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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zum Raffael-Jubiläum.

Während Burckhardts "Cicerone" sowohl in der dritten als in der vierten,
von Dr. Bode besorgten Ausgabe nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit
der sogenannten "Fornarina" erhebt, sondern einerseits die eigenhändige Arbeit
Raffaels, andrerseits die "außerordentliche Leuchtkraft des Fleisches und selten
liebevolle Durchführung" hervorhebt, urteilt Springer schon kühler über das
Bild, welches bekanntlich eine römische Frau mit vollen, kräftigen Formen, aber
unedeln Gesichtszügen darstellt, deren Busen entblößt ist. An einem goldnen
Reife, welcher den linken Oberarm umspannt, liest man die Inschrift: Ku.plmsl
Urbirms, Springer tadelt, ganz im Gegensatze zu jenen Bemerkungen im "Cicerone,"
"das stumpfe Kolorit, die steife Haltung und das leblose, teilweise sogar formen¬
häßliche Gesicht." Springer, welcher, wie mir scheint, auf dem rechten Wege
ist, darf sich hinsichtlich seines Geschmackes auf einen alten Zeugen berufen.
Fabio Chigi, der nachmalige Papst Alexander VII. (1655--1667 Papst), urteilt
nämlich in seinem lateinischen Kommentar zum Leben des Agostino Chigi über
dieses Bild folgendermaßen: "Das nicht gerade sehr schöne, von ihm (Raffael)
selbst gemalte Bild seines Liebchens haben wir zu Rom im Hause des Herzogs
von Boneompagni gesehen, eine Figur vou natürlicher Größe; nur den linken
Arm ist ein dünnes Band gewunden, und darauf steht mit Goldbuchstaben der
Name LiixQiisl UMrms geschrieben." Ans andern Dokumenten steht urkundlich
fest, daß dieses Bild im Jahre 1576 in das Haus Boucompagui kam, als die
Tochter der Gräfin von Santa Fiora den Giacomo Boncompagni heiratete.
Im Jahre 1595 befand es sich wieder im Besitz der Gräfin von Santa Fiora.
Damals wurde es einfach in einem Briefe an Kaiser Rudolph II. als "nackte
Frau nach dem Leben gemalt in halber Figur von Raffael" genannt. 1642
befand es sich bereits im Palazzo Barberini und in einer Beschreibung der
römischen Galerien vom Jahre 1664 wird es als Raffaels eigenhändiges Porträt
seiner "Geliebten" bezeichnet. Der Name "Fornarina" wird aber nirgends er¬
wähnt. Die Pose des Modells und die Eigentumsbezeichnung auf dem Goldreif
hat vermutlich darauf geführt, daß dieses Bild die Geliebte Raffaels darstellen
müsse, und da im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts der Name "Fornarina"
auftauchte, stand die Identität fest.

Wie wäre es aber, wenn das Bild gar nicht von der Hand Raffaels
herrührte? Thausing hat in einer sehr gehaltvollen Rezension des Springerschen
Buches dem Gefühle, welches schon so manchen von diesem Bilde überkommen
hat, Ausdruck gegeben. Er schreibt: "Von Raffaels Hand ist es nicht, das zu
glauben verbieten schon die schweren braunen Schatten im Fleische, das verbietet
noch mehr die herzlich gemeine Auffassung des halbentblößten Körpers. Nein,
Raffael hätte selbst seiner Maitresse nicht seinen Namen so auffallend gleich
einem Hundehalsbande auf einen Reif an den nackten Oberarm gemalt. Der
Scherz sieht ihm nicht ähnlich." Thausing kommt zu dem Schlüsse, daß hier
die Arbeit eines Fälschers oder eines industriellen Schülers von Raffael vor-


Zum Raffael-Jubiläum.

Während Burckhardts „Cicerone" sowohl in der dritten als in der vierten,
von Dr. Bode besorgten Ausgabe nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit
der sogenannten „Fornarina" erhebt, sondern einerseits die eigenhändige Arbeit
Raffaels, andrerseits die „außerordentliche Leuchtkraft des Fleisches und selten
liebevolle Durchführung" hervorhebt, urteilt Springer schon kühler über das
Bild, welches bekanntlich eine römische Frau mit vollen, kräftigen Formen, aber
unedeln Gesichtszügen darstellt, deren Busen entblößt ist. An einem goldnen
Reife, welcher den linken Oberarm umspannt, liest man die Inschrift: Ku.plmsl
Urbirms, Springer tadelt, ganz im Gegensatze zu jenen Bemerkungen im „Cicerone,"
„das stumpfe Kolorit, die steife Haltung und das leblose, teilweise sogar formen¬
häßliche Gesicht." Springer, welcher, wie mir scheint, auf dem rechten Wege
ist, darf sich hinsichtlich seines Geschmackes auf einen alten Zeugen berufen.
Fabio Chigi, der nachmalige Papst Alexander VII. (1655—1667 Papst), urteilt
nämlich in seinem lateinischen Kommentar zum Leben des Agostino Chigi über
dieses Bild folgendermaßen: „Das nicht gerade sehr schöne, von ihm (Raffael)
selbst gemalte Bild seines Liebchens haben wir zu Rom im Hause des Herzogs
von Boneompagni gesehen, eine Figur vou natürlicher Größe; nur den linken
Arm ist ein dünnes Band gewunden, und darauf steht mit Goldbuchstaben der
Name LiixQiisl UMrms geschrieben." Ans andern Dokumenten steht urkundlich
fest, daß dieses Bild im Jahre 1576 in das Haus Boucompagui kam, als die
Tochter der Gräfin von Santa Fiora den Giacomo Boncompagni heiratete.
Im Jahre 1595 befand es sich wieder im Besitz der Gräfin von Santa Fiora.
Damals wurde es einfach in einem Briefe an Kaiser Rudolph II. als „nackte
Frau nach dem Leben gemalt in halber Figur von Raffael" genannt. 1642
befand es sich bereits im Palazzo Barberini und in einer Beschreibung der
römischen Galerien vom Jahre 1664 wird es als Raffaels eigenhändiges Porträt
seiner „Geliebten" bezeichnet. Der Name „Fornarina" wird aber nirgends er¬
wähnt. Die Pose des Modells und die Eigentumsbezeichnung auf dem Goldreif
hat vermutlich darauf geführt, daß dieses Bild die Geliebte Raffaels darstellen
müsse, und da im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts der Name „Fornarina"
auftauchte, stand die Identität fest.

Wie wäre es aber, wenn das Bild gar nicht von der Hand Raffaels
herrührte? Thausing hat in einer sehr gehaltvollen Rezension des Springerschen
Buches dem Gefühle, welches schon so manchen von diesem Bilde überkommen
hat, Ausdruck gegeben. Er schreibt: „Von Raffaels Hand ist es nicht, das zu
glauben verbieten schon die schweren braunen Schatten im Fleische, das verbietet
noch mehr die herzlich gemeine Auffassung des halbentblößten Körpers. Nein,
Raffael hätte selbst seiner Maitresse nicht seinen Namen so auffallend gleich
einem Hundehalsbande auf einen Reif an den nackten Oberarm gemalt. Der
Scherz sieht ihm nicht ähnlich." Thausing kommt zu dem Schlüsse, daß hier
die Arbeit eines Fälschers oder eines industriellen Schülers von Raffael vor-


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[0084] Zum Raffael-Jubiläum. Während Burckhardts „Cicerone" sowohl in der dritten als in der vierten, von Dr. Bode besorgten Ausgabe nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit der sogenannten „Fornarina" erhebt, sondern einerseits die eigenhändige Arbeit Raffaels, andrerseits die „außerordentliche Leuchtkraft des Fleisches und selten liebevolle Durchführung" hervorhebt, urteilt Springer schon kühler über das Bild, welches bekanntlich eine römische Frau mit vollen, kräftigen Formen, aber unedeln Gesichtszügen darstellt, deren Busen entblößt ist. An einem goldnen Reife, welcher den linken Oberarm umspannt, liest man die Inschrift: Ku.plmsl Urbirms, Springer tadelt, ganz im Gegensatze zu jenen Bemerkungen im „Cicerone," „das stumpfe Kolorit, die steife Haltung und das leblose, teilweise sogar formen¬ häßliche Gesicht." Springer, welcher, wie mir scheint, auf dem rechten Wege ist, darf sich hinsichtlich seines Geschmackes auf einen alten Zeugen berufen. Fabio Chigi, der nachmalige Papst Alexander VII. (1655—1667 Papst), urteilt nämlich in seinem lateinischen Kommentar zum Leben des Agostino Chigi über dieses Bild folgendermaßen: „Das nicht gerade sehr schöne, von ihm (Raffael) selbst gemalte Bild seines Liebchens haben wir zu Rom im Hause des Herzogs von Boneompagni gesehen, eine Figur vou natürlicher Größe; nur den linken Arm ist ein dünnes Band gewunden, und darauf steht mit Goldbuchstaben der Name LiixQiisl UMrms geschrieben." Ans andern Dokumenten steht urkundlich fest, daß dieses Bild im Jahre 1576 in das Haus Boucompagui kam, als die Tochter der Gräfin von Santa Fiora den Giacomo Boncompagni heiratete. Im Jahre 1595 befand es sich wieder im Besitz der Gräfin von Santa Fiora. Damals wurde es einfach in einem Briefe an Kaiser Rudolph II. als „nackte Frau nach dem Leben gemalt in halber Figur von Raffael" genannt. 1642 befand es sich bereits im Palazzo Barberini und in einer Beschreibung der römischen Galerien vom Jahre 1664 wird es als Raffaels eigenhändiges Porträt seiner „Geliebten" bezeichnet. Der Name „Fornarina" wird aber nirgends er¬ wähnt. Die Pose des Modells und die Eigentumsbezeichnung auf dem Goldreif hat vermutlich darauf geführt, daß dieses Bild die Geliebte Raffaels darstellen müsse, und da im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts der Name „Fornarina" auftauchte, stand die Identität fest. Wie wäre es aber, wenn das Bild gar nicht von der Hand Raffaels herrührte? Thausing hat in einer sehr gehaltvollen Rezension des Springerschen Buches dem Gefühle, welches schon so manchen von diesem Bilde überkommen hat, Ausdruck gegeben. Er schreibt: „Von Raffaels Hand ist es nicht, das zu glauben verbieten schon die schweren braunen Schatten im Fleische, das verbietet noch mehr die herzlich gemeine Auffassung des halbentblößten Körpers. Nein, Raffael hätte selbst seiner Maitresse nicht seinen Namen so auffallend gleich einem Hundehalsbande auf einen Reif an den nackten Oberarm gemalt. Der Scherz sieht ihm nicht ähnlich." Thausing kommt zu dem Schlüsse, daß hier die Arbeit eines Fälschers oder eines industriellen Schülers von Raffael vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/84>, abgerufen am 01.10.2024.