst keine Kunde haben --, so würde das Bild etwa Ende
1781 oder Anfang 1782 entstanden sein. Die "Räuber" erschienen im Juni
1781 im Druck, am 13. Januar 1782 faud in Mannheim die erste Auffüh¬
rung statt, am 22. September 1782 floh Schiller aus Stuttgart. Hiermit
sind die Grenzen der mutmaßlichen Entstehungszeit des Bildes gegeben. Das
Bild zeigt also den Dichter im Alter von etwa 22 Jahren.

Was für die Betrachtung und Beurteilung des Bildes von größter Wichtig¬
keit ist, das ist der Umstand, daß wir es mit zwei Schilderungen von Schillers
äußerer Erscheinung vergleichen können, die von zwei Jugendfreunden des Dich¬
ters, Scharffenstein und Streicher, herrühren und Eindrücke wiedergeben, welche
genau aus derselben Zeit stammen wie das Tischbeinsche Porträt. In der sehr
eingehenden Beschreibung Scharffeusteius sind es folgende Züge, die für unser
Porträt von Bedeutung sind: "Sein Hals war sehr lang, seine Stirn breit, seine
Nase dünn, knorpelig, weiß von Farbe, in einem merklich scharfen Winkel hervor¬
springend, sehr gebogen auf Papageienart und spitzig. Die roten Augenbrauen
über deu tiefliegenden dunkelgrauen Augen neigten sich bei der Nasenwurzel nahe
zusammen. Diese Partie hatte viel Ausdruck; die Lippen waren dünn, die
untere etwas vorragend; es schien aber, wenn Schiller mit Gefühl sprach, als
wenn die Begeisterung ihr diese Richtung gegeben hätte, und sie drückte sehr
viel Energie aus. Das Kinn war stark, die Wangen waren blaß, eher ein¬
gefallen als voll, die Augen meistens inflammirt. Das buschige Haupthaar
war rot, von der dunkleren Art. Der ganze Kopf, der eher geistermäßig als
männlich war, hatte viel Bedeutendes, Energisches, auch in der Ruhe, und war
ganz affektvolle Sprache, wenn Schiller deklamirte." Viehoff stellt nun zwar in seiner
Biographie Schillers diesem Scharffensteinschen Bilde, welches ihm etwas karitirt
erscheint, als "das edlere und vielleicht auch treuere" das von Streicher ent¬
worfene gegenüber, in welchem unter andern "die schön geformte Nase und der


Gin Bildnis des jungen Schiller.

Kasseler Akademiedirektor (s 1789 in Kassel), gemalt worden. Tischbein wurde, als
der Ruf der „Räuber" nach Kassel gedrungen war, von dem Landgrafen Friedrich II.
(f 1785) nach Stuttgart gesandt, um ein Porträt des zu so schneller Berühmt¬
heit gelangten jugendliche» Dichters anzufertigen. In Kassel fand das Bild seinen
Platz in der Porträtgalerie des landgräflichen Schlosses. Bei einem später im
Schlosse ausgebrochenen Brande wurde es mit andern Bildern zum Fenster
hinausgeworfen und gelangte, als es darauf unter den beschädigten Gemälden
mit verauktionirt wurde, in die Hände eines niedern Hofbeamten. In dessen
Familie entdeckte es bei Gelegenheit eines Krankenbesuchs der Geh. Sanitätsrat
Dr. Schmidt in Kassel, der gegenwärtige Besitzer, welcher der Verlagshandlung
auf ihre Bitte die photographische Vervielfältigung des Bildes gestattete.

Sind die Angaben über die Entstehung des Bildes richtig — und es liegt
kein Grund vor, dies zu bezweifeln, wiewohl es auffällig ist, daß wir von der
merkwürdigen Thatsache, daß ein Fürst nach dem Bildnis des Dichters der
„Räuber" verlangte, sonst keine Kunde haben —, so würde das Bild etwa Ende
1781 oder Anfang 1782 entstanden sein. Die „Räuber" erschienen im Juni
1781 im Druck, am 13. Januar 1782 faud in Mannheim die erste Auffüh¬
rung statt, am 22. September 1782 floh Schiller aus Stuttgart. Hiermit
sind die Grenzen der mutmaßlichen Entstehungszeit des Bildes gegeben. Das
Bild zeigt also den Dichter im Alter von etwa 22 Jahren.

Was für die Betrachtung und Beurteilung des Bildes von größter Wichtig¬
keit ist, das ist der Umstand, daß wir es mit zwei Schilderungen von Schillers
äußerer Erscheinung vergleichen können, die von zwei Jugendfreunden des Dich¬
ters, Scharffenstein und Streicher, herrühren und Eindrücke wiedergeben, welche
genau aus derselben Zeit stammen wie das Tischbeinsche Porträt. In der sehr
eingehenden Beschreibung Scharffeusteius sind es folgende Züge, die für unser
Porträt von Bedeutung sind: „Sein Hals war sehr lang, seine Stirn breit, seine
Nase dünn, knorpelig, weiß von Farbe, in einem merklich scharfen Winkel hervor¬
springend, sehr gebogen auf Papageienart und spitzig. Die roten Augenbrauen
über deu tiefliegenden dunkelgrauen Augen neigten sich bei der Nasenwurzel nahe
zusammen. Diese Partie hatte viel Ausdruck; die Lippen waren dünn, die
untere etwas vorragend; es schien aber, wenn Schiller mit Gefühl sprach, als
wenn die Begeisterung ihr diese Richtung gegeben hätte, und sie drückte sehr
viel Energie aus. Das Kinn war stark, die Wangen waren blaß, eher ein¬
gefallen als voll, die Augen meistens inflammirt. Das buschige Haupthaar
war rot, von der dunkleren Art. Der ganze Kopf, der eher geistermäßig als
männlich war, hatte viel Bedeutendes, Energisches, auch in der Ruhe, und war
ganz affektvolle Sprache, wenn Schiller deklamirte." Viehoff stellt nun zwar in seiner
Biographie Schillers diesem Scharffensteinschen Bilde, welches ihm etwas karitirt
erscheint, als „das edlere und vielleicht auch treuere" das von Streicher ent¬
worfene gegenüber, in welchem unter andern „die schön geformte Nase und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/91>, abgerufen am 03.07.2024.