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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Lin Bildnis des jungen Schiller,

tiefe, kühne Adlerblick, der unter einer brcitgewölbten Stirne hervorleuchtete,
das anfänglich blasse Aussehen, das im Verfolg des Gesprächs in hohe Röte
überging, die kranken Augen, die kunstlos zurückgelegten Haare, der entblößte
blendend weiße Hals" Erwähnung finden. Angesichts des Tischbeinschen Bildes
jedoch nötigt uns die detaillirte Schilderung Scharffenfteins den höchsten Respekt
ab; sie stimmt in solchem Grade mit unserm Bilde überein, daß man, wenn
man eine sorgfältige Beschreibung des letztem geben wollte, kaum etwas andres
sagen könnte, als was Scharffenstein fagt. Daß diese wunderbare Übereinstim¬
mung umgekehrt auch wieder ein vorzügliches Zeugnis sür die Treue von Tisch¬
beins Arbeit ist, ist selbstverständlich.

Nur einige wenige Bemerkungen möchten wir zu den Schilderungen der
beiden Jugendfreunde Schillers hinzufügen. Der erstere spricht von einer breiten,
der letztere von einer breitgewölbten, keiner von beiden von einer hohen Stirn.
Die Breite wird nun an unserm Bilde wegen der Profilstellung des Kopfes nicht
sichtbar; auffällig ist aber die verhältnismäßig niedrige Stirn, die an manchen schönen
Kopf der antiken Plastik erinnert und die von dem vollen, halblangen, buschigen
Haar, welches wie mit dem Fingerkamm nach beiden Seiten zurückgestrichen erscheint,
in ihrem obern Teile beschattet ist. Das Auge -- nur das rechte kommt in Frage,
das linke scheint mißlungen -- liegt tief, der Backenknochen tritt etwas über die
schmale Wange vor, sodaß der Kopf den Eindruck vorausgegangner angespannter
Geistesarbeit macht. Fein modellirt ist das Ohr, der lange Hals geschickt da¬
durch maskirt, daß der geöffnete Kragen des Hemdes am Nacken fast bis hinauf
an das Haar reicht. Den ganzen Ausdruck des Kopfes aber kann man nicht
bester bezeichnen als mit den Worten Streichers, der von dem "seelenvollsten,
anspruchslosesten Gesicht" des Freundes spricht und rühmt, daß er "den Jahren
nach Jüngling, dem Geiste nach ein reifer Mann" gewesen sei. Es liegt eine
wunderbare Verschmelzung von jugendlichem Feuer und männlicher Reife in
diesen Zügen, und mit der geistigen Hoheit verbindet sich eine Wärme und
Innerlichkeit des seelischen Ausdrucks, die um so unwiderstehlicher fesselt, je länger
man sich ihrem Anschauen überläßt. Die Frage, ob Schiller "schön" oder
"häßlich" gewesen sei, erscheint diesem Bilde gegenüber in ihrer ganzen Müßig¬
keit. Wenn dies Gesicht nicht schön ist, welches Gesicht wäre dann schon?

Tischbeins Bildnis des jungen Schiller wird fortan in der kleinen Reihe
authentischer Schillerporträts, die überhaupt vorhanden sind -- Phantasiebilder
giebt es in Hülle und Fülle -- einen hervorragenden Platz einnehmen, umso-
niehr, da es den Dichter auf derjenigen Stufe seines Lebens zeigt, auf der er
zum erstenmale vor die Nation trat. Während wir von Goethe vor seiner Wei¬
marer Zeit kein zuverlässiges Bild haben und für den Dichter des "Götz," des
"Clcivigo," des "Werther," des "Egmont" und des ersten "Faust" -- wie
F. Zarncke in dem eben erschienenen vierten Bande des Goethejahrbuches des
näheren nachweist -- fast nur auf unbedeutende Zeichnungen und Silhouetten an-


Lin Bildnis des jungen Schiller,

tiefe, kühne Adlerblick, der unter einer brcitgewölbten Stirne hervorleuchtete,
das anfänglich blasse Aussehen, das im Verfolg des Gesprächs in hohe Röte
überging, die kranken Augen, die kunstlos zurückgelegten Haare, der entblößte
blendend weiße Hals" Erwähnung finden. Angesichts des Tischbeinschen Bildes
jedoch nötigt uns die detaillirte Schilderung Scharffenfteins den höchsten Respekt
ab; sie stimmt in solchem Grade mit unserm Bilde überein, daß man, wenn
man eine sorgfältige Beschreibung des letztem geben wollte, kaum etwas andres
sagen könnte, als was Scharffenstein fagt. Daß diese wunderbare Übereinstim¬
mung umgekehrt auch wieder ein vorzügliches Zeugnis sür die Treue von Tisch¬
beins Arbeit ist, ist selbstverständlich.

Nur einige wenige Bemerkungen möchten wir zu den Schilderungen der
beiden Jugendfreunde Schillers hinzufügen. Der erstere spricht von einer breiten,
der letztere von einer breitgewölbten, keiner von beiden von einer hohen Stirn.
Die Breite wird nun an unserm Bilde wegen der Profilstellung des Kopfes nicht
sichtbar; auffällig ist aber die verhältnismäßig niedrige Stirn, die an manchen schönen
Kopf der antiken Plastik erinnert und die von dem vollen, halblangen, buschigen
Haar, welches wie mit dem Fingerkamm nach beiden Seiten zurückgestrichen erscheint,
in ihrem obern Teile beschattet ist. Das Auge — nur das rechte kommt in Frage,
das linke scheint mißlungen — liegt tief, der Backenknochen tritt etwas über die
schmale Wange vor, sodaß der Kopf den Eindruck vorausgegangner angespannter
Geistesarbeit macht. Fein modellirt ist das Ohr, der lange Hals geschickt da¬
durch maskirt, daß der geöffnete Kragen des Hemdes am Nacken fast bis hinauf
an das Haar reicht. Den ganzen Ausdruck des Kopfes aber kann man nicht
bester bezeichnen als mit den Worten Streichers, der von dem „seelenvollsten,
anspruchslosesten Gesicht" des Freundes spricht und rühmt, daß er „den Jahren
nach Jüngling, dem Geiste nach ein reifer Mann" gewesen sei. Es liegt eine
wunderbare Verschmelzung von jugendlichem Feuer und männlicher Reife in
diesen Zügen, und mit der geistigen Hoheit verbindet sich eine Wärme und
Innerlichkeit des seelischen Ausdrucks, die um so unwiderstehlicher fesselt, je länger
man sich ihrem Anschauen überläßt. Die Frage, ob Schiller „schön" oder
„häßlich" gewesen sei, erscheint diesem Bilde gegenüber in ihrer ganzen Müßig¬
keit. Wenn dies Gesicht nicht schön ist, welches Gesicht wäre dann schon?

Tischbeins Bildnis des jungen Schiller wird fortan in der kleinen Reihe
authentischer Schillerporträts, die überhaupt vorhanden sind — Phantasiebilder
giebt es in Hülle und Fülle — einen hervorragenden Platz einnehmen, umso-
niehr, da es den Dichter auf derjenigen Stufe seines Lebens zeigt, auf der er
zum erstenmale vor die Nation trat. Während wir von Goethe vor seiner Wei¬
marer Zeit kein zuverlässiges Bild haben und für den Dichter des „Götz," des
„Clcivigo," des „Werther," des „Egmont" und des ersten „Faust" — wie
F. Zarncke in dem eben erschienenen vierten Bande des Goethejahrbuches des
näheren nachweist — fast nur auf unbedeutende Zeichnungen und Silhouetten an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/92>, abgerufen am 01.07.2024.