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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

lagen anriefen. Wenn die Leute dort für ihren Wahlkandidaten um Stimmen
werben, unterlassen sie es nie, den Förderern der Kandidatur den Schutz der
Venus zu verspreche". Einer der oben erwähnten improvisirten Künstler, die
überall Gladiatoren hinmalten, weiß für sein Meisterwerk keinen bessern Schutz,
als daß er über jeden, der es wagen sollte, daran zu rühren, den Zorn der
Venus von Pompeji herabruft.*) Lucian erwähnt, daß es damals Brauch war,
Liebeserklärungen auf die Mauern zu schreiben. In Pompeji giebt es viele
solche Inschriften, und da ihre Orthographie mannichfache Abweichungen zeigt,
so können wir daraus schließen, daß sie von Leuten aus verschiednen Gesell¬
schaftsklassen herrühren. Manche zitiren, um die Geliebte zu feiern, einfach ein
paar Verse aus bekannten Dichtern, aus Properz, besonders aus Ovid; er war
ja der Dichter der leichten Liebe, kein andrer war bei den jungen Leuten po¬
pulärer. In andern Fällen sind die Verse Schriftstellern entlehnt, die heute
verloren sind; einige scheinen sogar eigens für die Gelegenheit verfaßt, und dar¬
unter sind manche gar nicht übel für Provinzialverse. "Ich will," sagt der
glücklich Liebende, "des Todes sein, wenn ich ein Gott zu sein begehre ohne
dich." "Heran zu mir all ihr Liebenden!" sagt der erzürnte Liebhaber, "ich
will der Venus die Rippen zerbrechen."**) Vor sechs Jahren fanden sich sehr
hübsche Verse dieser Art; sie sind sicher das Produkt eines Schöngeistes aus
der Nachbarschaft. Ein Liebender spricht zu dem Kutscher, der ihn fährt:
"Maultiertreiber, wenn du das Feuer der Liebe fühltest, du hättest es eiliger,
deine Schöne wiederzusehen ... ich flehe dich an, spuke dich, vorwärts! ge¬
trunken hast du ja genug, also vorwärts! nimm deine Peitsche und gebrauche
sie; bring' uns schnell nach Pompeji: dort wartet auf mich mein geliebtes
Mädchen."***) Die eigentlichen Liebeserklärungen sind meistens in Prosa ab¬
gefaßt. Bald wagt der Liebende eine sanfte Bitte: "Meine teure Sava, liebe
mich, ich bitte dich"; bald antwortet die Schöne: "Uvula grüßt ihren Freund
Pagurus." Die Art, wie die Liebenden sich ausdrücken, ist manchmal gewählt,
ja gesucht und erinnert uns daran, daß wir uns im Zeitalter des Petronius
befinden: "Mein hübsches Püppchen; zu dir sendet mich, der ganz und gar der
deine ist."f) Ansprechender ist die folgende einfachere Erklärung, die mehr
vom Herzen zu kommen scheint: "Melde, die Atellanenspielerin, liebt den
Chrestus von ganzem Herzen. Möge Venus ihnen gnädig sein, und mögen sie
stets in holdem Einverständnis miteinander leben!"ff) Erwähnung verdient
auch die folgende formelle Verabschiedung eines unglücklichen Liebhabers, auf
die in der That eine Antwort unmöglich ist: "Virgula an ihren Freund




xm-k-um Ario to si Agus gggg vollen. -- Hills<Ms s,ins.t vsriikt, Vonsri volo rumxsrs vostas,
-- LZ. I. I.. IV, 1928, 1824. -- ***) SuU. Asti' Irist. Al oorr. arvk. 1377, Nov. -- f) <?. I.
I.. IV, 1173. - ff) v. I. I.. IV, 2427.
**)
*) O. I. I.. IV, S38: H.dis,t Vonsrs iiÄ^rü yui too Issssrit. --
pompejanische Spaziergänge.

lagen anriefen. Wenn die Leute dort für ihren Wahlkandidaten um Stimmen
werben, unterlassen sie es nie, den Förderern der Kandidatur den Schutz der
Venus zu verspreche». Einer der oben erwähnten improvisirten Künstler, die
überall Gladiatoren hinmalten, weiß für sein Meisterwerk keinen bessern Schutz,
als daß er über jeden, der es wagen sollte, daran zu rühren, den Zorn der
Venus von Pompeji herabruft.*) Lucian erwähnt, daß es damals Brauch war,
Liebeserklärungen auf die Mauern zu schreiben. In Pompeji giebt es viele
solche Inschriften, und da ihre Orthographie mannichfache Abweichungen zeigt,
so können wir daraus schließen, daß sie von Leuten aus verschiednen Gesell¬
schaftsklassen herrühren. Manche zitiren, um die Geliebte zu feiern, einfach ein
paar Verse aus bekannten Dichtern, aus Properz, besonders aus Ovid; er war
ja der Dichter der leichten Liebe, kein andrer war bei den jungen Leuten po¬
pulärer. In andern Fällen sind die Verse Schriftstellern entlehnt, die heute
verloren sind; einige scheinen sogar eigens für die Gelegenheit verfaßt, und dar¬
unter sind manche gar nicht übel für Provinzialverse. „Ich will," sagt der
glücklich Liebende, „des Todes sein, wenn ich ein Gott zu sein begehre ohne
dich." „Heran zu mir all ihr Liebenden!" sagt der erzürnte Liebhaber, „ich
will der Venus die Rippen zerbrechen."**) Vor sechs Jahren fanden sich sehr
hübsche Verse dieser Art; sie sind sicher das Produkt eines Schöngeistes aus
der Nachbarschaft. Ein Liebender spricht zu dem Kutscher, der ihn fährt:
„Maultiertreiber, wenn du das Feuer der Liebe fühltest, du hättest es eiliger,
deine Schöne wiederzusehen ... ich flehe dich an, spuke dich, vorwärts! ge¬
trunken hast du ja genug, also vorwärts! nimm deine Peitsche und gebrauche
sie; bring' uns schnell nach Pompeji: dort wartet auf mich mein geliebtes
Mädchen."***) Die eigentlichen Liebeserklärungen sind meistens in Prosa ab¬
gefaßt. Bald wagt der Liebende eine sanfte Bitte: „Meine teure Sava, liebe
mich, ich bitte dich"; bald antwortet die Schöne: „Uvula grüßt ihren Freund
Pagurus." Die Art, wie die Liebenden sich ausdrücken, ist manchmal gewählt,
ja gesucht und erinnert uns daran, daß wir uns im Zeitalter des Petronius
befinden: „Mein hübsches Püppchen; zu dir sendet mich, der ganz und gar der
deine ist."f) Ansprechender ist die folgende einfachere Erklärung, die mehr
vom Herzen zu kommen scheint: „Melde, die Atellanenspielerin, liebt den
Chrestus von ganzem Herzen. Möge Venus ihnen gnädig sein, und mögen sie
stets in holdem Einverständnis miteinander leben!"ff) Erwähnung verdient
auch die folgende formelle Verabschiedung eines unglücklichen Liebhabers, auf
die in der That eine Antwort unmöglich ist: „Virgula an ihren Freund




xm-k-um Ario to si Agus gggg vollen. — Hills<Ms s,ins.t vsriikt, Vonsri volo rumxsrs vostas,
— LZ. I. I.. IV, 1928, 1824. — ***) SuU. Asti' Irist. Al oorr. arvk. 1377, Nov. — f) <?. I.
I.. IV, 1173. - ff) v. I. I.. IV, 2427.
**)
*) O. I. I.. IV, S38: H.dis,t Vonsrs iiÄ^rü yui too Issssrit. —
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[0611] pompejanische Spaziergänge. lagen anriefen. Wenn die Leute dort für ihren Wahlkandidaten um Stimmen werben, unterlassen sie es nie, den Förderern der Kandidatur den Schutz der Venus zu verspreche». Einer der oben erwähnten improvisirten Künstler, die überall Gladiatoren hinmalten, weiß für sein Meisterwerk keinen bessern Schutz, als daß er über jeden, der es wagen sollte, daran zu rühren, den Zorn der Venus von Pompeji herabruft.*) Lucian erwähnt, daß es damals Brauch war, Liebeserklärungen auf die Mauern zu schreiben. In Pompeji giebt es viele solche Inschriften, und da ihre Orthographie mannichfache Abweichungen zeigt, so können wir daraus schließen, daß sie von Leuten aus verschiednen Gesell¬ schaftsklassen herrühren. Manche zitiren, um die Geliebte zu feiern, einfach ein paar Verse aus bekannten Dichtern, aus Properz, besonders aus Ovid; er war ja der Dichter der leichten Liebe, kein andrer war bei den jungen Leuten po¬ pulärer. In andern Fällen sind die Verse Schriftstellern entlehnt, die heute verloren sind; einige scheinen sogar eigens für die Gelegenheit verfaßt, und dar¬ unter sind manche gar nicht übel für Provinzialverse. „Ich will," sagt der glücklich Liebende, „des Todes sein, wenn ich ein Gott zu sein begehre ohne dich." „Heran zu mir all ihr Liebenden!" sagt der erzürnte Liebhaber, „ich will der Venus die Rippen zerbrechen."**) Vor sechs Jahren fanden sich sehr hübsche Verse dieser Art; sie sind sicher das Produkt eines Schöngeistes aus der Nachbarschaft. Ein Liebender spricht zu dem Kutscher, der ihn fährt: „Maultiertreiber, wenn du das Feuer der Liebe fühltest, du hättest es eiliger, deine Schöne wiederzusehen ... ich flehe dich an, spuke dich, vorwärts! ge¬ trunken hast du ja genug, also vorwärts! nimm deine Peitsche und gebrauche sie; bring' uns schnell nach Pompeji: dort wartet auf mich mein geliebtes Mädchen."***) Die eigentlichen Liebeserklärungen sind meistens in Prosa ab¬ gefaßt. Bald wagt der Liebende eine sanfte Bitte: „Meine teure Sava, liebe mich, ich bitte dich"; bald antwortet die Schöne: „Uvula grüßt ihren Freund Pagurus." Die Art, wie die Liebenden sich ausdrücken, ist manchmal gewählt, ja gesucht und erinnert uns daran, daß wir uns im Zeitalter des Petronius befinden: „Mein hübsches Püppchen; zu dir sendet mich, der ganz und gar der deine ist."f) Ansprechender ist die folgende einfachere Erklärung, die mehr vom Herzen zu kommen scheint: „Melde, die Atellanenspielerin, liebt den Chrestus von ganzem Herzen. Möge Venus ihnen gnädig sein, und mögen sie stets in holdem Einverständnis miteinander leben!"ff) Erwähnung verdient auch die folgende formelle Verabschiedung eines unglücklichen Liebhabers, auf die in der That eine Antwort unmöglich ist: „Virgula an ihren Freund **) *) O. I. I.. IV, S38: H.dis,t Vonsrs iiÄ^rü yui too Issssrit. — xm-k-um Ario to si Agus gggg vollen. — Hills<Ms s,ins.t vsriikt, Vonsri volo rumxsrs vostas, — LZ. I. I.. IV, 1928, 1824. — ***) SuU. Asti' Irist. Al oorr. arvk. 1377, Nov. — f) <?. I. I.. IV, 1173. - ff) v. I. I.. IV, 2427.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/611>, abgerufen am 03.07.2024.