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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zum Raffael-Jubiläum.

Raffael wirklich ein einem Charfreitage geboren und gestorben, so würde der
Kardinal Bembo nicht unterlassen haben, auf dieses Zusammentreffen in der
Grabschrift aufmerksam zu machen, das für ihn, den Geistlichen, noch ungleich
auffallender und merkwürdiger sein mußte, als wenn nur die Monatsdaten
beide male zusammengetroffen wären. Wenn "och Basari, welcher seine Notizen
über Raffael dreißig Jahre nach dessen Tode sammelte, etwas von zwei Char-
freitagen erfuhr, so hätte doch auch Bembo, der Freund Raffaels, welcher die
Grabschrift unmittelbar nach dem Tode des Künstlers verfaßte, von diesem eigen¬
tümlichen Zufall Kunde haben müssen. Angesichts der klaren und bestimmten
Angabe der Grabschrift, daß Raffael am 6. April geboren und gestorben ist,
würde es, wie schon Thausing bemerkt hat, gegen alle Regeln der historischen
Kritik verstoßen, wollte man sich in dieser Frage auf die Seite Vasaris stellen,
dessen abweichende Angabe aus einer falschen Interpretation der Grabschrift
hervorgegangen ist, indem er statt des 6. April den Charfreitag betonte und
infolge dessen auf den unrichtigen Geburtstag verfiel.

Auch sonst ist Vasari in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse Raffaels
kein zuverlässiger Gewährsmann. Obwohl er, der Freund und Parteigänger
Michelangelos, dessen Werk eigentlich in der Glorifikation seines Stadtgenossen
gipfelt, sichtlich bestrebt ist, dem großen Rivalen Michelangelos alle Gerechtig¬
keit widerfahren zu lassen, hat er kritiklos alles nachgebetet, was ihm die Künstler
in Rom erzählten, als er fast dreißig Jahre nach dem Tode Raffaels die
Materialien für seine Biographien sammelte. So führt Vasari die plötzliche
Erkrankung Raffaels, welche die Ursache seines Todes wurde, auf seine über¬
mäßigen Ausschweifungen in der Liebe zurück. An einer andern Stelle sagt er
aber, daß Raffael seiner Geliebten bis zu seinem Tode treu blieb und daß diese
Geliebte auch in seinem Hause wohnte. Wir erfahren von ihm ferner, daß er
sie kurz vor seinem Tode aus seinem Hanse führen ließ, vermutlich in der Ab¬
sicht, sie vor Unbill und Kränkungen zu schützen, und daß er sie der Sorgfalt
seines Lehrlings Baviera anvertraute, nachdem er ihr testamentarisch eine Summe
zum anständigen Leben ausgesetzt. Diese Details widersprechen der summarischen
Angabe Vasaris, und noch bestimmter widerspricht ihnen die Mitteilung eines
am 7. April 1520 geschriebenen Briefes von Alfonso Pauluzzi, in welchem es
ohne jede Nebenbemerkung heißt: "Raphael von Urbino ist an einem anhaltenden
und hitzigen Fieber gestorben, welches ihn schon vor acht Tagen überfallen hatte."
Aber es kommt hier nicht darauf an, den sittlichen Charakter Raffaels, welcher
sich auch in seinen wenigen, uns erhaltenen Briefen kundgiebt, gegen Vasari zu
verteidigen, sondern zwei Gemälde zu betrachten, die mit den Liebschaften Raffaels
in Verbindung gebracht worden sind. Das eine derselben ist die sogenannte
"Fornarina," welche in mehreren Exemplaren existirt, deren bestes sich in der
Galerie des Palazzo Barberini in Rom befindet, das andre die sogenannte
"Donna velata," die Dame mit dem Schleier, im Palazzo Pitti in Florenz.


Zum Raffael-Jubiläum.

Raffael wirklich ein einem Charfreitage geboren und gestorben, so würde der
Kardinal Bembo nicht unterlassen haben, auf dieses Zusammentreffen in der
Grabschrift aufmerksam zu machen, das für ihn, den Geistlichen, noch ungleich
auffallender und merkwürdiger sein mußte, als wenn nur die Monatsdaten
beide male zusammengetroffen wären. Wenn »och Basari, welcher seine Notizen
über Raffael dreißig Jahre nach dessen Tode sammelte, etwas von zwei Char-
freitagen erfuhr, so hätte doch auch Bembo, der Freund Raffaels, welcher die
Grabschrift unmittelbar nach dem Tode des Künstlers verfaßte, von diesem eigen¬
tümlichen Zufall Kunde haben müssen. Angesichts der klaren und bestimmten
Angabe der Grabschrift, daß Raffael am 6. April geboren und gestorben ist,
würde es, wie schon Thausing bemerkt hat, gegen alle Regeln der historischen
Kritik verstoßen, wollte man sich in dieser Frage auf die Seite Vasaris stellen,
dessen abweichende Angabe aus einer falschen Interpretation der Grabschrift
hervorgegangen ist, indem er statt des 6. April den Charfreitag betonte und
infolge dessen auf den unrichtigen Geburtstag verfiel.

Auch sonst ist Vasari in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse Raffaels
kein zuverlässiger Gewährsmann. Obwohl er, der Freund und Parteigänger
Michelangelos, dessen Werk eigentlich in der Glorifikation seines Stadtgenossen
gipfelt, sichtlich bestrebt ist, dem großen Rivalen Michelangelos alle Gerechtig¬
keit widerfahren zu lassen, hat er kritiklos alles nachgebetet, was ihm die Künstler
in Rom erzählten, als er fast dreißig Jahre nach dem Tode Raffaels die
Materialien für seine Biographien sammelte. So führt Vasari die plötzliche
Erkrankung Raffaels, welche die Ursache seines Todes wurde, auf seine über¬
mäßigen Ausschweifungen in der Liebe zurück. An einer andern Stelle sagt er
aber, daß Raffael seiner Geliebten bis zu seinem Tode treu blieb und daß diese
Geliebte auch in seinem Hause wohnte. Wir erfahren von ihm ferner, daß er
sie kurz vor seinem Tode aus seinem Hanse führen ließ, vermutlich in der Ab¬
sicht, sie vor Unbill und Kränkungen zu schützen, und daß er sie der Sorgfalt
seines Lehrlings Baviera anvertraute, nachdem er ihr testamentarisch eine Summe
zum anständigen Leben ausgesetzt. Diese Details widersprechen der summarischen
Angabe Vasaris, und noch bestimmter widerspricht ihnen die Mitteilung eines
am 7. April 1520 geschriebenen Briefes von Alfonso Pauluzzi, in welchem es
ohne jede Nebenbemerkung heißt: „Raphael von Urbino ist an einem anhaltenden
und hitzigen Fieber gestorben, welches ihn schon vor acht Tagen überfallen hatte."
Aber es kommt hier nicht darauf an, den sittlichen Charakter Raffaels, welcher
sich auch in seinen wenigen, uns erhaltenen Briefen kundgiebt, gegen Vasari zu
verteidigen, sondern zwei Gemälde zu betrachten, die mit den Liebschaften Raffaels
in Verbindung gebracht worden sind. Das eine derselben ist die sogenannte
„Fornarina," welche in mehreren Exemplaren existirt, deren bestes sich in der
Galerie des Palazzo Barberini in Rom befindet, das andre die sogenannte
„Donna velata," die Dame mit dem Schleier, im Palazzo Pitti in Florenz.


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[0083] Zum Raffael-Jubiläum. Raffael wirklich ein einem Charfreitage geboren und gestorben, so würde der Kardinal Bembo nicht unterlassen haben, auf dieses Zusammentreffen in der Grabschrift aufmerksam zu machen, das für ihn, den Geistlichen, noch ungleich auffallender und merkwürdiger sein mußte, als wenn nur die Monatsdaten beide male zusammengetroffen wären. Wenn »och Basari, welcher seine Notizen über Raffael dreißig Jahre nach dessen Tode sammelte, etwas von zwei Char- freitagen erfuhr, so hätte doch auch Bembo, der Freund Raffaels, welcher die Grabschrift unmittelbar nach dem Tode des Künstlers verfaßte, von diesem eigen¬ tümlichen Zufall Kunde haben müssen. Angesichts der klaren und bestimmten Angabe der Grabschrift, daß Raffael am 6. April geboren und gestorben ist, würde es, wie schon Thausing bemerkt hat, gegen alle Regeln der historischen Kritik verstoßen, wollte man sich in dieser Frage auf die Seite Vasaris stellen, dessen abweichende Angabe aus einer falschen Interpretation der Grabschrift hervorgegangen ist, indem er statt des 6. April den Charfreitag betonte und infolge dessen auf den unrichtigen Geburtstag verfiel. Auch sonst ist Vasari in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse Raffaels kein zuverlässiger Gewährsmann. Obwohl er, der Freund und Parteigänger Michelangelos, dessen Werk eigentlich in der Glorifikation seines Stadtgenossen gipfelt, sichtlich bestrebt ist, dem großen Rivalen Michelangelos alle Gerechtig¬ keit widerfahren zu lassen, hat er kritiklos alles nachgebetet, was ihm die Künstler in Rom erzählten, als er fast dreißig Jahre nach dem Tode Raffaels die Materialien für seine Biographien sammelte. So führt Vasari die plötzliche Erkrankung Raffaels, welche die Ursache seines Todes wurde, auf seine über¬ mäßigen Ausschweifungen in der Liebe zurück. An einer andern Stelle sagt er aber, daß Raffael seiner Geliebten bis zu seinem Tode treu blieb und daß diese Geliebte auch in seinem Hause wohnte. Wir erfahren von ihm ferner, daß er sie kurz vor seinem Tode aus seinem Hanse führen ließ, vermutlich in der Ab¬ sicht, sie vor Unbill und Kränkungen zu schützen, und daß er sie der Sorgfalt seines Lehrlings Baviera anvertraute, nachdem er ihr testamentarisch eine Summe zum anständigen Leben ausgesetzt. Diese Details widersprechen der summarischen Angabe Vasaris, und noch bestimmter widerspricht ihnen die Mitteilung eines am 7. April 1520 geschriebenen Briefes von Alfonso Pauluzzi, in welchem es ohne jede Nebenbemerkung heißt: „Raphael von Urbino ist an einem anhaltenden und hitzigen Fieber gestorben, welches ihn schon vor acht Tagen überfallen hatte." Aber es kommt hier nicht darauf an, den sittlichen Charakter Raffaels, welcher sich auch in seinen wenigen, uns erhaltenen Briefen kundgiebt, gegen Vasari zu verteidigen, sondern zwei Gemälde zu betrachten, die mit den Liebschaften Raffaels in Verbindung gebracht worden sind. Das eine derselben ist die sogenannte „Fornarina," welche in mehreren Exemplaren existirt, deren bestes sich in der Galerie des Palazzo Barberini in Rom befindet, das andre die sogenannte „Donna velata," die Dame mit dem Schleier, im Palazzo Pitti in Florenz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/83>, abgerufen am 03.07.2024.