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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die französische Kolonialpolitik und England.

Er hatte 150 Matrosen und 250 Seesoldaten mit sich. Die ersten marschirten
unter dein Kommodore voran, die letztern folgten ihnen in beträchtlicher Ent¬
fernung. Dabei scheint man zu zuversichtlich Verfahren zu sein und die nötigsten
Vorsichtsmaßregeln vernachlässigt zu haben. Die Feinde, die unter der oft
genannten "Schwarzen Fahne" fochten, entdeckten dies und warfen sich, indem
sie sich die weite Entfernung der ersten Abteilung von der zweiten zu Nutze
machten, auf die Leute Rivieres. Bald waren dieselben umringt, und vergeblich
versuchten sie sich durchzuschlagen. Sie wurden großenteils getötet oder gefangen
genommen, die übrigen zerstreuten sich. Die zweite Abteilung erschien zu spät
an Ort und Stelle, um dem Kampfe noch eine günstige Wendung geben zu
können. Die Gefangnen, fünfzehn an der Zahl, darunter Riviere, wurden von
den Siegern nach einem ihrer befestigten Dörfer gebracht und dort gepfählt.

Interessant find Auszüge aus Briefen des Kommodores an einen Freund,
welche der Isinxs in diesen Tagen veröffentlichte. Es ergiebt sich daraus, daß
man in Paris vor anderthalb Jahren noch nicht klar in der Sache sah und
keinen Entschluß gefaßt hatte. Riviere ging zu Anfang des vorigen Jahres nach
Tonkin. Er sollte die dort befindliche französische Schiffsdivision befehligen,
hatte aber keine ins einzelne gehenden Befehle. So schrieb er am 26. März v. I.
ans Saigon: "Wir sollen versuche", in Tonkin fester Fuß zu fassen als bisher.
In meinen Instruktionen ist nichts sehr bestimmtes, so gehe ich dahin als
ein Fabius Cunetator und werde den Rubikon nur gezwungen überschreiten wie
Cäsar." Einen Monat später benachrichtigt er seinen Freund von Hanoi aus,
daß er Befehl erhalten habe, die kleine Besatzung dieses Ortes zu verstärken
und am Claire, einem Ueberflusse des Roten Stroms, etwa zwölf Meilen
weiter im Innern, eine Station zu gründen. Beide Operationen sollten mit
Rücksicht auf den Hof von Huc ausgeführt werden. Augenscheinlich wußte
die Regierung sehr wenig von den Schwierigkeiten, mit denen der tapfere Seemann
zu kämpfen hatte und die mehr diplomatisches Geschick erforderten als er besaß.
Jedenfalls war der einzige Schlüssel, mit dem er sich die Thore von Hanoi
ausschloß, sein Degen. Er schreibt in demselben Briefe: "Ich weiß nicht, ob
man es loben oder tadeln wird, daß ich die Zitadelle genommen habe. Ich weiß
nur, daß ich gethan habe, was die Umstände erforderten. Bin ich zu tadeln,
so werde ich nicht sehr stark darauf bestehen, hier zu bleiben." In einem
andern Briefe, datirt vom 11. Juni, klagt er, daß der Gouverneur von Saigon
die Erstürmung von Hanoi gemißbilligt habe; "indeß wird das keine Folgen
haben," fügt er hinzu. "Die Regierung von Arran unterhandelt insgeheim
mit England und China." In seinem nächsten Schreiben, das vom 21. September
ist, sagt er, daß die chinesischen Truppen sich seiner Stellung nähern. "Ich
würde mich ihrem Übergang auf das rechte Ufer widersetzt haben," bemerkt er
dazu, "aber man remonstrirte dagegen von Saigon und Paris her so lebhaft,
daß ich es unterließ. Indeß werde ich mir nicht die geringste Ungebühr von


Die französische Kolonialpolitik und England.

Er hatte 150 Matrosen und 250 Seesoldaten mit sich. Die ersten marschirten
unter dein Kommodore voran, die letztern folgten ihnen in beträchtlicher Ent¬
fernung. Dabei scheint man zu zuversichtlich Verfahren zu sein und die nötigsten
Vorsichtsmaßregeln vernachlässigt zu haben. Die Feinde, die unter der oft
genannten „Schwarzen Fahne" fochten, entdeckten dies und warfen sich, indem
sie sich die weite Entfernung der ersten Abteilung von der zweiten zu Nutze
machten, auf die Leute Rivieres. Bald waren dieselben umringt, und vergeblich
versuchten sie sich durchzuschlagen. Sie wurden großenteils getötet oder gefangen
genommen, die übrigen zerstreuten sich. Die zweite Abteilung erschien zu spät
an Ort und Stelle, um dem Kampfe noch eine günstige Wendung geben zu
können. Die Gefangnen, fünfzehn an der Zahl, darunter Riviere, wurden von
den Siegern nach einem ihrer befestigten Dörfer gebracht und dort gepfählt.

Interessant find Auszüge aus Briefen des Kommodores an einen Freund,
welche der Isinxs in diesen Tagen veröffentlichte. Es ergiebt sich daraus, daß
man in Paris vor anderthalb Jahren noch nicht klar in der Sache sah und
keinen Entschluß gefaßt hatte. Riviere ging zu Anfang des vorigen Jahres nach
Tonkin. Er sollte die dort befindliche französische Schiffsdivision befehligen,
hatte aber keine ins einzelne gehenden Befehle. So schrieb er am 26. März v. I.
ans Saigon: „Wir sollen versuche», in Tonkin fester Fuß zu fassen als bisher.
In meinen Instruktionen ist nichts sehr bestimmtes, so gehe ich dahin als
ein Fabius Cunetator und werde den Rubikon nur gezwungen überschreiten wie
Cäsar." Einen Monat später benachrichtigt er seinen Freund von Hanoi aus,
daß er Befehl erhalten habe, die kleine Besatzung dieses Ortes zu verstärken
und am Claire, einem Ueberflusse des Roten Stroms, etwa zwölf Meilen
weiter im Innern, eine Station zu gründen. Beide Operationen sollten mit
Rücksicht auf den Hof von Huc ausgeführt werden. Augenscheinlich wußte
die Regierung sehr wenig von den Schwierigkeiten, mit denen der tapfere Seemann
zu kämpfen hatte und die mehr diplomatisches Geschick erforderten als er besaß.
Jedenfalls war der einzige Schlüssel, mit dem er sich die Thore von Hanoi
ausschloß, sein Degen. Er schreibt in demselben Briefe: „Ich weiß nicht, ob
man es loben oder tadeln wird, daß ich die Zitadelle genommen habe. Ich weiß
nur, daß ich gethan habe, was die Umstände erforderten. Bin ich zu tadeln,
so werde ich nicht sehr stark darauf bestehen, hier zu bleiben." In einem
andern Briefe, datirt vom 11. Juni, klagt er, daß der Gouverneur von Saigon
die Erstürmung von Hanoi gemißbilligt habe; „indeß wird das keine Folgen
haben," fügt er hinzu. „Die Regierung von Arran unterhandelt insgeheim
mit England und China." In seinem nächsten Schreiben, das vom 21. September
ist, sagt er, daß die chinesischen Truppen sich seiner Stellung nähern. „Ich
würde mich ihrem Übergang auf das rechte Ufer widersetzt haben," bemerkt er
dazu, „aber man remonstrirte dagegen von Saigon und Paris her so lebhaft,
daß ich es unterließ. Indeß werde ich mir nicht die geringste Ungebühr von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/671>, abgerufen am 03.07.2024.