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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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England und dit! Ilmdagaskarfrage.

durch regelrechte Verträge bestätigt. Wenn die Konferenzen über diesen Punkt
nicht abgebrochen worden sind, so war es nur, weil die Gesandten der Hvvas
sich anheischig machte", uns die Forderungen zuzugestehen, welche wir zu er¬
zwingen berechtigt und entschlossen sind." Lord Granville erteilte den Gesandten
schließlich den Rat, ihre Regierung möge "sich der größten Vorsicht befleißigen
und keinen Schritt unternehmen, welcher Feindseligkeiten mit einer so mächtigen
Nation wie Frankreich zur Folge habe" könnte."

Dieser Rat ist gewiß beachtenswert. Wo indeß die Meinungsverschieden¬
heit zwischen zwei Regierungen so deutlich Hervortritt, kaun es jede Stunde zu
einem Kriege kommen, und Herr Ferry kaun Frankreich wieder in ein "Aben¬
teuer" stürzen. Madagaskar ist weit entferut, und England hat in Ägypten
alle Hände voll Arbeit. Es hat bis jetzt sicher keine Neigung, sich mit seinem
Nachbar im Süden in Streit einzulassen, selbst wenn es dessen Sache für eine
ungerechte und dem britischen Interesse (was wichtiger erscheinen wird) schädliche
ansieht. Daraus aber folgt noch keineswegs, daß Frankreich auf seinem Wege
zu einer neuen Eroberung alles glatt und beqnem finden wird. Auch die
Amerikaner haben Interessen in Madagaskar, und der französische Anspruch auf
den Nordwesten der Insel ist von ihnen ebenso wenig anerkannt worden als
von el"er ander" Nation. Branchen die Malagassen Waffen und Miuiitio",
so werde" englische ""d amerikanische Kaufleute sie gegen gute Bezahlung damit
versehen. Die weite Entfernung, das ungesunde Klima der Küsten, die kriege¬
rischen Eigenschaften der Hovas, die Unwegsamkeit der Gebirgsgegenden, alles
deutet auf die Wahrscheinlichkeit eines langen "ud verlustreiche" Feldzuges hin,
bevor die Franzosen ein Recht zur Geltung bringen können, welches "ihre Würde
wahrt," aber kaum eine" wirklichen, greifbare" Gewinn i" sich schließt.

Ohne Zweifel scheinen die Unglücksfälle und Verluste von 1870 und 1871
Frankreich auf eine Art Wiedergewinnung seiner alten Stellung hinzuweisen,
aber das Verlorne Prestige in Europa wird durch ein Bombardement von Orten
in halbbarbarischen Ländern nicht wiedergewonnen, und ein paar Forts, die
man dort erstürmt, können Metz und Sedan nicht wett machen. Doch das ist
Sache der Franzosen. Für die übrige Welt wird es el" Trost sei", daß, wenn
die gallische Ruhm- und Eroberungssucht sich in fernen Landen zu thun macht,
die Nachbarn mehr Hoffnung auf Erhaltung des Friedens gewinnen. Die harte
militärische Arbeit, welche die Bourbonen den Franzosen in Algier aufgebürdet
hatte", nötigte Ludwig Philipp, sich während seiner ganzen Regierungszeit in
Europa friedlich zu Verhalten, und der Krieg in Mexiko mit seinen militärischen
Verlusten und seinem unglückseligen Ausgange erklärt wohl zum guten Teile
die sonst fast unbegreifliche Unthätigkeit Napoleons III. während des deutschen
Krieges von 1866. Wir werde" vermutlich ein ähnliches Resultat der neuen
Kolonialpolitik Frankreichs erleben. Frankreich, das allenthalben in der Welt
weit draußen, in Toiiti", am Kongo, in Madagaskar seine Gewehre und Ge-


England und dit! Ilmdagaskarfrage.

durch regelrechte Verträge bestätigt. Wenn die Konferenzen über diesen Punkt
nicht abgebrochen worden sind, so war es nur, weil die Gesandten der Hvvas
sich anheischig machte», uns die Forderungen zuzugestehen, welche wir zu er¬
zwingen berechtigt und entschlossen sind." Lord Granville erteilte den Gesandten
schließlich den Rat, ihre Regierung möge „sich der größten Vorsicht befleißigen
und keinen Schritt unternehmen, welcher Feindseligkeiten mit einer so mächtigen
Nation wie Frankreich zur Folge habe» könnte."

Dieser Rat ist gewiß beachtenswert. Wo indeß die Meinungsverschieden¬
heit zwischen zwei Regierungen so deutlich Hervortritt, kaun es jede Stunde zu
einem Kriege kommen, und Herr Ferry kaun Frankreich wieder in ein „Aben¬
teuer" stürzen. Madagaskar ist weit entferut, und England hat in Ägypten
alle Hände voll Arbeit. Es hat bis jetzt sicher keine Neigung, sich mit seinem
Nachbar im Süden in Streit einzulassen, selbst wenn es dessen Sache für eine
ungerechte und dem britischen Interesse (was wichtiger erscheinen wird) schädliche
ansieht. Daraus aber folgt noch keineswegs, daß Frankreich auf seinem Wege
zu einer neuen Eroberung alles glatt und beqnem finden wird. Auch die
Amerikaner haben Interessen in Madagaskar, und der französische Anspruch auf
den Nordwesten der Insel ist von ihnen ebenso wenig anerkannt worden als
von el»er ander» Nation. Branchen die Malagassen Waffen und Miuiitio»,
so werde» englische »»d amerikanische Kaufleute sie gegen gute Bezahlung damit
versehen. Die weite Entfernung, das ungesunde Klima der Küsten, die kriege¬
rischen Eigenschaften der Hovas, die Unwegsamkeit der Gebirgsgegenden, alles
deutet auf die Wahrscheinlichkeit eines langen »ud verlustreiche» Feldzuges hin,
bevor die Franzosen ein Recht zur Geltung bringen können, welches „ihre Würde
wahrt," aber kaum eine» wirklichen, greifbare» Gewinn i» sich schließt.

Ohne Zweifel scheinen die Unglücksfälle und Verluste von 1870 und 1871
Frankreich auf eine Art Wiedergewinnung seiner alten Stellung hinzuweisen,
aber das Verlorne Prestige in Europa wird durch ein Bombardement von Orten
in halbbarbarischen Ländern nicht wiedergewonnen, und ein paar Forts, die
man dort erstürmt, können Metz und Sedan nicht wett machen. Doch das ist
Sache der Franzosen. Für die übrige Welt wird es el» Trost sei», daß, wenn
die gallische Ruhm- und Eroberungssucht sich in fernen Landen zu thun macht,
die Nachbarn mehr Hoffnung auf Erhaltung des Friedens gewinnen. Die harte
militärische Arbeit, welche die Bourbonen den Franzosen in Algier aufgebürdet
hatte», nötigte Ludwig Philipp, sich während seiner ganzen Regierungszeit in
Europa friedlich zu Verhalten, und der Krieg in Mexiko mit seinen militärischen
Verlusten und seinem unglückseligen Ausgange erklärt wohl zum guten Teile
die sonst fast unbegreifliche Unthätigkeit Napoleons III. während des deutschen
Krieges von 1866. Wir werde» vermutlich ein ähnliches Resultat der neuen
Kolonialpolitik Frankreichs erleben. Frankreich, das allenthalben in der Welt
weit draußen, in Toiiti», am Kongo, in Madagaskar seine Gewehre und Ge-


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[0071] England und dit! Ilmdagaskarfrage. durch regelrechte Verträge bestätigt. Wenn die Konferenzen über diesen Punkt nicht abgebrochen worden sind, so war es nur, weil die Gesandten der Hvvas sich anheischig machte», uns die Forderungen zuzugestehen, welche wir zu er¬ zwingen berechtigt und entschlossen sind." Lord Granville erteilte den Gesandten schließlich den Rat, ihre Regierung möge „sich der größten Vorsicht befleißigen und keinen Schritt unternehmen, welcher Feindseligkeiten mit einer so mächtigen Nation wie Frankreich zur Folge habe» könnte." Dieser Rat ist gewiß beachtenswert. Wo indeß die Meinungsverschieden¬ heit zwischen zwei Regierungen so deutlich Hervortritt, kaun es jede Stunde zu einem Kriege kommen, und Herr Ferry kaun Frankreich wieder in ein „Aben¬ teuer" stürzen. Madagaskar ist weit entferut, und England hat in Ägypten alle Hände voll Arbeit. Es hat bis jetzt sicher keine Neigung, sich mit seinem Nachbar im Süden in Streit einzulassen, selbst wenn es dessen Sache für eine ungerechte und dem britischen Interesse (was wichtiger erscheinen wird) schädliche ansieht. Daraus aber folgt noch keineswegs, daß Frankreich auf seinem Wege zu einer neuen Eroberung alles glatt und beqnem finden wird. Auch die Amerikaner haben Interessen in Madagaskar, und der französische Anspruch auf den Nordwesten der Insel ist von ihnen ebenso wenig anerkannt worden als von el»er ander» Nation. Branchen die Malagassen Waffen und Miuiitio», so werde» englische »»d amerikanische Kaufleute sie gegen gute Bezahlung damit versehen. Die weite Entfernung, das ungesunde Klima der Küsten, die kriege¬ rischen Eigenschaften der Hovas, die Unwegsamkeit der Gebirgsgegenden, alles deutet auf die Wahrscheinlichkeit eines langen »ud verlustreiche» Feldzuges hin, bevor die Franzosen ein Recht zur Geltung bringen können, welches „ihre Würde wahrt," aber kaum eine» wirklichen, greifbare» Gewinn i» sich schließt. Ohne Zweifel scheinen die Unglücksfälle und Verluste von 1870 und 1871 Frankreich auf eine Art Wiedergewinnung seiner alten Stellung hinzuweisen, aber das Verlorne Prestige in Europa wird durch ein Bombardement von Orten in halbbarbarischen Ländern nicht wiedergewonnen, und ein paar Forts, die man dort erstürmt, können Metz und Sedan nicht wett machen. Doch das ist Sache der Franzosen. Für die übrige Welt wird es el» Trost sei», daß, wenn die gallische Ruhm- und Eroberungssucht sich in fernen Landen zu thun macht, die Nachbarn mehr Hoffnung auf Erhaltung des Friedens gewinnen. Die harte militärische Arbeit, welche die Bourbonen den Franzosen in Algier aufgebürdet hatte», nötigte Ludwig Philipp, sich während seiner ganzen Regierungszeit in Europa friedlich zu Verhalten, und der Krieg in Mexiko mit seinen militärischen Verlusten und seinem unglückseligen Ausgange erklärt wohl zum guten Teile die sonst fast unbegreifliche Unthätigkeit Napoleons III. während des deutschen Krieges von 1866. Wir werde» vermutlich ein ähnliches Resultat der neuen Kolonialpolitik Frankreichs erleben. Frankreich, das allenthalben in der Welt weit draußen, in Toiiti», am Kongo, in Madagaskar seine Gewehre und Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/71>, abgerufen am 01.10.2024.