Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Raffael-Jubiläum.

das Haus der Fornarina, der angeblichen Geliebten Raffaels, illuminirt haben?
Die wissenschaftliche Forschung ist an den Veranstaltern der nationalen Feiern
in Rom und in Urbino spurlos vorübergegangen. Selbst in Urbino lautet die
Inschrift an dem Geburtshause des Meisters: "In diesem kleinen Hause ist der
ausgezeichnete Maler Raffael am 6. April 1483 geboren worden" (Ua,of sse
opt. la. M. NOOXXOIII), und doch haben sich die Urbinaten dadurch
nicht stören lassen, ebenfalls den 28. März als den Geburtstag Raffaels zu
feiern.

An und für sich wird für die Wertschätzung des Meisters und für den
Genuß an seinen Werken nichts gewonnen, wenn man den Tag seiner Geburt
berichtigt und die "Fornarina," die schöne Bäckerin, als eine Erfindung des
siebzehnten Jahrhunderts, aus seiner Biographie verweist. Aber an die Ent¬
scheidung dieser Fragen knüpfen sich andre, welche von größerer Wichtigkeit sind.
Zunächst die Kardinalfrage nach der Zuverlässigkeit Vasaris, auf dessen Autorität
allein sich die Verfechter des 28. März stützen. Man braucht nur die An¬
merkungen und die Kommentare zur neuesten Vasariansgabe Milancsis flüchtig
durchzublättern, und man wird staunen über die Flüchtigkeit und die Unzuver-
lässigkeit dieses Künstlerbiographen, der fast immer im Unrecht ist, wo sich seine
Angaben mit den Urkunden konfrontiren lassen, und der selbst dann, wenn er
die Wahrheit sagt, dieselbe Flüchtigkeit und Konfusion zur Schau trägt, welche
uun einmal das Verhängnis aller schriftstellernden Künstler bis ans unsre Tage
zu sein scheint.

Vasari schreibt über den Todestag Raffaels: "Er beendigte den Lauf seines
Lebens an demselben Tage, an welchem er geboren wurde und welcher der Char-
freitag war" und zwei Seiten später teilt er die noch heute im Pantheon am
Grabe Raffaels befindliche, vom Kardinal Pietro Bembo verfaßte lateinische
Grabschrift mit, in welcher es heißt: Vixit an. XXXVII. intsgör intöZros.
Huo ale naws We, so söff ässiit VIII. la. ^.xril. NVXX (d. h. Er lebte
37 ganze Jahre ganz aus.*) An demselben Tage, an welchem er geboren wurde,
hörte er auf zu sein, am 6. April 1520). Raffael starb an einem Charfrei-
tage, und auf Grund dieser Inschrift, deren klarer Wortlaut keine doppelsinnige
Interpretation zuläßt, ließ Vasari den Künstler auch an einem Charfreitage
geboren werden, ohne an die Beweglichkeit der Osterrechnung zu denken. Wäre



*) Diese (Thausingsche) Übersetzung trifft schwerlich den Sinn des Verfassers der In¬
schrift. IntsMr von der Person gebraucht heißt rein, lauter, makellos (vgl. das all¬
bekannte horazische Intsgor vitg,s, an welches Bembo mit seinem intgg-rum vivorv offenbar
gedacht hat), von der Sache gebraucht ganz, unversehrt, vollständig. Das Wortspiel,
das also in der Inschrift liegt, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Der Sinn der
Worte aber ist ohne Zweifel: Makellos lebte er genau 37 Jahre. D. Red.
Zum Raffael-Jubiläum.

das Haus der Fornarina, der angeblichen Geliebten Raffaels, illuminirt haben?
Die wissenschaftliche Forschung ist an den Veranstaltern der nationalen Feiern
in Rom und in Urbino spurlos vorübergegangen. Selbst in Urbino lautet die
Inschrift an dem Geburtshause des Meisters: „In diesem kleinen Hause ist der
ausgezeichnete Maler Raffael am 6. April 1483 geboren worden" (Ua,of sse
opt. la. M. NOOXXOIII), und doch haben sich die Urbinaten dadurch
nicht stören lassen, ebenfalls den 28. März als den Geburtstag Raffaels zu
feiern.

An und für sich wird für die Wertschätzung des Meisters und für den
Genuß an seinen Werken nichts gewonnen, wenn man den Tag seiner Geburt
berichtigt und die „Fornarina," die schöne Bäckerin, als eine Erfindung des
siebzehnten Jahrhunderts, aus seiner Biographie verweist. Aber an die Ent¬
scheidung dieser Fragen knüpfen sich andre, welche von größerer Wichtigkeit sind.
Zunächst die Kardinalfrage nach der Zuverlässigkeit Vasaris, auf dessen Autorität
allein sich die Verfechter des 28. März stützen. Man braucht nur die An¬
merkungen und die Kommentare zur neuesten Vasariansgabe Milancsis flüchtig
durchzublättern, und man wird staunen über die Flüchtigkeit und die Unzuver-
lässigkeit dieses Künstlerbiographen, der fast immer im Unrecht ist, wo sich seine
Angaben mit den Urkunden konfrontiren lassen, und der selbst dann, wenn er
die Wahrheit sagt, dieselbe Flüchtigkeit und Konfusion zur Schau trägt, welche
uun einmal das Verhängnis aller schriftstellernden Künstler bis ans unsre Tage
zu sein scheint.

Vasari schreibt über den Todestag Raffaels: „Er beendigte den Lauf seines
Lebens an demselben Tage, an welchem er geboren wurde und welcher der Char-
freitag war" und zwei Seiten später teilt er die noch heute im Pantheon am
Grabe Raffaels befindliche, vom Kardinal Pietro Bembo verfaßte lateinische
Grabschrift mit, in welcher es heißt: Vixit an. XXXVII. intsgör intöZros.
Huo ale naws We, so söff ässiit VIII. la. ^.xril. NVXX (d. h. Er lebte
37 ganze Jahre ganz aus.*) An demselben Tage, an welchem er geboren wurde,
hörte er auf zu sein, am 6. April 1520). Raffael starb an einem Charfrei-
tage, und auf Grund dieser Inschrift, deren klarer Wortlaut keine doppelsinnige
Interpretation zuläßt, ließ Vasari den Künstler auch an einem Charfreitage
geboren werden, ohne an die Beweglichkeit der Osterrechnung zu denken. Wäre



*) Diese (Thausingsche) Übersetzung trifft schwerlich den Sinn des Verfassers der In¬
schrift. IntsMr von der Person gebraucht heißt rein, lauter, makellos (vgl. das all¬
bekannte horazische Intsgor vitg,s, an welches Bembo mit seinem intgg-rum vivorv offenbar
gedacht hat), von der Sache gebraucht ganz, unversehrt, vollständig. Das Wortspiel,
das also in der Inschrift liegt, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Der Sinn der
Worte aber ist ohne Zweifel: Makellos lebte er genau 37 Jahre. D. Red.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152839"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Raffael-Jubiläum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_285" prev="#ID_284"> das Haus der Fornarina, der angeblichen Geliebten Raffaels, illuminirt haben?<lb/>
Die wissenschaftliche Forschung ist an den Veranstaltern der nationalen Feiern<lb/>
in Rom und in Urbino spurlos vorübergegangen. Selbst in Urbino lautet die<lb/>
Inschrift an dem Geburtshause des Meisters: &#x201E;In diesem kleinen Hause ist der<lb/>
ausgezeichnete Maler Raffael am 6. April 1483 geboren worden" (Ua,of sse<lb/>
opt. la. M. NOOXXOIII), und doch haben sich die Urbinaten dadurch<lb/>
nicht stören lassen, ebenfalls den 28. März als den Geburtstag Raffaels zu<lb/>
feiern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286"> An und für sich wird für die Wertschätzung des Meisters und für den<lb/>
Genuß an seinen Werken nichts gewonnen, wenn man den Tag seiner Geburt<lb/>
berichtigt und die &#x201E;Fornarina," die schöne Bäckerin, als eine Erfindung des<lb/>
siebzehnten Jahrhunderts, aus seiner Biographie verweist. Aber an die Ent¬<lb/>
scheidung dieser Fragen knüpfen sich andre, welche von größerer Wichtigkeit sind.<lb/>
Zunächst die Kardinalfrage nach der Zuverlässigkeit Vasaris, auf dessen Autorität<lb/>
allein sich die Verfechter des 28. März stützen. Man braucht nur die An¬<lb/>
merkungen und die Kommentare zur neuesten Vasariansgabe Milancsis flüchtig<lb/>
durchzublättern, und man wird staunen über die Flüchtigkeit und die Unzuver-<lb/>
lässigkeit dieses Künstlerbiographen, der fast immer im Unrecht ist, wo sich seine<lb/>
Angaben mit den Urkunden konfrontiren lassen, und der selbst dann, wenn er<lb/>
die Wahrheit sagt, dieselbe Flüchtigkeit und Konfusion zur Schau trägt, welche<lb/>
uun einmal das Verhängnis aller schriftstellernden Künstler bis ans unsre Tage<lb/>
zu sein scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_287" next="#ID_288"> Vasari schreibt über den Todestag Raffaels: &#x201E;Er beendigte den Lauf seines<lb/>
Lebens an demselben Tage, an welchem er geboren wurde und welcher der Char-<lb/>
freitag war" und zwei Seiten später teilt er die noch heute im Pantheon am<lb/>
Grabe Raffaels befindliche, vom Kardinal Pietro Bembo verfaßte lateinische<lb/>
Grabschrift mit, in welcher es heißt: Vixit an. XXXVII. intsgör intöZros.<lb/>
Huo ale naws We, so söff ässiit VIII. la. ^.xril. NVXX (d. h. Er lebte<lb/>
37 ganze Jahre ganz aus.*) An demselben Tage, an welchem er geboren wurde,<lb/>
hörte er auf zu sein, am 6. April 1520). Raffael starb an einem Charfrei-<lb/>
tage, und auf Grund dieser Inschrift, deren klarer Wortlaut keine doppelsinnige<lb/>
Interpretation zuläßt, ließ Vasari den Künstler auch an einem Charfreitage<lb/>
geboren werden, ohne an die Beweglichkeit der Osterrechnung zu denken. Wäre</p><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot"> *) Diese (Thausingsche) Übersetzung trifft schwerlich den Sinn des Verfassers der In¬<lb/>
schrift. IntsMr von der Person gebraucht heißt rein, lauter, makellos (vgl. das all¬<lb/>
bekannte horazische Intsgor vitg,s, an welches Bembo mit seinem intgg-rum vivorv offenbar<lb/>
gedacht hat), von der Sache gebraucht ganz, unversehrt, vollständig. Das Wortspiel,<lb/>
das also in der Inschrift liegt, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Der Sinn der<lb/>
Worte aber ist ohne Zweifel: Makellos lebte er genau 37 Jahre.<note type="byline"> D. Red.</note></note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] Zum Raffael-Jubiläum. das Haus der Fornarina, der angeblichen Geliebten Raffaels, illuminirt haben? Die wissenschaftliche Forschung ist an den Veranstaltern der nationalen Feiern in Rom und in Urbino spurlos vorübergegangen. Selbst in Urbino lautet die Inschrift an dem Geburtshause des Meisters: „In diesem kleinen Hause ist der ausgezeichnete Maler Raffael am 6. April 1483 geboren worden" (Ua,of sse opt. la. M. NOOXXOIII), und doch haben sich die Urbinaten dadurch nicht stören lassen, ebenfalls den 28. März als den Geburtstag Raffaels zu feiern. An und für sich wird für die Wertschätzung des Meisters und für den Genuß an seinen Werken nichts gewonnen, wenn man den Tag seiner Geburt berichtigt und die „Fornarina," die schöne Bäckerin, als eine Erfindung des siebzehnten Jahrhunderts, aus seiner Biographie verweist. Aber an die Ent¬ scheidung dieser Fragen knüpfen sich andre, welche von größerer Wichtigkeit sind. Zunächst die Kardinalfrage nach der Zuverlässigkeit Vasaris, auf dessen Autorität allein sich die Verfechter des 28. März stützen. Man braucht nur die An¬ merkungen und die Kommentare zur neuesten Vasariansgabe Milancsis flüchtig durchzublättern, und man wird staunen über die Flüchtigkeit und die Unzuver- lässigkeit dieses Künstlerbiographen, der fast immer im Unrecht ist, wo sich seine Angaben mit den Urkunden konfrontiren lassen, und der selbst dann, wenn er die Wahrheit sagt, dieselbe Flüchtigkeit und Konfusion zur Schau trägt, welche uun einmal das Verhängnis aller schriftstellernden Künstler bis ans unsre Tage zu sein scheint. Vasari schreibt über den Todestag Raffaels: „Er beendigte den Lauf seines Lebens an demselben Tage, an welchem er geboren wurde und welcher der Char- freitag war" und zwei Seiten später teilt er die noch heute im Pantheon am Grabe Raffaels befindliche, vom Kardinal Pietro Bembo verfaßte lateinische Grabschrift mit, in welcher es heißt: Vixit an. XXXVII. intsgör intöZros. Huo ale naws We, so söff ässiit VIII. la. ^.xril. NVXX (d. h. Er lebte 37 ganze Jahre ganz aus.*) An demselben Tage, an welchem er geboren wurde, hörte er auf zu sein, am 6. April 1520). Raffael starb an einem Charfrei- tage, und auf Grund dieser Inschrift, deren klarer Wortlaut keine doppelsinnige Interpretation zuläßt, ließ Vasari den Künstler auch an einem Charfreitage geboren werden, ohne an die Beweglichkeit der Osterrechnung zu denken. Wäre *) Diese (Thausingsche) Übersetzung trifft schwerlich den Sinn des Verfassers der In¬ schrift. IntsMr von der Person gebraucht heißt rein, lauter, makellos (vgl. das all¬ bekannte horazische Intsgor vitg,s, an welches Bembo mit seinem intgg-rum vivorv offenbar gedacht hat), von der Sache gebraucht ganz, unversehrt, vollständig. Das Wortspiel, das also in der Inschrift liegt, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Der Sinn der Worte aber ist ohne Zweifel: Makellos lebte er genau 37 Jahre. D. Red.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/82>, abgerufen am 01.10.2024.