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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Unsre Feuerversicherungsgesollschaften,

derer Bedingungen sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, haben sie gewisse
"Allgemeine Versicherungsbedingungen" vereinbart und diese durchweg ange¬
nommen. So stehn die Gesellschaften als eine kompakte Verbindung dem
Publikum gegenüber. Letzteres unterwirft sich den ausgestellten Bedingungen,
weil die meisten, die sich versichern, dieselben garnicht lesen, oder wenn sie sie
lesen, sie nicht im Zusammenhange verstehen. Diese Vcrsicheruugsbcdingungen
enthalten aber vieles, was man geradezu als Fallstricke für die Versicherten
bezeichnen möchte.

§ 4 der "Bedingungen" z. B. enthält folgende Vorschrift: "Wer versichern
läßt, ist verpflichtet, im Versicherungsanträge jeden auf die Fcuergeführlichkeit
einwirkenden Umstand gewissenhaft anzuzeigen." Daran knüpft sich in Z 13 die
Bestimmung- "Wenn der Versicherte eine der ihm nach §ez 4, 6 a, b, ä und 9
obliegenden Pflichten nicht vollständig erfüllt, so verliert er jeden Anspruch auf
Entschädigung, und zwar für alle an dem Brande beteiligten Versicherungen."
Nun kann die Gesellschaft gewiß verlangen, daß sie bei Eingehung des Ver¬
sicherungsvertrags über das Maß der vorhandenen Gefahr genau unterrichtet
werde, und daß in dieser Beziehung der Versicherungsnehmer ihr gegenüber
völlig ehrlich verfahre. Dabei können jedoch Versäumnisse und Irrungen vor¬
kommen, welche nicht notwendig auf ein arglistiges Verhalten des letztern hin¬
weisen. Gesetzt nun, der Versicherungsnehmer hätte in dieser Beziehung, sei es
auch gegen besseres Wissen, etwas verfehlt: was könnte wohl nach Recht und
Billigkeit die Folge davon sein? Zunächst doch nur das, daß er einen Schaden
nicht ersetzt erhielte, der aus der verschwiegenen Gefahr hervorgegangen wäre.
Was sagen aber die "Bedingungen"? Hat der Versicherte irgend etwas ver¬
schwiegen, so vertierter jeden Schadenersatzanspruch! Hat er also verschwiegen,
daß im Nachbarhause ein feuergefährliches Gewerbe betrieben wird, so bekommt
er keine Entschädigung, anch wenn der Brand, der sein Haus verzehrt hat, in
dem Hause eines andern Nachbarn entstanden ist. Hat er eine feuergefährliche
Einrichtung feines im Winter geheizten Ofens verschwiegen, so bekommt er keine
Entschädigung, auch wenn im Sommer der Blitzstrahl in das Haus fährt und
zündet. Man kann ja freilich noch weiter gehn und der Gesellschaft auch die
Befugnis geben, den Vertrag, bei dessen Eingehung sie getäuscht worden ist,
für aufgelöst zu erklären. Aber auch dies würde etwas ganz andres sein als
das, was die "Bedingungen" bestimmen. Erklärt die Gesellschaft den Vertrag
für aufgelöst, so weiß der Versicherte, woran er ist, und er kann für eine ander¬
weite Versicherung sorgen. Nach den "Bedingungen" aber kann die Gesellschaft
ganz stillsitzen, dann aber, wenn ein Brand entsteht, erklären: Du bekommst
nichts, denn du hast bei Eingehung des Vertrages den und den Punkt ver¬
schwiegen! Liegt darin Wohl Gerechtigkeit?

Parallel mit der Bestimmung in 8 4 geht die Bestimmung in Z 5: "Wenn
im Laufe der Versicherung die Feilergcfährlichteit sich vermehrt, so erlischt die


Unsre Feuerversicherungsgesollschaften,

derer Bedingungen sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, haben sie gewisse
„Allgemeine Versicherungsbedingungen" vereinbart und diese durchweg ange¬
nommen. So stehn die Gesellschaften als eine kompakte Verbindung dem
Publikum gegenüber. Letzteres unterwirft sich den ausgestellten Bedingungen,
weil die meisten, die sich versichern, dieselben garnicht lesen, oder wenn sie sie
lesen, sie nicht im Zusammenhange verstehen. Diese Vcrsicheruugsbcdingungen
enthalten aber vieles, was man geradezu als Fallstricke für die Versicherten
bezeichnen möchte.

§ 4 der „Bedingungen" z. B. enthält folgende Vorschrift: „Wer versichern
läßt, ist verpflichtet, im Versicherungsanträge jeden auf die Fcuergeführlichkeit
einwirkenden Umstand gewissenhaft anzuzeigen." Daran knüpft sich in Z 13 die
Bestimmung- „Wenn der Versicherte eine der ihm nach §ez 4, 6 a, b, ä und 9
obliegenden Pflichten nicht vollständig erfüllt, so verliert er jeden Anspruch auf
Entschädigung, und zwar für alle an dem Brande beteiligten Versicherungen."
Nun kann die Gesellschaft gewiß verlangen, daß sie bei Eingehung des Ver¬
sicherungsvertrags über das Maß der vorhandenen Gefahr genau unterrichtet
werde, und daß in dieser Beziehung der Versicherungsnehmer ihr gegenüber
völlig ehrlich verfahre. Dabei können jedoch Versäumnisse und Irrungen vor¬
kommen, welche nicht notwendig auf ein arglistiges Verhalten des letztern hin¬
weisen. Gesetzt nun, der Versicherungsnehmer hätte in dieser Beziehung, sei es
auch gegen besseres Wissen, etwas verfehlt: was könnte wohl nach Recht und
Billigkeit die Folge davon sein? Zunächst doch nur das, daß er einen Schaden
nicht ersetzt erhielte, der aus der verschwiegenen Gefahr hervorgegangen wäre.
Was sagen aber die „Bedingungen"? Hat der Versicherte irgend etwas ver¬
schwiegen, so vertierter jeden Schadenersatzanspruch! Hat er also verschwiegen,
daß im Nachbarhause ein feuergefährliches Gewerbe betrieben wird, so bekommt
er keine Entschädigung, anch wenn der Brand, der sein Haus verzehrt hat, in
dem Hause eines andern Nachbarn entstanden ist. Hat er eine feuergefährliche
Einrichtung feines im Winter geheizten Ofens verschwiegen, so bekommt er keine
Entschädigung, auch wenn im Sommer der Blitzstrahl in das Haus fährt und
zündet. Man kann ja freilich noch weiter gehn und der Gesellschaft auch die
Befugnis geben, den Vertrag, bei dessen Eingehung sie getäuscht worden ist,
für aufgelöst zu erklären. Aber auch dies würde etwas ganz andres sein als
das, was die „Bedingungen" bestimmen. Erklärt die Gesellschaft den Vertrag
für aufgelöst, so weiß der Versicherte, woran er ist, und er kann für eine ander¬
weite Versicherung sorgen. Nach den „Bedingungen" aber kann die Gesellschaft
ganz stillsitzen, dann aber, wenn ein Brand entsteht, erklären: Du bekommst
nichts, denn du hast bei Eingehung des Vertrages den und den Punkt ver¬
schwiegen! Liegt darin Wohl Gerechtigkeit?

Parallel mit der Bestimmung in 8 4 geht die Bestimmung in Z 5: „Wenn
im Laufe der Versicherung die Feilergcfährlichteit sich vermehrt, so erlischt die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/653>, abgerufen am 01.07.2024.