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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zum Raffael-Jubil-inen.

daß es in der That in einigen Fällen schwierig ist, die Originale von den
Wiederholniigen zu unterscheiden, umsomehr, als es feststeht, daß Raffael schon
frühzeitig, bereits in den letzten Jahren seines Florentiner Aufenthalts, seinen
Gehilfen die Vorarbeit und die Ausführung gewisser Teile an seinen Gemälde"
überließ. In einem Briefe an Francia, dem er sein eigenhändig gemaltes Bildnis
versprochen hatte, vom 5. September 1508 entschuldigt er die entstandene Ver¬
zögerung mit "seinen wichtigen und ununterbrochenen Beschäftigungen." "Wohl
hätte ich es Euch von einem meiner Schüler gemacht und von mir übergangen schicken
können, allein dasziemtsich nicht." In einem Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte
Raffael also schon eine so große Berühmtheit erlangt, daß er zur Bewältigung der
ihm gemachten Bestellungen die Hilfe von Schülern in Anspruch nehmen mußte.
Und in der That hat man an einigen der während der Jahre 1506 bis 1608
entstandenen Bilder Raffaels fremde Mitwirkung erkannt, so z. B. an der herr¬
lichen Madonna Colonna im Berliner Museum, welche obendrein unvollendet ge¬
blieben ist. Man muß annehmen, daß während seiner römischen Zeit in Raffaels
Atelier eine ähnliche Thätigkeit herrschte wie bei Rubens in Antwerpen. Die
Schüler legten die Bildnisse nach den Zeichnungen des Meisters an, förderten
sie bis zu einem gewissen Stadium und dann überging sie Raffael. So erklärt
es sich, daß von manchen Madonnen Raffaels, z. B. von der Madonna mit den
Kandelabern, zwei oder drei fast gleichwertige Exemplare vorkommen, von denen
jedes vor dem andern bestimmte Vorzüge hat. Vasari erzählt z. B., daß an
dem berühmten Bildnis der schönen Johanna von Arragonien, der Gemahlin
des Counetable von Neapel, Asccmio Colonna, nnr der Kopf von Raffael, alles
übrige von Giulio Romano gemalt sei. Nach urkundlichen Zeugnissen scheint
aber auch dieses nicht einmal festzustehen. Raffael hat die Fürstin garnicht
gesehen, sondern einen seiner Schüler nach Neapel geschickt, welcher dieselbe
zeichnete. Nach dieser Zeichnung wurde dann das Porträt, wie sich denken läßt,
ziemlich handwerksmäßig ausgeführt', und dem widerspricht auch nicht der Cha¬
rakter des Bildes, an welchem das rotbraune Sammetkleid und die Hände eigent¬
lich das schönste sind. Und diese Hände scheinen nicht einmal Porträt zu sein,
da dieselben, wie Springer hervorhebt, in der Form an jene der Donna ve>
lata erinnern, also vermutlich jener Persönlichkeit, die zu Raffael in engen Be¬
ziehungen stand und in seinem Hause lebte.

Das Werk Raffaels kann von allen fremden Zuthaten auf dem schnellsten
Wege nur durch eine Konfrontation aller ihm zugeschriebene" Gemälde und
Zeichnungen gereinigt werden. Eine solche Konfrontation ist aber nur ein
schöner Traum, da dieselbe "ur in Rom stattfinden könnte und kein Besitzer
eines Raffael sein kostbares Gut den Zufälligkeiten eines Eisenbahntransportes
anvertrauen würde, umsoweniger, als die durch seine Bereitwilligkeit bewerk¬
stelligte Konfrontation eine Enttäuschung für ihn mit sich bringen könnte. Durch
eine Ausstellung von Photographien nach den wirklichen und vermeintlichen


Zum Raffael-Jubil-inen.

daß es in der That in einigen Fällen schwierig ist, die Originale von den
Wiederholniigen zu unterscheiden, umsomehr, als es feststeht, daß Raffael schon
frühzeitig, bereits in den letzten Jahren seines Florentiner Aufenthalts, seinen
Gehilfen die Vorarbeit und die Ausführung gewisser Teile an seinen Gemälde»
überließ. In einem Briefe an Francia, dem er sein eigenhändig gemaltes Bildnis
versprochen hatte, vom 5. September 1508 entschuldigt er die entstandene Ver¬
zögerung mit „seinen wichtigen und ununterbrochenen Beschäftigungen." „Wohl
hätte ich es Euch von einem meiner Schüler gemacht und von mir übergangen schicken
können, allein dasziemtsich nicht." In einem Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte
Raffael also schon eine so große Berühmtheit erlangt, daß er zur Bewältigung der
ihm gemachten Bestellungen die Hilfe von Schülern in Anspruch nehmen mußte.
Und in der That hat man an einigen der während der Jahre 1506 bis 1608
entstandenen Bilder Raffaels fremde Mitwirkung erkannt, so z. B. an der herr¬
lichen Madonna Colonna im Berliner Museum, welche obendrein unvollendet ge¬
blieben ist. Man muß annehmen, daß während seiner römischen Zeit in Raffaels
Atelier eine ähnliche Thätigkeit herrschte wie bei Rubens in Antwerpen. Die
Schüler legten die Bildnisse nach den Zeichnungen des Meisters an, förderten
sie bis zu einem gewissen Stadium und dann überging sie Raffael. So erklärt
es sich, daß von manchen Madonnen Raffaels, z. B. von der Madonna mit den
Kandelabern, zwei oder drei fast gleichwertige Exemplare vorkommen, von denen
jedes vor dem andern bestimmte Vorzüge hat. Vasari erzählt z. B., daß an
dem berühmten Bildnis der schönen Johanna von Arragonien, der Gemahlin
des Counetable von Neapel, Asccmio Colonna, nnr der Kopf von Raffael, alles
übrige von Giulio Romano gemalt sei. Nach urkundlichen Zeugnissen scheint
aber auch dieses nicht einmal festzustehen. Raffael hat die Fürstin garnicht
gesehen, sondern einen seiner Schüler nach Neapel geschickt, welcher dieselbe
zeichnete. Nach dieser Zeichnung wurde dann das Porträt, wie sich denken läßt,
ziemlich handwerksmäßig ausgeführt', und dem widerspricht auch nicht der Cha¬
rakter des Bildes, an welchem das rotbraune Sammetkleid und die Hände eigent¬
lich das schönste sind. Und diese Hände scheinen nicht einmal Porträt zu sein,
da dieselben, wie Springer hervorhebt, in der Form an jene der Donna ve>
lata erinnern, also vermutlich jener Persönlichkeit, die zu Raffael in engen Be¬
ziehungen stand und in seinem Hause lebte.

Das Werk Raffaels kann von allen fremden Zuthaten auf dem schnellsten
Wege nur durch eine Konfrontation aller ihm zugeschriebene« Gemälde und
Zeichnungen gereinigt werden. Eine solche Konfrontation ist aber nur ein
schöner Traum, da dieselbe »ur in Rom stattfinden könnte und kein Besitzer
eines Raffael sein kostbares Gut den Zufälligkeiten eines Eisenbahntransportes
anvertrauen würde, umsoweniger, als die durch seine Bereitwilligkeit bewerk¬
stelligte Konfrontation eine Enttäuschung für ihn mit sich bringen könnte. Durch
eine Ausstellung von Photographien nach den wirklichen und vermeintlichen


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[0088] Zum Raffael-Jubil-inen. daß es in der That in einigen Fällen schwierig ist, die Originale von den Wiederholniigen zu unterscheiden, umsomehr, als es feststeht, daß Raffael schon frühzeitig, bereits in den letzten Jahren seines Florentiner Aufenthalts, seinen Gehilfen die Vorarbeit und die Ausführung gewisser Teile an seinen Gemälde» überließ. In einem Briefe an Francia, dem er sein eigenhändig gemaltes Bildnis versprochen hatte, vom 5. September 1508 entschuldigt er die entstandene Ver¬ zögerung mit „seinen wichtigen und ununterbrochenen Beschäftigungen." „Wohl hätte ich es Euch von einem meiner Schüler gemacht und von mir übergangen schicken können, allein dasziemtsich nicht." In einem Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte Raffael also schon eine so große Berühmtheit erlangt, daß er zur Bewältigung der ihm gemachten Bestellungen die Hilfe von Schülern in Anspruch nehmen mußte. Und in der That hat man an einigen der während der Jahre 1506 bis 1608 entstandenen Bilder Raffaels fremde Mitwirkung erkannt, so z. B. an der herr¬ lichen Madonna Colonna im Berliner Museum, welche obendrein unvollendet ge¬ blieben ist. Man muß annehmen, daß während seiner römischen Zeit in Raffaels Atelier eine ähnliche Thätigkeit herrschte wie bei Rubens in Antwerpen. Die Schüler legten die Bildnisse nach den Zeichnungen des Meisters an, förderten sie bis zu einem gewissen Stadium und dann überging sie Raffael. So erklärt es sich, daß von manchen Madonnen Raffaels, z. B. von der Madonna mit den Kandelabern, zwei oder drei fast gleichwertige Exemplare vorkommen, von denen jedes vor dem andern bestimmte Vorzüge hat. Vasari erzählt z. B., daß an dem berühmten Bildnis der schönen Johanna von Arragonien, der Gemahlin des Counetable von Neapel, Asccmio Colonna, nnr der Kopf von Raffael, alles übrige von Giulio Romano gemalt sei. Nach urkundlichen Zeugnissen scheint aber auch dieses nicht einmal festzustehen. Raffael hat die Fürstin garnicht gesehen, sondern einen seiner Schüler nach Neapel geschickt, welcher dieselbe zeichnete. Nach dieser Zeichnung wurde dann das Porträt, wie sich denken läßt, ziemlich handwerksmäßig ausgeführt', und dem widerspricht auch nicht der Cha¬ rakter des Bildes, an welchem das rotbraune Sammetkleid und die Hände eigent¬ lich das schönste sind. Und diese Hände scheinen nicht einmal Porträt zu sein, da dieselben, wie Springer hervorhebt, in der Form an jene der Donna ve> lata erinnern, also vermutlich jener Persönlichkeit, die zu Raffael in engen Be¬ ziehungen stand und in seinem Hause lebte. Das Werk Raffaels kann von allen fremden Zuthaten auf dem schnellsten Wege nur durch eine Konfrontation aller ihm zugeschriebene« Gemälde und Zeichnungen gereinigt werden. Eine solche Konfrontation ist aber nur ein schöner Traum, da dieselbe »ur in Rom stattfinden könnte und kein Besitzer eines Raffael sein kostbares Gut den Zufälligkeiten eines Eisenbahntransportes anvertrauen würde, umsoweniger, als die durch seine Bereitwilligkeit bewerk¬ stelligte Konfrontation eine Enttäuschung für ihn mit sich bringen könnte. Durch eine Ausstellung von Photographien nach den wirklichen und vermeintlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/88>, abgerufen am 03.07.2024.