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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die französische Rolonialpolitik und England.

von französischer Herkunft. Es giebt dort sogar mehr Deutsche als Franzose",
und die deutsche Sabotage an den Küsten Chinas ist sehr bedeutend. Rußland
treibt einen beträchtliche" Landhandel mit den nördlichen Märkten des Reiches,
und die Nordamerikaner unterhalten gleichfalls ausgedehnte kommerzielle Ver¬
bindungen mit demselben. Die Franzosen können daher leichten Herzens einen"
Kampfe entgegensehen, in welchem ihre große Kriegsflotte die wenigen Häfen,
welche den fremden Handel in China offen stehen, blotiren und so den Verkehr
desselben mit dem Auslande und den Einnahmen aus den Zöllen einen schweren
Schlag beibringen könnte. Dagegen ist nach den obigen Zahlen leicht zu be¬
greifen, wie verdrießlich und bedenklich ein derartiger Krieg für die Engländer
sein würde. Er würde deren Theehandel zerstören, mit einem einzigen Schlage
viele Millionen der Einnahmen Indiens vernichten und den ungeheuern Verkehr
lahmen, der sich in diesen fernen Meeren entwickelt hat. ,,Frankreich," sagt der
VM^ ?"z1vArs,xn, spielt in Tonkin mit Feuer wie jemand, der sich in der Nähe
verbrennbaren Eigentums nicht in Acht nimmt, das ihm selber nicht gehört.
Sein Interesse an diesen Küsten geht auf Eroberung und Koloniengründuug.
Sein Handel findet keinen Markt, und es hat bei einer allgemeinen Umwälzung
nichts zu verliere". Das Völkerrecht verhält sich zu einer solchen Verwicklung
schweigend; deun wenn die Franzosen im Fall eines Krieges mit China die
Blockade von dessen Hase" erklärten und ausführten, so würden sie nur nach
dem Herkommen Verfahren. Wäre uns ganz China geöffnet, so ließe sich der
Blockade entgehen, leider aber sind wir auf eine Anzahl von Häfen beschränkt,
und wollten die Franzosen diese mit ihren Schiffen schließen, so würden sie
möglicherweise neun Zehnteln des auswärtigen Handels ein Ende machen. Dies
ist ein sehr ernster Fall für uns und, wenn auch in geringere", Grade, für
unsre amerikanischen Vettern. Sollen wir Millionen verlieren, weil die Fran¬
zosen Abenteuer gesucht, Streit angefangen und dabei bis jetzt Unglück gehabt
haben?"

In Betreff des lokalen Streites können wir uns kurz fassen. Tonkin
war vor zwölf Jahren von Arran abhängig, zu welchem es ungefähr in dem¬
selben Verhältnisse stand wie Irland vor dreihundert Jahren zu England.
Es war früher unabhängig gewesen, und obwohl es dem Namen nach unter¬
worfen war, zeigte es sich stets unruhig und zu Aufständen geneigt. Der An¬
schluß an Arran erfolgte 1802 und zwar gleichzeitig mit dem Abzüge der
Franzose", die sich hier schon unter der Regierung Ludwigs XVI. festgesetzt
und in Hanoi eine Zitadelle erbaut hatte". Der unruhige Zustand des Landes
gab Frankreich 1873 einen Vorwand zur Einmischung, ungefähr so, wie wenn
jetzt der Zar, wenn in Armenien eine Empörung gegen die Türken ausbrcichc,
seine Truppen unter dem Vorgeben ins Land einrücken lassen wollte, er müsse
es dem Sultan wieder unterwerfen. Frankreich handelte rasch und zuerst mit
Erfolg. Es trat dabei als Perfechter der Rechte des Kaisers von Anna",,


Die französische Rolonialpolitik und England.

von französischer Herkunft. Es giebt dort sogar mehr Deutsche als Franzose»,
und die deutsche Sabotage an den Küsten Chinas ist sehr bedeutend. Rußland
treibt einen beträchtliche» Landhandel mit den nördlichen Märkten des Reiches,
und die Nordamerikaner unterhalten gleichfalls ausgedehnte kommerzielle Ver¬
bindungen mit demselben. Die Franzosen können daher leichten Herzens einen«
Kampfe entgegensehen, in welchem ihre große Kriegsflotte die wenigen Häfen,
welche den fremden Handel in China offen stehen, blotiren und so den Verkehr
desselben mit dem Auslande und den Einnahmen aus den Zöllen einen schweren
Schlag beibringen könnte. Dagegen ist nach den obigen Zahlen leicht zu be¬
greifen, wie verdrießlich und bedenklich ein derartiger Krieg für die Engländer
sein würde. Er würde deren Theehandel zerstören, mit einem einzigen Schlage
viele Millionen der Einnahmen Indiens vernichten und den ungeheuern Verkehr
lahmen, der sich in diesen fernen Meeren entwickelt hat. ,,Frankreich," sagt der
VM^ ?«z1vArs,xn, spielt in Tonkin mit Feuer wie jemand, der sich in der Nähe
verbrennbaren Eigentums nicht in Acht nimmt, das ihm selber nicht gehört.
Sein Interesse an diesen Küsten geht auf Eroberung und Koloniengründuug.
Sein Handel findet keinen Markt, und es hat bei einer allgemeinen Umwälzung
nichts zu verliere». Das Völkerrecht verhält sich zu einer solchen Verwicklung
schweigend; deun wenn die Franzosen im Fall eines Krieges mit China die
Blockade von dessen Hase» erklärten und ausführten, so würden sie nur nach
dem Herkommen Verfahren. Wäre uns ganz China geöffnet, so ließe sich der
Blockade entgehen, leider aber sind wir auf eine Anzahl von Häfen beschränkt,
und wollten die Franzosen diese mit ihren Schiffen schließen, so würden sie
möglicherweise neun Zehnteln des auswärtigen Handels ein Ende machen. Dies
ist ein sehr ernster Fall für uns und, wenn auch in geringere», Grade, für
unsre amerikanischen Vettern. Sollen wir Millionen verlieren, weil die Fran¬
zosen Abenteuer gesucht, Streit angefangen und dabei bis jetzt Unglück gehabt
haben?"

In Betreff des lokalen Streites können wir uns kurz fassen. Tonkin
war vor zwölf Jahren von Arran abhängig, zu welchem es ungefähr in dem¬
selben Verhältnisse stand wie Irland vor dreihundert Jahren zu England.
Es war früher unabhängig gewesen, und obwohl es dem Namen nach unter¬
worfen war, zeigte es sich stets unruhig und zu Aufständen geneigt. Der An¬
schluß an Arran erfolgte 1802 und zwar gleichzeitig mit dem Abzüge der
Franzose», die sich hier schon unter der Regierung Ludwigs XVI. festgesetzt
und in Hanoi eine Zitadelle erbaut hatte». Der unruhige Zustand des Landes
gab Frankreich 1873 einen Vorwand zur Einmischung, ungefähr so, wie wenn
jetzt der Zar, wenn in Armenien eine Empörung gegen die Türken ausbrcichc,
seine Truppen unter dem Vorgeben ins Land einrücken lassen wollte, er müsse
es dem Sultan wieder unterwerfen. Frankreich handelte rasch und zuerst mit
Erfolg. Es trat dabei als Perfechter der Rechte des Kaisers von Anna»,,


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[0677] Die französische Rolonialpolitik und England. von französischer Herkunft. Es giebt dort sogar mehr Deutsche als Franzose», und die deutsche Sabotage an den Küsten Chinas ist sehr bedeutend. Rußland treibt einen beträchtliche» Landhandel mit den nördlichen Märkten des Reiches, und die Nordamerikaner unterhalten gleichfalls ausgedehnte kommerzielle Ver¬ bindungen mit demselben. Die Franzosen können daher leichten Herzens einen« Kampfe entgegensehen, in welchem ihre große Kriegsflotte die wenigen Häfen, welche den fremden Handel in China offen stehen, blotiren und so den Verkehr desselben mit dem Auslande und den Einnahmen aus den Zöllen einen schweren Schlag beibringen könnte. Dagegen ist nach den obigen Zahlen leicht zu be¬ greifen, wie verdrießlich und bedenklich ein derartiger Krieg für die Engländer sein würde. Er würde deren Theehandel zerstören, mit einem einzigen Schlage viele Millionen der Einnahmen Indiens vernichten und den ungeheuern Verkehr lahmen, der sich in diesen fernen Meeren entwickelt hat. ,,Frankreich," sagt der VM^ ?«z1vArs,xn, spielt in Tonkin mit Feuer wie jemand, der sich in der Nähe verbrennbaren Eigentums nicht in Acht nimmt, das ihm selber nicht gehört. Sein Interesse an diesen Küsten geht auf Eroberung und Koloniengründuug. Sein Handel findet keinen Markt, und es hat bei einer allgemeinen Umwälzung nichts zu verliere». Das Völkerrecht verhält sich zu einer solchen Verwicklung schweigend; deun wenn die Franzosen im Fall eines Krieges mit China die Blockade von dessen Hase» erklärten und ausführten, so würden sie nur nach dem Herkommen Verfahren. Wäre uns ganz China geöffnet, so ließe sich der Blockade entgehen, leider aber sind wir auf eine Anzahl von Häfen beschränkt, und wollten die Franzosen diese mit ihren Schiffen schließen, so würden sie möglicherweise neun Zehnteln des auswärtigen Handels ein Ende machen. Dies ist ein sehr ernster Fall für uns und, wenn auch in geringere», Grade, für unsre amerikanischen Vettern. Sollen wir Millionen verlieren, weil die Fran¬ zosen Abenteuer gesucht, Streit angefangen und dabei bis jetzt Unglück gehabt haben?" In Betreff des lokalen Streites können wir uns kurz fassen. Tonkin war vor zwölf Jahren von Arran abhängig, zu welchem es ungefähr in dem¬ selben Verhältnisse stand wie Irland vor dreihundert Jahren zu England. Es war früher unabhängig gewesen, und obwohl es dem Namen nach unter¬ worfen war, zeigte es sich stets unruhig und zu Aufständen geneigt. Der An¬ schluß an Arran erfolgte 1802 und zwar gleichzeitig mit dem Abzüge der Franzose», die sich hier schon unter der Regierung Ludwigs XVI. festgesetzt und in Hanoi eine Zitadelle erbaut hatte». Der unruhige Zustand des Landes gab Frankreich 1873 einen Vorwand zur Einmischung, ungefähr so, wie wenn jetzt der Zar, wenn in Armenien eine Empörung gegen die Türken ausbrcichc, seine Truppen unter dem Vorgeben ins Land einrücken lassen wollte, er müsse es dem Sultan wieder unterwerfen. Frankreich handelte rasch und zuerst mit Erfolg. Es trat dabei als Perfechter der Rechte des Kaisers von Anna»,,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/677>, abgerufen am 03.07.2024.