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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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schütze knallen läßt, wird "sich noch mehr als jetzt genötigt sehen, an seinen
Grenzen Ruhe zu halten, zumal da das gewaltige Phänomen eines Defensivbünd-
nisscs zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, welches neulich der
Minister Maneini der Welt verkündete, dies ganz besonders zu empfehlen ge¬
eignet ist.

Wenn die Römer zu Hause Ferien hatten, wurden wilde Dacier geschlachtet,
wenn Europa Frieden haben soll, müssen Malagassen und Tonkinesen hingemordet
werden. Es ist ein grausamer Trost für die Nationen, welche die Zivilisation
und das Christentum vertreten, aber es scheint nun einmal so geordnet. Ein
bischen Teufelei läuft in der Geschichte immer mit uuter.




Die ungarische Sprache.

in von ungefähr sechs Millionen Menschen gesprochene ungarische
Sprache, welche einem uns Deutschen stammverwandten Völkchen
gewaltsam aufgedrängt werdeu soll, zieht gegenwärtig, soweit die
deutsche Zunge klingt, so sehr ein allgemeines, fast politisch zu
nennendes Interesse ans sich, daß gewiß in vielen der Wunsch
rege geworden sein wird, eine Vorstellung von den Eigentümlichkeiten jener
Sprache zu bekommen. Die folgenden Zeilen wollen versuchen, einige der
wesentlichsten und interessantesten Seiten derselben in Kürze darzustellen.

Das Ungarische steht, als der großen, über hundert Glieder zählenden
turanischen Sprachsamilie und zwar der nördlichen Abteilung derselben angehörig,
den Sprachen des zivitisirten Europas mit Ausnahme von zweien fremd
gegenüber; diese zwei Verwandten sind das Türkische und das Finnische. Das
Gebiet aller drei umfaßt ungefähr zehn Millionen Menschen. Von bedeutenden
Literaturerzeuguißen hat nur das Finnische eines aufzuweisen, ein erst zu Anfang
dieses Jahrhunderts aufgefundenes Volksepos, welches dessen Bewunderer keinen
Anstand genommen haben mit Ilias und Nibelungen auf eine Stufe zu stellen.
Von der türkischen Literatur ist im westlichen Europa überhaupt noch nichts
bekannt geworden. Auf die ungarische Literatur hat erst der im Revolutivns-
jahre gegen die Russen gefallene erotische und patriotische Dichter Petöfi und
sodann der jetzt noch lebende fruchtbare Romanschriftsteller Jokai, der als Volks¬
vertreter mit über die oben erwähnte Frage zu entscheiden haben wird, die
Aufmerksamkeit der Nachbarvölker zu lenken verstanden.

Es läßt sich nun nicht leugnen, daß die entwickelten turanischen Sprachen
wegen ihrer Eigentümlichkeit, die man oft Schönheit nenne" muß, für den


schütze knallen läßt, wird "sich noch mehr als jetzt genötigt sehen, an seinen
Grenzen Ruhe zu halten, zumal da das gewaltige Phänomen eines Defensivbünd-
nisscs zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, welches neulich der
Minister Maneini der Welt verkündete, dies ganz besonders zu empfehlen ge¬
eignet ist.

Wenn die Römer zu Hause Ferien hatten, wurden wilde Dacier geschlachtet,
wenn Europa Frieden haben soll, müssen Malagassen und Tonkinesen hingemordet
werden. Es ist ein grausamer Trost für die Nationen, welche die Zivilisation
und das Christentum vertreten, aber es scheint nun einmal so geordnet. Ein
bischen Teufelei läuft in der Geschichte immer mit uuter.




Die ungarische Sprache.

in von ungefähr sechs Millionen Menschen gesprochene ungarische
Sprache, welche einem uns Deutschen stammverwandten Völkchen
gewaltsam aufgedrängt werdeu soll, zieht gegenwärtig, soweit die
deutsche Zunge klingt, so sehr ein allgemeines, fast politisch zu
nennendes Interesse ans sich, daß gewiß in vielen der Wunsch
rege geworden sein wird, eine Vorstellung von den Eigentümlichkeiten jener
Sprache zu bekommen. Die folgenden Zeilen wollen versuchen, einige der
wesentlichsten und interessantesten Seiten derselben in Kürze darzustellen.

Das Ungarische steht, als der großen, über hundert Glieder zählenden
turanischen Sprachsamilie und zwar der nördlichen Abteilung derselben angehörig,
den Sprachen des zivitisirten Europas mit Ausnahme von zweien fremd
gegenüber; diese zwei Verwandten sind das Türkische und das Finnische. Das
Gebiet aller drei umfaßt ungefähr zehn Millionen Menschen. Von bedeutenden
Literaturerzeuguißen hat nur das Finnische eines aufzuweisen, ein erst zu Anfang
dieses Jahrhunderts aufgefundenes Volksepos, welches dessen Bewunderer keinen
Anstand genommen haben mit Ilias und Nibelungen auf eine Stufe zu stellen.
Von der türkischen Literatur ist im westlichen Europa überhaupt noch nichts
bekannt geworden. Auf die ungarische Literatur hat erst der im Revolutivns-
jahre gegen die Russen gefallene erotische und patriotische Dichter Petöfi und
sodann der jetzt noch lebende fruchtbare Romanschriftsteller Jokai, der als Volks¬
vertreter mit über die oben erwähnte Frage zu entscheiden haben wird, die
Aufmerksamkeit der Nachbarvölker zu lenken verstanden.

Es läßt sich nun nicht leugnen, daß die entwickelten turanischen Sprachen
wegen ihrer Eigentümlichkeit, die man oft Schönheit nenne» muß, für den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/72>, abgerufen am 01.07.2024.