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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die französische Uolomalpolitik und Lugland.

Geschichte vom Zusammenhang der Jeckerschen Aktien mit dem Kriege Napoleons
in Mexiko ist wohlbekannt. Die Erfindung der Chrumirs hatte hinter den
Kulissen finanzielle Manöver zum Vorspiele. Das französische Interesse an
Ägypten war Jahre lang mit dem gewisser Börsenkreise identisch. Jetzt wird
ähnliches von den Vorgängen in Tonkin behauptet. "Es heißt, so schreibt
der vailzs IkIsArg-pK, daß vor einiger Zeit zwei Gesellschaften gegründet worden
seien, eine um Beigwerke in Tonkin auszubeuten, und eine andre, um dort
Geld zu hohe" Zinsen auf Grundstücke auszuleihen. Diese Gesellschaften be¬
haupteten, von Piraten auf dem Roten Flusse geplündert worden zu sein, und
gingen die französische Regierung um Hilfe dagegen an. Ist das wahr, so ist
es ein eigentümlicher Beweis für jene Darwinsche Lehre von der Anbequemung
der Tiere an ihre Umgebung, daß, sobald ein Staat Lust zu Eroberung ver¬
spürt, immer sofort einer seiner Unterthanen in dem zu erobernden Lande
schwäre Schädigung und Beleidigung erfährt. Die Entwicklung von Schwimm¬
häuten zwischen den Zehen von Vögeln, die ursprünglich keine Wasservögel sind,
ist wirklich kein so auffälliges Phänomen als das sofortige Erscheinen eines Bieder¬
manns mit einer Klage, wenn eine europäische Negierung eine Entschuldigung
für eiuen Augriff auf ein fremdes Land braucht. Aber während es geraume Zeit
her ist, daß ein Herr Jenkins sich als guter Patriot die Ohren abschneiden ließ,
um England eine Ursache zum Kriege mit Spanien zu verschaffen, weiß es der
heutige Franzmann gescheidter einzurichten. Er besorgt seiner Regierung nicht bloß
einen Grund fürs Dreinfcchren, sondern baut sich selber ein wvhlbefiedertes finan¬
zielles Nest, indem er eine Gesellschaft gründet und dann eine Anzahl Anteilscheine
an patriotische Deputirte verteilt. So erhält die Berufung an die Kammer nicht
nur an der Liebe zu Frankreich, purem Patriotismus und dem Wunsche nach
Rache Stützen, sondern auch an dem pekuniären Interesse der Kammerpolitiker,
die in unserm Falle Zertifikate in der Tasche haben sollen, welche jetzt wertlos
sind, nach der Einverleibung Tonkins aber sich für fünfzig Franks das Stück
verkaufen lassen würden. Allerdings sind die Anmänner noch nicht besiegt, und
mau kann sich an das Sprichwort von den Jägern erinnert finde", die sich um
das Fell des Bären stritten, ehe das Tier noch erlegt war. Wenn aber einer
der Nimrode Finanzgenie besäße und seinen Anspruch auf Anteil an dem Felle
verkaufte, um den Wert im voraus in die Tasche zu stecken, so brauchte ihn
das weitere nicht mehr zu interessiren. Wenn es Herren giebt, die gewisser¬
maßen ein finanzielles Tonkin erfunden haben, so braucht es sie nicht zu küm¬
mern, ob sich das geographische Tonkin schließlich als ganz und gar wertlos
erweist. Inzwischen werden sie ihre Aktien losgeschlagen und sich von dem Ge¬
schäfte zurückgezogen haben. Es ist zum Erbarmen, hören zu müssen, daß eine
große Nation Wagnisse unternehmen muß, daß tapfere Männer fallen müssen,
damit ein paar pfiffige Spekulanten ihr auf schlechten Wegen zusammengebrachtes
Vermögen vergrößern können."


Die französische Uolomalpolitik und Lugland.

Geschichte vom Zusammenhang der Jeckerschen Aktien mit dem Kriege Napoleons
in Mexiko ist wohlbekannt. Die Erfindung der Chrumirs hatte hinter den
Kulissen finanzielle Manöver zum Vorspiele. Das französische Interesse an
Ägypten war Jahre lang mit dem gewisser Börsenkreise identisch. Jetzt wird
ähnliches von den Vorgängen in Tonkin behauptet. „Es heißt, so schreibt
der vailzs IkIsArg-pK, daß vor einiger Zeit zwei Gesellschaften gegründet worden
seien, eine um Beigwerke in Tonkin auszubeuten, und eine andre, um dort
Geld zu hohe» Zinsen auf Grundstücke auszuleihen. Diese Gesellschaften be¬
haupteten, von Piraten auf dem Roten Flusse geplündert worden zu sein, und
gingen die französische Regierung um Hilfe dagegen an. Ist das wahr, so ist
es ein eigentümlicher Beweis für jene Darwinsche Lehre von der Anbequemung
der Tiere an ihre Umgebung, daß, sobald ein Staat Lust zu Eroberung ver¬
spürt, immer sofort einer seiner Unterthanen in dem zu erobernden Lande
schwäre Schädigung und Beleidigung erfährt. Die Entwicklung von Schwimm¬
häuten zwischen den Zehen von Vögeln, die ursprünglich keine Wasservögel sind,
ist wirklich kein so auffälliges Phänomen als das sofortige Erscheinen eines Bieder¬
manns mit einer Klage, wenn eine europäische Negierung eine Entschuldigung
für eiuen Augriff auf ein fremdes Land braucht. Aber während es geraume Zeit
her ist, daß ein Herr Jenkins sich als guter Patriot die Ohren abschneiden ließ,
um England eine Ursache zum Kriege mit Spanien zu verschaffen, weiß es der
heutige Franzmann gescheidter einzurichten. Er besorgt seiner Regierung nicht bloß
einen Grund fürs Dreinfcchren, sondern baut sich selber ein wvhlbefiedertes finan¬
zielles Nest, indem er eine Gesellschaft gründet und dann eine Anzahl Anteilscheine
an patriotische Deputirte verteilt. So erhält die Berufung an die Kammer nicht
nur an der Liebe zu Frankreich, purem Patriotismus und dem Wunsche nach
Rache Stützen, sondern auch an dem pekuniären Interesse der Kammerpolitiker,
die in unserm Falle Zertifikate in der Tasche haben sollen, welche jetzt wertlos
sind, nach der Einverleibung Tonkins aber sich für fünfzig Franks das Stück
verkaufen lassen würden. Allerdings sind die Anmänner noch nicht besiegt, und
mau kann sich an das Sprichwort von den Jägern erinnert finde», die sich um
das Fell des Bären stritten, ehe das Tier noch erlegt war. Wenn aber einer
der Nimrode Finanzgenie besäße und seinen Anspruch auf Anteil an dem Felle
verkaufte, um den Wert im voraus in die Tasche zu stecken, so brauchte ihn
das weitere nicht mehr zu interessiren. Wenn es Herren giebt, die gewisser¬
maßen ein finanzielles Tonkin erfunden haben, so braucht es sie nicht zu küm¬
mern, ob sich das geographische Tonkin schließlich als ganz und gar wertlos
erweist. Inzwischen werden sie ihre Aktien losgeschlagen und sich von dem Ge¬
schäfte zurückgezogen haben. Es ist zum Erbarmen, hören zu müssen, daß eine
große Nation Wagnisse unternehmen muß, daß tapfere Männer fallen müssen,
damit ein paar pfiffige Spekulanten ihr auf schlechten Wegen zusammengebrachtes
Vermögen vergrößern können."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/674>, abgerufen am 03.07.2024.