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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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England und die tlladagaskarfrage.

Die Gesandten der Königin von Madagaskar waren sich, wie man sieht,
der Gerechtigkeit der Sache, die zu vertrete" sie beauftragt waren, sehr wohl
bewußt, jedenfalls soweit es sich um das Protektorat Frankreichs handelte. Indes;
waren sie bereit, der französischen Negierung entgegenzukommen, und boten der
hochtönenden Abstraktion, die sich die "verwundete Ehre Frankreichs" zu nennen
beliebt, Genugthuung an. Die Franzosen beklagten sich über die neuen Zoll¬
stätten, welche die Regierung von Madagaskar ans dem in Rede stehende" Ge¬
biete errichtet hatte, und daraufhin erboten sich die malcigassischen Gesandten
"üindlich im Namen ihrer Königin, dieselbe werde, "um die Würde Frankreichs
zu schönen," die Zollhäuser für einige Zeit entfernen, doch "unter der Bedingung,
daß es ihr frei stehe, die Küste nach einigen Jahren wieder mit Zollbeamten
zu besetzen." Dieses Zugeständnis verriet Schwäche, aber man muß dabei die
Lage der Vertreter eines verhältnismäßig kleinen und erst halb zivilisirten Volkes
gegenüber einer Großmacht berücksichtigen. Die französische Regierung erklärte
sich mit diesem Kompromiß einverstanden, "ut die Minister bemerkten, sie wollten
es "schriftlich fixiren." "Aber, so sagt Lord Granville, indem er über die Ver¬
sion der Malagassen Bericht erstattet, als das niedergeschriebene Übereinkommen
ihnen jden Gesandten^ überreicht wurde, machten sie die Entdeckung, daß nicht
mir jede Erwähnung des Vorbehaltes wegen Wiedererrichtung der Zollämter
weggelassen worden war, sondern daß das Dokument auch die Geltendmachung
eines Protektiousrechts nicht nur über die Nordwestküste, sondern
über die gesamte Insel enthielt. Darauf einzugehen war den Gesandten
schlechterdings unmöglich, es war in ihren Augen Hochverrat, und so lehnten
sie ab, es anzunehmen -- ein Entschluß, von dem sie unmöglich abgehen durften."

Dieser Bericht zeigt, wen" er der Wahrheit entspricht, den französischen
Minister über dem Versuche, sich die wirkliche Ängstlichkeit und die vermutete
Unerfnhreuheit dieser afrikanischen Diplomaten bestens zu nutze zu machen. Über
einige nebensächliche Pnnkte, z. B. das Recht französischer Staatsbürger, ans
der Insel Grundeigentum zu erwerben, waren die Gesandten ebenfalls versöhn¬
licher Ansicht: sie zeigten sich bereit, ans ein Abkommen einzugehen, 'nach welchem
Fremde" Besitztitel für fünfundzwanzig Jahre gewährt werde" sollten, "die später
für alle Folgezeit erneuert werden könnten." Nur gegen den "unbeschränkten
Verkauf von Land an Ausländer" sträubten sie sich, und das war gerade keine
extravagante Weigerung, da früher ein Gesetz in England anch keine Fremden
als Landbesitzer auf britischen Boden zuließ, was erst vor wenigen Jahren ge¬
ändert wurde.

So gerieten die Unterhandlungen zwischen den Gesandten der Königin
Rauavalo und dem Pariser Minister des Auswärtigen ins Stocken und wurden
schließlich abgebrochen. Die freundschaftliche Vermittlung Englands wurde ab¬
gelehnt. Dnclere schrieb im Januar d. I.: "Die Anrechte auf die Nordwestküste
Madagaskars, welche von feiten Frankreichs beansprucht werde!,, sind sicher und


England und die tlladagaskarfrage.

Die Gesandten der Königin von Madagaskar waren sich, wie man sieht,
der Gerechtigkeit der Sache, die zu vertrete» sie beauftragt waren, sehr wohl
bewußt, jedenfalls soweit es sich um das Protektorat Frankreichs handelte. Indes;
waren sie bereit, der französischen Negierung entgegenzukommen, und boten der
hochtönenden Abstraktion, die sich die „verwundete Ehre Frankreichs" zu nennen
beliebt, Genugthuung an. Die Franzosen beklagten sich über die neuen Zoll¬
stätten, welche die Regierung von Madagaskar ans dem in Rede stehende» Ge¬
biete errichtet hatte, und daraufhin erboten sich die malcigassischen Gesandten
»üindlich im Namen ihrer Königin, dieselbe werde, „um die Würde Frankreichs
zu schönen," die Zollhäuser für einige Zeit entfernen, doch „unter der Bedingung,
daß es ihr frei stehe, die Küste nach einigen Jahren wieder mit Zollbeamten
zu besetzen." Dieses Zugeständnis verriet Schwäche, aber man muß dabei die
Lage der Vertreter eines verhältnismäßig kleinen und erst halb zivilisirten Volkes
gegenüber einer Großmacht berücksichtigen. Die französische Regierung erklärte
sich mit diesem Kompromiß einverstanden, »ut die Minister bemerkten, sie wollten
es „schriftlich fixiren." „Aber, so sagt Lord Granville, indem er über die Ver¬
sion der Malagassen Bericht erstattet, als das niedergeschriebene Übereinkommen
ihnen jden Gesandten^ überreicht wurde, machten sie die Entdeckung, daß nicht
mir jede Erwähnung des Vorbehaltes wegen Wiedererrichtung der Zollämter
weggelassen worden war, sondern daß das Dokument auch die Geltendmachung
eines Protektiousrechts nicht nur über die Nordwestküste, sondern
über die gesamte Insel enthielt. Darauf einzugehen war den Gesandten
schlechterdings unmöglich, es war in ihren Augen Hochverrat, und so lehnten
sie ab, es anzunehmen — ein Entschluß, von dem sie unmöglich abgehen durften."

Dieser Bericht zeigt, wen» er der Wahrheit entspricht, den französischen
Minister über dem Versuche, sich die wirkliche Ängstlichkeit und die vermutete
Unerfnhreuheit dieser afrikanischen Diplomaten bestens zu nutze zu machen. Über
einige nebensächliche Pnnkte, z. B. das Recht französischer Staatsbürger, ans
der Insel Grundeigentum zu erwerben, waren die Gesandten ebenfalls versöhn¬
licher Ansicht: sie zeigten sich bereit, ans ein Abkommen einzugehen, 'nach welchem
Fremde» Besitztitel für fünfundzwanzig Jahre gewährt werde» sollten, „die später
für alle Folgezeit erneuert werden könnten." Nur gegen den „unbeschränkten
Verkauf von Land an Ausländer" sträubten sie sich, und das war gerade keine
extravagante Weigerung, da früher ein Gesetz in England anch keine Fremden
als Landbesitzer auf britischen Boden zuließ, was erst vor wenigen Jahren ge¬
ändert wurde.

So gerieten die Unterhandlungen zwischen den Gesandten der Königin
Rauavalo und dem Pariser Minister des Auswärtigen ins Stocken und wurden
schließlich abgebrochen. Die freundschaftliche Vermittlung Englands wurde ab¬
gelehnt. Dnclere schrieb im Januar d. I.: „Die Anrechte auf die Nordwestküste
Madagaskars, welche von feiten Frankreichs beansprucht werde!,, sind sicher und


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[0070] England und die tlladagaskarfrage. Die Gesandten der Königin von Madagaskar waren sich, wie man sieht, der Gerechtigkeit der Sache, die zu vertrete» sie beauftragt waren, sehr wohl bewußt, jedenfalls soweit es sich um das Protektorat Frankreichs handelte. Indes; waren sie bereit, der französischen Negierung entgegenzukommen, und boten der hochtönenden Abstraktion, die sich die „verwundete Ehre Frankreichs" zu nennen beliebt, Genugthuung an. Die Franzosen beklagten sich über die neuen Zoll¬ stätten, welche die Regierung von Madagaskar ans dem in Rede stehende» Ge¬ biete errichtet hatte, und daraufhin erboten sich die malcigassischen Gesandten »üindlich im Namen ihrer Königin, dieselbe werde, „um die Würde Frankreichs zu schönen," die Zollhäuser für einige Zeit entfernen, doch „unter der Bedingung, daß es ihr frei stehe, die Küste nach einigen Jahren wieder mit Zollbeamten zu besetzen." Dieses Zugeständnis verriet Schwäche, aber man muß dabei die Lage der Vertreter eines verhältnismäßig kleinen und erst halb zivilisirten Volkes gegenüber einer Großmacht berücksichtigen. Die französische Regierung erklärte sich mit diesem Kompromiß einverstanden, »ut die Minister bemerkten, sie wollten es „schriftlich fixiren." „Aber, so sagt Lord Granville, indem er über die Ver¬ sion der Malagassen Bericht erstattet, als das niedergeschriebene Übereinkommen ihnen jden Gesandten^ überreicht wurde, machten sie die Entdeckung, daß nicht mir jede Erwähnung des Vorbehaltes wegen Wiedererrichtung der Zollämter weggelassen worden war, sondern daß das Dokument auch die Geltendmachung eines Protektiousrechts nicht nur über die Nordwestküste, sondern über die gesamte Insel enthielt. Darauf einzugehen war den Gesandten schlechterdings unmöglich, es war in ihren Augen Hochverrat, und so lehnten sie ab, es anzunehmen — ein Entschluß, von dem sie unmöglich abgehen durften." Dieser Bericht zeigt, wen» er der Wahrheit entspricht, den französischen Minister über dem Versuche, sich die wirkliche Ängstlichkeit und die vermutete Unerfnhreuheit dieser afrikanischen Diplomaten bestens zu nutze zu machen. Über einige nebensächliche Pnnkte, z. B. das Recht französischer Staatsbürger, ans der Insel Grundeigentum zu erwerben, waren die Gesandten ebenfalls versöhn¬ licher Ansicht: sie zeigten sich bereit, ans ein Abkommen einzugehen, 'nach welchem Fremde» Besitztitel für fünfundzwanzig Jahre gewährt werde» sollten, „die später für alle Folgezeit erneuert werden könnten." Nur gegen den „unbeschränkten Verkauf von Land an Ausländer" sträubten sie sich, und das war gerade keine extravagante Weigerung, da früher ein Gesetz in England anch keine Fremden als Landbesitzer auf britischen Boden zuließ, was erst vor wenigen Jahren ge¬ ändert wurde. So gerieten die Unterhandlungen zwischen den Gesandten der Königin Rauavalo und dem Pariser Minister des Auswärtigen ins Stocken und wurden schließlich abgebrochen. Die freundschaftliche Vermittlung Englands wurde ab¬ gelehnt. Dnclere schrieb im Januar d. I.: „Die Anrechte auf die Nordwestküste Madagaskars, welche von feiten Frankreichs beansprucht werde!,, sind sicher und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/70>, abgerufen am 03.07.2024.