Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die französische Kolonialpolitik und England.

feiten der Himmlischen gefallen lassen." Er Hütte damals nur 400 Mann
unter seinem Befehl, außerdem etliche Kanonenboote, die aber, als der Strom
fiel, nicht mehr zu verwenden waren, während die Anmänner gemeinschaftliche
Sache mit den Chinesen und den Piraten der Schwarzen Flagge machten.
Dazu befand er sich noch immer in Unklarheit über die Absichten der Regierung,
ja noch im letzten Februar schrieb er: "Ich habe Nachricht erhalten, daß 500 See¬
soldaten in Tonkin eingetroffen sind, aber ich weiß nicht, was ich mit ihnen
machen soll. Ist dies wirklich ein ernsthafter Feldzug oder nicht?" Er dachte
sogar daran, seinen Posten aufzugeben, und nur die bedenkliche Wendung, welche
die Ereignisse bald darauf nahmen, bewog ihn zu bleiben.

Seit dem unglückliche" Ende Rivieres sind die Franzosen in Hanoi von
den Gegnern nicht mehr behelligt worden, auch würden dieselben ihnen jetzt
nicht mehr schaden können, da die Besatzung um 700 Seesoldatcu verstärkt
worden ist und jetzt 1500 Mann beträgt, eine Streitmacht, welche die Stadt
für nndisziplinirte Feinde uneinnehmbar macht. Andre Verstärkungen, mit denen
"der Tod Rivieres gerächt und die Ehre der Fahne Frankreichs gewahrt"
werden soll, sind von Toulon, Kochinchina und Neukaledonien unterwegs, svdciß
die Franzosen noch vor Mitte des nächsten Monats ungefähr 4000 Mann in
Tonkin beisammen dahin werden, womit sich der nächste Zweck derselben, Er¬
zwingung der Ausführung des Traktats von 1874, nach welchem die französische
Republik in Tonkin herrschen, in Anucun thatsächlich Protektorrcchte auszuüben
berechtigt sein soll, ohne Zweifel erreichen lassen würde, falls China sich von
der Sache fern hielte. Das letztere ist aber zweifelhaft. Der bekannte chinesische
Feldherr Li Hung Tschang ist von seiner Regierung beauftragt worden, in den
drei Provinzen des Reiches der Mitte, welche an Arran grenzen, den Ober¬
befehl zu übernehmen, und der ebenfalls oft genannte Marauis Tseng, der
seinen Kaiser in Paris vertritt, hat nach den französischen Blättern Äußerungen
gethan, welche die Situation mindestens als gespannt erscheinen lassen. Er be¬
merkte, zwar seien die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Frank¬
reich noch nicht gestört, und ersteres wünsche auch keinen Bruch. Aber andrer¬
seits habe die französische Regierung seit geraumer Zeit die Noten des chinesischen
Gesandten nnbenntwortet gelassen, auch ihren Vertreter in Peking (Bonree) ab¬
berufen und nicht ersetzt. Die Sendung nach Peking, mit der Trieou, der bis¬
herige Gesandte in Japan, betraut worden, sei nur vorübergehender Art, und
der Verkehr zwischen China und Frankreich werde sicherlich suspendirt werden,
wenn Frankreich in Tonkin vorgehe, bevor es sich mit China verständigt habe;
denn Tonkin sei ein Zubehör des Königreichs Arran, in Betreff dessen China
unbestreitbare Snzeränetätsrechte besitze. Der Spezialgescmdte Frankreichs (Tricon)
werde schwerlich Erfolg erzielen, da er China keine so günstigen Bedingungen
mitbringe, als sie der Boureeschc Vertrag gewährt habe, und da selbst dieser
den Chinesen zu wenig zugestehe. Sollte Frankreich den der Deputirtenkammer


Die französische Kolonialpolitik und England.

feiten der Himmlischen gefallen lassen." Er Hütte damals nur 400 Mann
unter seinem Befehl, außerdem etliche Kanonenboote, die aber, als der Strom
fiel, nicht mehr zu verwenden waren, während die Anmänner gemeinschaftliche
Sache mit den Chinesen und den Piraten der Schwarzen Flagge machten.
Dazu befand er sich noch immer in Unklarheit über die Absichten der Regierung,
ja noch im letzten Februar schrieb er: „Ich habe Nachricht erhalten, daß 500 See¬
soldaten in Tonkin eingetroffen sind, aber ich weiß nicht, was ich mit ihnen
machen soll. Ist dies wirklich ein ernsthafter Feldzug oder nicht?" Er dachte
sogar daran, seinen Posten aufzugeben, und nur die bedenkliche Wendung, welche
die Ereignisse bald darauf nahmen, bewog ihn zu bleiben.

Seit dem unglückliche» Ende Rivieres sind die Franzosen in Hanoi von
den Gegnern nicht mehr behelligt worden, auch würden dieselben ihnen jetzt
nicht mehr schaden können, da die Besatzung um 700 Seesoldatcu verstärkt
worden ist und jetzt 1500 Mann beträgt, eine Streitmacht, welche die Stadt
für nndisziplinirte Feinde uneinnehmbar macht. Andre Verstärkungen, mit denen
„der Tod Rivieres gerächt und die Ehre der Fahne Frankreichs gewahrt"
werden soll, sind von Toulon, Kochinchina und Neukaledonien unterwegs, svdciß
die Franzosen noch vor Mitte des nächsten Monats ungefähr 4000 Mann in
Tonkin beisammen dahin werden, womit sich der nächste Zweck derselben, Er¬
zwingung der Ausführung des Traktats von 1874, nach welchem die französische
Republik in Tonkin herrschen, in Anucun thatsächlich Protektorrcchte auszuüben
berechtigt sein soll, ohne Zweifel erreichen lassen würde, falls China sich von
der Sache fern hielte. Das letztere ist aber zweifelhaft. Der bekannte chinesische
Feldherr Li Hung Tschang ist von seiner Regierung beauftragt worden, in den
drei Provinzen des Reiches der Mitte, welche an Arran grenzen, den Ober¬
befehl zu übernehmen, und der ebenfalls oft genannte Marauis Tseng, der
seinen Kaiser in Paris vertritt, hat nach den französischen Blättern Äußerungen
gethan, welche die Situation mindestens als gespannt erscheinen lassen. Er be¬
merkte, zwar seien die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Frank¬
reich noch nicht gestört, und ersteres wünsche auch keinen Bruch. Aber andrer¬
seits habe die französische Regierung seit geraumer Zeit die Noten des chinesischen
Gesandten nnbenntwortet gelassen, auch ihren Vertreter in Peking (Bonree) ab¬
berufen und nicht ersetzt. Die Sendung nach Peking, mit der Trieou, der bis¬
herige Gesandte in Japan, betraut worden, sei nur vorübergehender Art, und
der Verkehr zwischen China und Frankreich werde sicherlich suspendirt werden,
wenn Frankreich in Tonkin vorgehe, bevor es sich mit China verständigt habe;
denn Tonkin sei ein Zubehör des Königreichs Arran, in Betreff dessen China
unbestreitbare Snzeränetätsrechte besitze. Der Spezialgescmdte Frankreichs (Tricon)
werde schwerlich Erfolg erzielen, da er China keine so günstigen Bedingungen
mitbringe, als sie der Boureeschc Vertrag gewährt habe, und da selbst dieser
den Chinesen zu wenig zugestehe. Sollte Frankreich den der Deputirtenkammer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0672" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153421"/>
          <fw type="header" place="top"> Die französische Kolonialpolitik und England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2573" prev="#ID_2572"> feiten der Himmlischen gefallen lassen." Er Hütte damals nur 400 Mann<lb/>
unter seinem Befehl, außerdem etliche Kanonenboote, die aber, als der Strom<lb/>
fiel, nicht mehr zu verwenden waren, während die Anmänner gemeinschaftliche<lb/>
Sache mit den Chinesen und den Piraten der Schwarzen Flagge machten.<lb/>
Dazu befand er sich noch immer in Unklarheit über die Absichten der Regierung,<lb/>
ja noch im letzten Februar schrieb er: &#x201E;Ich habe Nachricht erhalten, daß 500 See¬<lb/>
soldaten in Tonkin eingetroffen sind, aber ich weiß nicht, was ich mit ihnen<lb/>
machen soll. Ist dies wirklich ein ernsthafter Feldzug oder nicht?" Er dachte<lb/>
sogar daran, seinen Posten aufzugeben, und nur die bedenkliche Wendung, welche<lb/>
die Ereignisse bald darauf nahmen, bewog ihn zu bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2574" next="#ID_2575"> Seit dem unglückliche» Ende Rivieres sind die Franzosen in Hanoi von<lb/>
den Gegnern nicht mehr behelligt worden, auch würden dieselben ihnen jetzt<lb/>
nicht mehr schaden können, da die Besatzung um 700 Seesoldatcu verstärkt<lb/>
worden ist und jetzt 1500 Mann beträgt, eine Streitmacht, welche die Stadt<lb/>
für nndisziplinirte Feinde uneinnehmbar macht. Andre Verstärkungen, mit denen<lb/>
&#x201E;der Tod Rivieres gerächt und die Ehre der Fahne Frankreichs gewahrt"<lb/>
werden soll, sind von Toulon, Kochinchina und Neukaledonien unterwegs, svdciß<lb/>
die Franzosen noch vor Mitte des nächsten Monats ungefähr 4000 Mann in<lb/>
Tonkin beisammen dahin werden, womit sich der nächste Zweck derselben, Er¬<lb/>
zwingung der Ausführung des Traktats von 1874, nach welchem die französische<lb/>
Republik in Tonkin herrschen, in Anucun thatsächlich Protektorrcchte auszuüben<lb/>
berechtigt sein soll, ohne Zweifel erreichen lassen würde, falls China sich von<lb/>
der Sache fern hielte. Das letztere ist aber zweifelhaft. Der bekannte chinesische<lb/>
Feldherr Li Hung Tschang ist von seiner Regierung beauftragt worden, in den<lb/>
drei Provinzen des Reiches der Mitte, welche an Arran grenzen, den Ober¬<lb/>
befehl zu übernehmen, und der ebenfalls oft genannte Marauis Tseng, der<lb/>
seinen Kaiser in Paris vertritt, hat nach den französischen Blättern Äußerungen<lb/>
gethan, welche die Situation mindestens als gespannt erscheinen lassen. Er be¬<lb/>
merkte, zwar seien die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Frank¬<lb/>
reich noch nicht gestört, und ersteres wünsche auch keinen Bruch. Aber andrer¬<lb/>
seits habe die französische Regierung seit geraumer Zeit die Noten des chinesischen<lb/>
Gesandten nnbenntwortet gelassen, auch ihren Vertreter in Peking (Bonree) ab¬<lb/>
berufen und nicht ersetzt. Die Sendung nach Peking, mit der Trieou, der bis¬<lb/>
herige Gesandte in Japan, betraut worden, sei nur vorübergehender Art, und<lb/>
der Verkehr zwischen China und Frankreich werde sicherlich suspendirt werden,<lb/>
wenn Frankreich in Tonkin vorgehe, bevor es sich mit China verständigt habe;<lb/>
denn Tonkin sei ein Zubehör des Königreichs Arran, in Betreff dessen China<lb/>
unbestreitbare Snzeränetätsrechte besitze. Der Spezialgescmdte Frankreichs (Tricon)<lb/>
werde schwerlich Erfolg erzielen, da er China keine so günstigen Bedingungen<lb/>
mitbringe, als sie der Boureeschc Vertrag gewährt habe, und da selbst dieser<lb/>
den Chinesen zu wenig zugestehe. Sollte Frankreich den der Deputirtenkammer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0672] Die französische Kolonialpolitik und England. feiten der Himmlischen gefallen lassen." Er Hütte damals nur 400 Mann unter seinem Befehl, außerdem etliche Kanonenboote, die aber, als der Strom fiel, nicht mehr zu verwenden waren, während die Anmänner gemeinschaftliche Sache mit den Chinesen und den Piraten der Schwarzen Flagge machten. Dazu befand er sich noch immer in Unklarheit über die Absichten der Regierung, ja noch im letzten Februar schrieb er: „Ich habe Nachricht erhalten, daß 500 See¬ soldaten in Tonkin eingetroffen sind, aber ich weiß nicht, was ich mit ihnen machen soll. Ist dies wirklich ein ernsthafter Feldzug oder nicht?" Er dachte sogar daran, seinen Posten aufzugeben, und nur die bedenkliche Wendung, welche die Ereignisse bald darauf nahmen, bewog ihn zu bleiben. Seit dem unglückliche» Ende Rivieres sind die Franzosen in Hanoi von den Gegnern nicht mehr behelligt worden, auch würden dieselben ihnen jetzt nicht mehr schaden können, da die Besatzung um 700 Seesoldatcu verstärkt worden ist und jetzt 1500 Mann beträgt, eine Streitmacht, welche die Stadt für nndisziplinirte Feinde uneinnehmbar macht. Andre Verstärkungen, mit denen „der Tod Rivieres gerächt und die Ehre der Fahne Frankreichs gewahrt" werden soll, sind von Toulon, Kochinchina und Neukaledonien unterwegs, svdciß die Franzosen noch vor Mitte des nächsten Monats ungefähr 4000 Mann in Tonkin beisammen dahin werden, womit sich der nächste Zweck derselben, Er¬ zwingung der Ausführung des Traktats von 1874, nach welchem die französische Republik in Tonkin herrschen, in Anucun thatsächlich Protektorrcchte auszuüben berechtigt sein soll, ohne Zweifel erreichen lassen würde, falls China sich von der Sache fern hielte. Das letztere ist aber zweifelhaft. Der bekannte chinesische Feldherr Li Hung Tschang ist von seiner Regierung beauftragt worden, in den drei Provinzen des Reiches der Mitte, welche an Arran grenzen, den Ober¬ befehl zu übernehmen, und der ebenfalls oft genannte Marauis Tseng, der seinen Kaiser in Paris vertritt, hat nach den französischen Blättern Äußerungen gethan, welche die Situation mindestens als gespannt erscheinen lassen. Er be¬ merkte, zwar seien die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Frank¬ reich noch nicht gestört, und ersteres wünsche auch keinen Bruch. Aber andrer¬ seits habe die französische Regierung seit geraumer Zeit die Noten des chinesischen Gesandten nnbenntwortet gelassen, auch ihren Vertreter in Peking (Bonree) ab¬ berufen und nicht ersetzt. Die Sendung nach Peking, mit der Trieou, der bis¬ herige Gesandte in Japan, betraut worden, sei nur vorübergehender Art, und der Verkehr zwischen China und Frankreich werde sicherlich suspendirt werden, wenn Frankreich in Tonkin vorgehe, bevor es sich mit China verständigt habe; denn Tonkin sei ein Zubehör des Königreichs Arran, in Betreff dessen China unbestreitbare Snzeränetätsrechte besitze. Der Spezialgescmdte Frankreichs (Tricon) werde schwerlich Erfolg erzielen, da er China keine so günstigen Bedingungen mitbringe, als sie der Boureeschc Vertrag gewährt habe, und da selbst dieser den Chinesen zu wenig zugestehe. Sollte Frankreich den der Deputirtenkammer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/672
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/672>, abgerufen am 03.07.2024.