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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die französische Uolonicilpolitik und England.

vorgelegten Plan (vergl. Grenzboten Ur. 23, S. 484) ausführen, so würde viel¬
leicht kein Krieg zwischen ihm und China ausbrechen, wohl aber würde die Lage
gefährlich werden. Die Pekinger Regierung wolle keinen Bruch und sei zu bil¬
ligen Zugeständnissen bereit, nur gebe es leider zwei Parteien in China, eine
friedliche und eine kriegerische, und die letztere habe infolge der neuesten Ereig¬
nisse an Boden gewonnen und sei jetzt stark genug, die Regierung mit sich fort¬
zureißen. Die letztere sei entschlossen, den Vertrag von 1862 anzuerkennen, und
sie werde in Betracht des jetzigen Standes der Angelegenheit vielleicht auch den
von 1874 gutheißen. Dann müsse man sich aber klar darüber werden, daß
Frankreichs Recht, sich zur Wiederherstellung der Ordnung einzumischen, nur
auf Verlangen des Beherrschers von Arran und im Einklange mit den Be¬
stimmungen des Traktats ausgeübt werden dürfe, und ferner, daß der letztere
nicht so betrachtet werden könne, als sei damit das Suzerünetätsrecht Chinas
über Arran beseitigt. Marquis Tseng war endlich der Meinung, daß China
wohl bewogen werden könne, die Provinz Junnan dem französischen Handel zu
öffnen, nicht aber weitere Zugeständnisse zu machen. Als man ihn fragte,
welchem Widerstande Frankreich in Tonkin begegnen werde, selbst wenn China
sich nicht einmischen sollte, antwortete er, es werde sich darauf gefaßt zu macheu
haben, zehnmal mehr Mannschaften und Geld zu opfern, als man anfangs ins
Auge gefaßt habe.

Gegen das Vorgehen der Franzosen in Madagaskar hat England, wie der
Staatssekretär Fitzmauriee nach dem Bombardement Mojangas im Unterhause
erklärte, bisher nichts gethan, auch ist nicht zu erwarten, daß es ferner etwas
dagegen thun wird, wenn dasselbe nicht zu einer förmlichen Einverleibung der
Insel in die französischen Besitzungen führt; ja selbst die letztere würde ver¬
mutlich euglischerseits geduldet werden -- d. h. bis auf weiteres und als eine
Art Kompensation sür die Verluste in Ägypten. Gern sehen aber wird die
öffentliche Meinung in England einen solchen Erwerb der Franzosen im Osten
von Afrika gewiß nicht, und so wird derselbe die Entfremdung der beiden
Nationen, die infolge der Verdrängung Frankreichs und feiner ägyptischen Stel¬
lung eingetreten ist, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unerheblich steigern.

Noch mehr ist dies von etwaigen Erfolgen der Franzosen in Tonkin zu erwarten,
ja schon ein Krieg derselben mit China würde in England böses Blut macheu,
da er sehr wesentliche Interessen des britischen Handels schwer verletzen würde.

"Frankreich ist das einzige Land, das für Ideen Krieg führt," ist ein Aus¬
spruch Napoleons des Dritten, der bloß von solchen Leuten bestritten wird, welche
die Geschichte kennen. Aber es ist gleichfalls merkwürdig, daß Frankreich das einzige
Land ist, welches dem Mars und dem Merkur einen gemeinschaftlichen Altar errichtet
hat. Wenigstens ist von Seiten, die es wissen konnten, behauptet worden, daß die
hohe Finanz in den letzten fünfzehn Jahren bei mehreren seiner kriegerischen
Unternehmungen außerhalb Europas das Spiel am Draht gelenkt hat. Die


Grenzboten II. 1833. 84
Die französische Uolonicilpolitik und England.

vorgelegten Plan (vergl. Grenzboten Ur. 23, S. 484) ausführen, so würde viel¬
leicht kein Krieg zwischen ihm und China ausbrechen, wohl aber würde die Lage
gefährlich werden. Die Pekinger Regierung wolle keinen Bruch und sei zu bil¬
ligen Zugeständnissen bereit, nur gebe es leider zwei Parteien in China, eine
friedliche und eine kriegerische, und die letztere habe infolge der neuesten Ereig¬
nisse an Boden gewonnen und sei jetzt stark genug, die Regierung mit sich fort¬
zureißen. Die letztere sei entschlossen, den Vertrag von 1862 anzuerkennen, und
sie werde in Betracht des jetzigen Standes der Angelegenheit vielleicht auch den
von 1874 gutheißen. Dann müsse man sich aber klar darüber werden, daß
Frankreichs Recht, sich zur Wiederherstellung der Ordnung einzumischen, nur
auf Verlangen des Beherrschers von Arran und im Einklange mit den Be¬
stimmungen des Traktats ausgeübt werden dürfe, und ferner, daß der letztere
nicht so betrachtet werden könne, als sei damit das Suzerünetätsrecht Chinas
über Arran beseitigt. Marquis Tseng war endlich der Meinung, daß China
wohl bewogen werden könne, die Provinz Junnan dem französischen Handel zu
öffnen, nicht aber weitere Zugeständnisse zu machen. Als man ihn fragte,
welchem Widerstande Frankreich in Tonkin begegnen werde, selbst wenn China
sich nicht einmischen sollte, antwortete er, es werde sich darauf gefaßt zu macheu
haben, zehnmal mehr Mannschaften und Geld zu opfern, als man anfangs ins
Auge gefaßt habe.

Gegen das Vorgehen der Franzosen in Madagaskar hat England, wie der
Staatssekretär Fitzmauriee nach dem Bombardement Mojangas im Unterhause
erklärte, bisher nichts gethan, auch ist nicht zu erwarten, daß es ferner etwas
dagegen thun wird, wenn dasselbe nicht zu einer förmlichen Einverleibung der
Insel in die französischen Besitzungen führt; ja selbst die letztere würde ver¬
mutlich euglischerseits geduldet werden — d. h. bis auf weiteres und als eine
Art Kompensation sür die Verluste in Ägypten. Gern sehen aber wird die
öffentliche Meinung in England einen solchen Erwerb der Franzosen im Osten
von Afrika gewiß nicht, und so wird derselbe die Entfremdung der beiden
Nationen, die infolge der Verdrängung Frankreichs und feiner ägyptischen Stel¬
lung eingetreten ist, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unerheblich steigern.

Noch mehr ist dies von etwaigen Erfolgen der Franzosen in Tonkin zu erwarten,
ja schon ein Krieg derselben mit China würde in England böses Blut macheu,
da er sehr wesentliche Interessen des britischen Handels schwer verletzen würde.

„Frankreich ist das einzige Land, das für Ideen Krieg führt," ist ein Aus¬
spruch Napoleons des Dritten, der bloß von solchen Leuten bestritten wird, welche
die Geschichte kennen. Aber es ist gleichfalls merkwürdig, daß Frankreich das einzige
Land ist, welches dem Mars und dem Merkur einen gemeinschaftlichen Altar errichtet
hat. Wenigstens ist von Seiten, die es wissen konnten, behauptet worden, daß die
hohe Finanz in den letzten fünfzehn Jahren bei mehreren seiner kriegerischen
Unternehmungen außerhalb Europas das Spiel am Draht gelenkt hat. Die


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[0673] Die französische Uolonicilpolitik und England. vorgelegten Plan (vergl. Grenzboten Ur. 23, S. 484) ausführen, so würde viel¬ leicht kein Krieg zwischen ihm und China ausbrechen, wohl aber würde die Lage gefährlich werden. Die Pekinger Regierung wolle keinen Bruch und sei zu bil¬ ligen Zugeständnissen bereit, nur gebe es leider zwei Parteien in China, eine friedliche und eine kriegerische, und die letztere habe infolge der neuesten Ereig¬ nisse an Boden gewonnen und sei jetzt stark genug, die Regierung mit sich fort¬ zureißen. Die letztere sei entschlossen, den Vertrag von 1862 anzuerkennen, und sie werde in Betracht des jetzigen Standes der Angelegenheit vielleicht auch den von 1874 gutheißen. Dann müsse man sich aber klar darüber werden, daß Frankreichs Recht, sich zur Wiederherstellung der Ordnung einzumischen, nur auf Verlangen des Beherrschers von Arran und im Einklange mit den Be¬ stimmungen des Traktats ausgeübt werden dürfe, und ferner, daß der letztere nicht so betrachtet werden könne, als sei damit das Suzerünetätsrecht Chinas über Arran beseitigt. Marquis Tseng war endlich der Meinung, daß China wohl bewogen werden könne, die Provinz Junnan dem französischen Handel zu öffnen, nicht aber weitere Zugeständnisse zu machen. Als man ihn fragte, welchem Widerstande Frankreich in Tonkin begegnen werde, selbst wenn China sich nicht einmischen sollte, antwortete er, es werde sich darauf gefaßt zu macheu haben, zehnmal mehr Mannschaften und Geld zu opfern, als man anfangs ins Auge gefaßt habe. Gegen das Vorgehen der Franzosen in Madagaskar hat England, wie der Staatssekretär Fitzmauriee nach dem Bombardement Mojangas im Unterhause erklärte, bisher nichts gethan, auch ist nicht zu erwarten, daß es ferner etwas dagegen thun wird, wenn dasselbe nicht zu einer förmlichen Einverleibung der Insel in die französischen Besitzungen führt; ja selbst die letztere würde ver¬ mutlich euglischerseits geduldet werden — d. h. bis auf weiteres und als eine Art Kompensation sür die Verluste in Ägypten. Gern sehen aber wird die öffentliche Meinung in England einen solchen Erwerb der Franzosen im Osten von Afrika gewiß nicht, und so wird derselbe die Entfremdung der beiden Nationen, die infolge der Verdrängung Frankreichs und feiner ägyptischen Stel¬ lung eingetreten ist, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unerheblich steigern. Noch mehr ist dies von etwaigen Erfolgen der Franzosen in Tonkin zu erwarten, ja schon ein Krieg derselben mit China würde in England böses Blut macheu, da er sehr wesentliche Interessen des britischen Handels schwer verletzen würde. „Frankreich ist das einzige Land, das für Ideen Krieg führt," ist ein Aus¬ spruch Napoleons des Dritten, der bloß von solchen Leuten bestritten wird, welche die Geschichte kennen. Aber es ist gleichfalls merkwürdig, daß Frankreich das einzige Land ist, welches dem Mars und dem Merkur einen gemeinschaftlichen Altar errichtet hat. Wenigstens ist von Seiten, die es wissen konnten, behauptet worden, daß die hohe Finanz in den letzten fünfzehn Jahren bei mehreren seiner kriegerischen Unternehmungen außerhalb Europas das Spiel am Draht gelenkt hat. Die Grenzboten II. 1833. 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/673>, abgerufen am 03.07.2024.